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Kapitel 3

Fröstelnd schälte ich mich aus meiner klammen Jacke und konnte ein angewidertes „Wah!" nicht unterdrücken, als sich einige Tropfen von der Kapuze lösten und sich einen Weg über meinen Rücken nach unten bahnten.
Warum hatte es ausgerechnet auf den letzten Metern zwischen unseren Wohnungen anfangen müssen zu schütten? Da wäre mir ja Schnee noch lieber gewesen.
Während ich leise vor mich hin schimpfte, stahl sich Lee Know kichernd an mir vorbei – nicht ohne mir vorher aber mit der flachen Hand über den Pullover zu streichen und so die Nässe noch weiter zu verteilen, was einen erneuten unartikulierten Laut meinerseits zur Folge hatte. Dieser Teufel.

Grummelnd folgte ich ihm kurz darauf durch den spärlich beleuchteten Flur in Richtung meines Zimmers. Die Wohnung schien wie ausgestorben. Gut, es war schon spät, da wir einen Abstecher zu Lee Knows Dorm gemacht hatten, damit er seine Sachen holen konnte. Wahrscheinlich schlief Hyunjin bereits, er ging oftmals früher zu Bett als alle anderen. Chan war sowieso im Studio und Binnie hatte sicher mal wieder die Zeit im Fitnessstudio vergessen.

Klappernde Geräusche und ein leises Fluchen drangen aus der Küche und unterbrachen mein Vorhaben, schon mal vorzugehen, um wenigstens die Klamotten vor meinem Bett noch unauffällig in irgendeiner Ecke verschwinden zu lassen, ehe Lee Know sie später bemerkte. Ja, ich war unordentlich, aber das musste ich ihm ja nicht ständig von Neuem beweisen.
Neugierig linste ich um die Ecke. Auf der Küchenzeile stapelten sich einige abgedeckte Schüsseln, während Lee Know im Kühlschrank herum wühlte. Oder dem Fluchen nach, viel mehr für Ordnung sorgte.
„Sag mal, macht ihr die Tür immer nur für eine Millisekunde auf und schmeißt alles rein, in der Hoffnung, es bliebe schon irgendwie drin? So fällt ja alles gleich wieder raus. Absolute Platzverschwendung!", empörte er sich.
Amüsiert schmunzelnd trat ich dicht hinter ihn und spähte ebenfalls hinein. Na hey, so schlimm war es gar nicht. Im obersten Drittel war definitiv noch ein Plätzchen frei. Aber gut, Lee Know hatte da völlig andere Vorstellungen von Ordnung, besonders was die Küche betraf.
Versöhnlich strich ich ihm über den Schultern und schmiegte mich eng an ihn. Seine Nähe wärmte mich und schickte das altbekannte, angenehme Kribbeln geradewegs durch meinen Körper. Die Versuchung, ihm jetzt einen Kuss auf den Hals zu drücken, der sich so einladend vor meiner Nase präsentiere, war übermächtig, doch ich hielt mich zurück und murmelte stattdessen gegen die glatte Haut: „Umso mehr freuen wir uns, dass du regelmäßig herkommst, damit wir nicht im völligen Chaos versinken."
Ich spürte Lee Know in meinen Armen erschaudern und gab nun doch der Versuchung nach. Grinsend strich ich mit den Lippen über seinen Hals, ehe ich ihn freigab und einen Schritt zurücktrat. Hatte ich eine bestimmte Reaktion erwartet, so bekam ich außer seinem Zusammenzucken nur noch ein Schnauben zu hören – aber wenn ich ehrlich war, hatte ich auch nicht mit viel mehr gerechnet. Lee Know ließ sich selten zu großen Gefühlsausbrüchen hinreißen.
Ich streichelte noch einmal mit der Hand über seinen Rücken – mit einer dezenten Abwärtstendenz zu seinem Hintern, denn was er konnte, konnte ich schon lange – dann schnappte ich mir eine der Schüsseln, die wir vorhin noch aus der anderen Wohnung geholt hatten, um deren Inhalt genauer unter die Lupe zu nehmen. Bisher hatte ich keine Gelegenheit dazu gehabt.

