2

422 17 20
                                    

Kapitel 2

Es war bereits dunkel, als wir wenig später das JYP Building durch einen der Seitenausgänge verließen. Ein kalter Wind pfiff uns entgegen, ein Hauch von Schnee hing in der Luft. Der erste Wintereinbruch würde wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Fröstelnd vergrub ich mich tiefer in meinem Wollschal und zog die Mütze zurecht. Viel war nicht mehr los, vereinzelte Autos rauschten an uns vorbei, der Gehweg vor dem Gebäude wirkte beinahe ausgestorben. Gut so. Erleichterung machte sich in mir breit, gerade jetzt wollte ich weder Fans, Kollegen, noch Mitarbeitern begegnen, sondern einfach nur nach Hause.
Mit zügigen Schritten steuerte ich auf den Eingang des benachbarten Parks zu, Lee Know nur wenige Meter hinter mir. Heute war einer dieser Tage, an denen ich es begrüßte, dass unsere Wohnungen nicht allzu weit vom JYP Building entfernt lagen. Zwar wurden wir die kurze Strecke meistens trotzdem gefahren, um möglichst entspannt und ohne großes Aufsehen von einem Ort zum anderen zu gelangen, doch am späten Abend hatten wir oft das Glück ungesehen durch die Straßen laufen zu können. Ein weiterer Vorteil des kurzen Fußmarsches: Ich konnte meine Zeit ungestört mit Lee Know verbringen - etwas, das uns für meinen Geschmack viel zu selten vergönnt war. Ich brauchte diese Zweisamkeit einfach, sehnte sie jedes Mal so sehr herbei, dass ich regelrecht hibbelig wurde. Natürlich mussten wir in der Öffentlichkeit vorsichtig sein, allerdings fühlte ich mich hier im Halbdunkel des Parks einigermaßen sicher.

Kurz hinter dem Eingang blieb ich stehen und drehte mich zu Lee Know um. Ein breites Lächeln ließ meine Mundwinkel nach oben wandern, um so mehr, als er ebenfalls schmunzelte.
„Du hast es heute aber eilig."
Statt einer Antwort trat ich dichter an ihn heran und hakte mich ungefragt bei ihm unter.
Einträchtig schweigend setzten wir unseren Weg fort, die Steine knirschten gedämpft unter unseren Sohlen. Es war meistens so, dass wir in Schweigen verfielen, wenn wir unter uns waren. In diesen Momenten waren Worte gar nicht so wichtig, nur die Nähe des anderen zählte und das Gefühl, am richtigen Ort mit dem richtigen Menschen zu sein.
Mit jedem Meter, den wir uns vom Parkeingang entfernten, wurden die Geräusche der Straße leiser, bis ich sie fast gar nicht mehr wahrnahm. Das Einzige - oder vielmehr der Einzige, auf den ich achtete, war Lee Know neben mir, seine Wärme, die ich glaubte, selbst durch die dicken Jacken zu spüren, sein Seufzen, wenn er den Atem bewusst als kleine Wolke gen Himmel steigen ließ.

Ich konnte nicht anders, als ihm aus den Augenwinkeln immer wieder verstohlene Blicke zuzuwerfen, zu beobachten, wie der Wind seine Haare durcheinanderbrachte, während die Laternen wiederum sanfte Schatten in sein Gesicht zauberten. Okay, vielleicht waren meine Blicke doch nicht so verstohlen, wie ich beabsichtigt hatte, denn ein amüsiertes Grinsen huschte über seine Züge.
„Was ist?"
„Nichts, nichts", entgegnete ich schnell und hoffte einfach darauf, dass der schummrige Schein der Laternen die Röte meiner Wangen verbarg.
Ich konnte nichts dafür, meine Augen wurden stets magisch von ihm angezogen. Das Gute war: Ihm ging es ähnlich, das brauchte er gar nicht zu leugnen. Unzählige Male hatte ich ihn dabei erwischt, wie seine dunklen Augen jede meiner Bewegungen und Gesten in sich einzusaugen schienen. Was das betraf, nahmen wir uns beide nichts und hatten uns deshalb schon vor unserer Beziehung zahlreiche, neckende Kommentare der anderen anhören dürfen.