Ein kräftig würziger Geruch kitzelte meine Nase, als ich den Deckel anhob. Jede Menge gebratenes Fleisch und Gemüse lachten mir entgegen und ließen mir unwillkürlich das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Himmel, wie lange hatte er dafür bitte in der Küche gestanden?
Obwohl Lee Know es für gewöhnlich abstritt, kochte er gerne, insbesondere für uns. Es kam nicht selten vor, dass wir nach einem langen Tag im Studio überraschend Essen im Kühlschrank vorfanden, dass er irgendwann im Laufe des Tages heimlich hineingeschmuggelt hatte.
„Nase weg, das ist für morgen."
Ehe ich reagieren konnte, rastete der Deckel geräuschvoll vor besagter Nase ein und wurde aus meiner Reichweite gezogen und ordentlich im Kühlschrank verstaut.
„Es sieht sehr lecker aus und riecht echt gut. Danke fürs Kochen."
Einen Moment lang sah er mich schweigend an und brachte mein Herz mit diesem bestimmten Blick ins Stolpern. Doch statt etwas zu sagen, zuckte er nur mit den Schultern, als würde es ihn nichts angehen, auch wenn die leicht rötliche Färbung seiner Ohren, die langsam seinen Hals hinabwanderte, etwas anderes erzählte.
Hach, ich liebte es, wenn er so cool tat und gleichzeitig seine Verlegenheit nicht gänzlich verstecken konnte. Er konnte wirklich nicht gut mit Komplimenten umgehen.
Kichernd trat ich erneut auf ihn zu und gab ihm grinsend einen Kuss – dieses Mal auf die Wange – der das Rot seiner Ohren noch um eine Spur verstärkte.

*


Wenig später saßen wir eng aneinander gekuschelt auf der Couch, mit einer der flauschigen Wolldecken über unseren Beinen. Abwesend tastete ich nach der Snack-Tüte auf meinem Schoß und stopfte mir eine handvoll Knabbereien in den Mund, während es auf dem Fernseher bereits das erste Todesopfer zu beklagen gab.
Das ging dieses Mal aber flott los.
Es war einer der Horrorfilme, die schon vor mehr als zwei Jahren veröffentlicht worden waren, nur hatten wir es bisher noch nicht geschafft, ihn anzuschauen. Aber gut, unsere gemeinsame Filmliste war inzwischen deutlich gewachsen und die Zeit zu knapp, um ständig einen Filmmarathon einzulegen. Außerdem gab es zahlreiche Anime-Serien, die sowohl Lee Know als auch ich sehen wollten. Da mussten einfach Prioritäten gesetzt werden.

Das Morden ging munter weiter. Recht schnell wurde ersichtlich, dass dieser Film wohl nicht zu den Meisterwerken zählte, aber was soll's. Um den Tag entspannt ausklingen zu lassen, reichte es allemal.
Lee Knows Hand hatte unterdessen einen Weg über meine Schulter zu meinem Hals gefunden. Sanft kraulte er durch die kurzen Haare meines Nackens, eine wohlige Gänsehaut folgte seinen Fingern. Seufzend lehnte ich den Kopf gegen seine Schulter und schloss genießerisch die Augen. Ich blendete die Geräusche des Films aus – viel zu verpassen, gab es schließlich nicht. Lieber konzentrierte ich mich auf den Mann neben mir, seinen Duft und die Nähe, die mir so viel Geborgenheit schenkten. War ich früher anderen Menschen mit recht viel Abstand begegnet, so war ich mittlerweile zu einem – wie Lee Know es so schön bezeichnete – Kuschelmonster mutiert. Und das nicht nur ihm gegenüber, sondern auch bei den anderen Bandmitgliedern. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich absolut wohl und das zeigte ich auch gerne.
Wobei ich mich natürlich am liebsten in Lee Knows Armen wiederfand.