Am liebsten wäre ich für einen Augenblick stehen geblieben, hätte mich einfach gegen Lee Know sinken und mich von ihm umarmen lassen, während ich die Welt um uns herum vergaß. Allerdings ging das nicht, jedenfalls nicht hier.
Glücklicherweise mussten wir nicht mehr weit laufen.
Dennoch ließ ich es mir nicht nehmen, nach einem schnellen, rückversicherten Blick über die Schulter, meinen Arm von seinem zu lösen und stattdessen die Hand in seine Jackentasche gleiten zu lassen. Ich spürte Lee Knows kurzes Zögern - seine Augen suchten ebenfalls flüchtig den Weg ab, ob wir weiterhin alleine waren - dann fand seine Hand meine kalten Finger und umschloss sie fest. Eine kribbelnde Wärme breitete sich augenblicklich vom Magen durch meinen gesamten Körper aus, ein glückliches Grinsen erhellte mein Gesicht. Für einige Sekunden versank ich in seinem schmalen, zufriedenen Lächeln, das seine Augen immer so wunderbar funkeln ließ. Nur mit Mühe unterdrückte ich das viel zu verliebt klingende Seufzen, das sich seinen Weg nach draußen bahnen wollte.
Himmel, was hatte dieser Mann nur, dass ich einfach nicht von ihm loskam?
Bereits bei unserer ersten Begegnung während der Trainee-Zeit hatte ich nicht aufhören können, ihn anzusehen. Die anderen Bandmitglieder, und selbst Lee Know, zogen mich heute noch ab und zu damit auf, aber es war nun mal, wie es eben war. Ich behauptete zwar gerne, dass ich damals einfach nur neidisch auf ihn gewesen war und ihn deshalb im Auge behalten hatte, aber es war klar, dass das nicht stimmte. Was es auch war, das mich so sehr anzog, es war unverändert präsent - auch nach all den Jahren. Er hatte mich sofort in seinen Bann gezogen, aus dem ich mich nicht mehr lösen konnte. Und wollte.
„Du starrst schon wieder, Hanie."
„Ich weiß", seufzte ich nun doch und gab dem Drang nach, meinen Kopf an seiner Schulter zu vergraben. Wenigstens für ein paar Sekunden.
„Ich kann einfach nicht anders."

*

Einige Jahre zuvor

Die Anspannung wog schwer im Raum, als könnte man sie mit der Hand greifen.
Ich stieß die Luft durch die Nase aus und versuchte eine angenehmere Position auf dem unbequemen Stuhl zu finden.
Wie lange wollten sie uns noch warten lassen?
Das Training der letzten Stunden war schweißtreibend gewesen, ich sehnte mich nach nichts mehr als einer Dusche und frischer Kleidung. Doch anscheinend musste ich darauf heute etwas länger warten.

Mein Blick wanderte über die Gesichter der anderen Jungs. Die meisten hatten die Blicke gesenkt, wirkten erschöpft und ähnlich müde, wie ich mich fühlte. Inzwischen waren fast alle Gespräche verstummt, bis auf Chans gedämpfte Unterhaltung mit einem der Mitarbeiter am anderen Ende des Raums und den beiden Jungs neben mir. Wie hießen sie nochmal?
Ich hatte in den vergangenen Wochen so viele neue Leute getroffen, teilweise waren es nur flüchtige Begegnungen gewesen, weshalb ich es irgendwann aufgegeben hatte, mir alle Namen merken zu wollen. Wirklich interessant waren nur die, die für mich eine unmittelbare Konkurrenz darstellten.

Mein Blick zuckte zur Tür, als diese mit einem Mal geöffnet wurde, aber es war nur einer der Mitarbeiter, nicht der angekündigte Neuzugang, den wir heute treffen sollten. Seufzend rutschte ich auf dem Stuhl tiefer und versuchte, mir meine Ungeduld nicht anmerken zu lassen. Neuzugang hin oder her: Er war nur ein weiterer Rivale, gegen den ich mich durchsetzen musste - und das würde ich.
Alle hier im Raum hatten denselben Traum: Wir wollten Idols werden. Dafür hatten wir trainiert, diverse Vorsprechen gemeistert und uns bei JYP Entertainment verpflichtet. Natürlich würden es nicht alle schaffen, aber ich war, was meine Person betraf, zuversichtlich.

Erneut betrachtete ich die anderen.
Zwar waren wir alle im ähnlichen Alter, aber die meisten wirken noch sehr unerfahren, geradezu unscheinbar - anders als ich.
Ich verkniff mir ein zufriedenes Grinsen und versuchte stattdessen meine Gesichtszüge möglichst neutral zu belassen.
Mangelndes Selbstbewusstsein hatte noch nie zu meinen Schwächen gezählt. Bei den Vorsprechen war ich bisher immer für mein Rap-Talent und mein gutes Aussehen gelobt worden. Ich wusste, was ich drauf hatte, und wenn ich mich mit den anderen hier verglich, würde ich sogar behaupten, dass ich der Bestaussehendste von allen war, somit hatte ich kaum Zweifel, weiterzukommen. Außerdem... Ich musste in die Band kommen. Schließlich konnte ich auf keinen Fall zurück zu meinen Eltern nach Malaysia und etwas studieren, das mir nicht lag.
Ich liebte die Musik, wie ich Gedanken und Gefühle damit festhalten und ausdrücken konnte. Das war es, was ich in Zukunft machen wollte. Es gab keine Alternative.

Erneut wurde die Tür aufgezogen, diesmal war es keiner der Mitarbeiter. Alle Blicke wanderten zu dem Jungen, der soeben den Raum betrat.
Shit!
Er war fast so groß wie ich, die dunklen Haare fielen ihm lässig in die Stirn, als er sich nach einer knappen Verbeugung in die Runde, der Musterung aller stellte. Die fast schwarz wirkenden Augen wanderten ebenso von einem zum anderen, während sich seine Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln verzogen.
Es war seltsam.
Ich sah, wie sich seine Lippen bewegten, doch verstand ich kein Wort. In meinen Ohren rauschte es mit einem Mal zu laut. Mein Mund glich einer Wüste. Ich konnte nichts anderes tun, als ihn anzustarren.
Er sah gut aus. Okay, das war untertrieben. Sein Gesicht war scharf geschnitten, ohne dabei hart zu wirken. Dazu die gerade Nase und die fein geschwungenen Lippen, die ihm etwas Edles verliehen. Es schien so, als wäre er direkt einem Magazin entsprungen. Der war eindeutig zum Star geboren, sicher bewarb er sich hier ebenfalls als Sänger. Es konnte nicht anders sein.
Kurz verengten sich die dunklen Augen, als er mein Starren bemerkte. Es gelang mir nicht wegzusehen, ich war zu gefangen in diesem intensiven Blick.
Verdammt. Wie konnte jemand so gut aussehen?

„Wer ist das?", murmelte ich leise, eher an mich selbst gerichtet als an einen der anderen. Dummerweise hörte einer der Jungs, deren Namen ich bereits wieder vergessen hatte, meine Worte und sah mich irritiert von der Seite an.
„Lee Minho... Er hat sich doch gerade eben vorgestellt. Außerdem war er -"
Abwesend nickte ich und war mit meinen Gedanken schon wieder ganz woanders.
Lee Minho...

Nachwort
So, da ist das zweite Kapitel ^^ ich hoffe, es gefällt immer noch und über Kommentare und Sternchen freue ich mich nach wie vor.
Das 3. Kapitel wird wohl jetzt wirklich länger dauern außer ich hab einen Schreibflash im Urlaub *lach*

Viele Grüße
Luna

Volcano (Minsung)Kde žijí příběhy. Začni objevovat