Erst das gedämpfte Klacken der Tür holte mich aus meinem angenehmen Dämmerzustand. Leicht hob ich den Kopf von Lee Knows Schulter, um besser Richtung Flur spähen zu können, in dessen Durchgang wenig später Changbin erschien – mit zerzausten Haaren und einer großen Sporttasche über der Schulter. Wie ich es vermutet hatte.
„Hey, ihr seid ja noch wach."
Wach war zu viel gesagt. Schwer sank mein Kopf zurück auf seinen gewohnten Platz an Lee Knows Schulter. Mein „Naja, halbwegs vielleicht" kam so genuschelt, dass ich bezweifelte, dass Binnie auch nur ein Wort davon verstanden hatte.
„Lasst euch nicht stören", hörte ich sein gutmütiges Lachen aus der angrenzenden Küche herüberschallen. „Ich mach mir nur fix etwas zu essen. Oh, Lee Know, hast du wieder für uns gekocht? Sieht super aus."
Dieser hatte auf Changbins Anwesenheit bisher kaum reagiert, bis auf ein flüchtiges Handheben in seine Richtung. Doch nun kam endlich ein bisschen Leben in ihn.
„Nein, das ist nur Deko. Mach dir selbst was."
„Ach, nun hab dich nicht so... Schöner wird's nicht, wenn es ewig in den Schüsseln vor sich hin vegetiert."
„Was heißt hier vegetieren? Das ist frisch von heute."
„Siehst du. Dann sollte es auch heute frisch von mir gegessen werden."
Ich versteckte mein Lachen in Lee Knows Pullover, während die Diskussion zwischen den Beiden munter weiterging. Typisch.
Ob Hyunjin, der nur zwei Türen weiter im Bett lag, da überhaupt schlafen konnte? Wobei... er hatte eigentlich einen ziemlich festen Schlaf.

Schlussendlich gewann Changbin. Wobei gewinnen relativ war, denn eigentlich hatte Lee Know nie etwas dagegen, wenn wir über sein Essen herfielen. Er sorgte gerne für uns. Vielmehr war es seine Art, in erster Linie erst einmal Kontra zu geben und sich quer zu stellen, um schließlich doch nachzugeben.
Das schmale, zufriedene Lächeln, das seine Lippen zierte, während Changbin seinen Abendsnack neben uns auf der Couch verschlang, war eindeutig.
Grinsend beobachtete ich Binnie eine Weile. Seinem glücklichen Seufzen nach hatte Lee Know mal wieder gezaubert. Jeder liebte sein Essen, gerade weil die Hälfte von uns gerne mal zwei linke Hände in der Küche bewies. Insbesondere ich. Umso besser, dass ich einen Freund hatte, der das konnte und gelegentlich auch exklusiv für mich kochte.

„Wie könnt ihr beide nur so etwas anschauen? Ich mag zwar ab und zu einen guten Horrorfilm, aber doch nicht dieses Gemetzel. Da vergeht einem ja glatt das Essen."
„Es hat dich ja keiner gezwungen, hierzubleiben. In deinem Zimmer ist es sicher auch nett."
„Ey. Du willst doch nur nicht, dass –"
Die erneut aufflammende Diskussion blendete ich aus, denn so wie ich die beiden kannte, konnte das wieder eine Weile andauern, bis sie genug hatten. Schmunzelnd rutschte ich stattdessen in eine liegende Position, sodass ich meinen Kopf auf Lee Knows Schoß betten konnte. Gleich darauf spürte ich schmale Finger durch mein Haar gleiten und schloss tief einatmend die Augen.
Mir war es egal, ob Binnie da war und uns beobachtete. Ebenso egal war mir der restliche Film, von dem ich seit Minuten nichts mehr mitbekommen hatte, und was sonst noch um mich herum geschah.
Wichtig waren nur die warmen Hände, die so zärtlich mit meinen Haaren spielten und mich langsam, aber sicher in die sanften Wogen des Schlafes führten.

Volcano (Minsung)Where stories live. Discover now