18 | Konfrontation

66 8 2
                                    

Ich rannte nach draußen.
Ohne Maske, ohne Rücksicht.

Helsinki tat alles in seiner Macht stehende, um mich aufzuhalten, aber er scheiterte kläglich. Angetrieben von Wut und nagender Verzweiflung hörte ich auf vor der Gefahr wegzulaufen. Ich rannte direkt darauf zu.

Palermos größenwahnsinniges Lachen war das letzte, das ich aus dem Inneren der Bank hörte.

Zum ersten Mal seit Tagen spürte ich echte Sonnenstrahlen, die ungehindert meine Haut wärmten. Das helle Licht blendete und inszinierte den blutgetränkten Overall perfekt. Meine Tränen waren versiegt und getrocknet, aber ich wollte nicht wissen, wie mein Spiegelbild aussah.

,,Erschießt mich, na los!", brüllte ich so laut es meine Stimme erlaubte. Wahrscheinlich stand ich in diesem Augenblick in der Ziellinie dutzender Scharfschützen, die nur darauf warteten, einen Schießbefehl zu erhalten. Ich hatte geglaubt die Tränen seien aufgebraucht, aber das war ein Irrtum gewesen. Mir war zu nichts anderes zumute.

Zur Unterstützung meiner Worte streckte ich meine Hände gen Himmel, als wolle ich mich ergeben und präsentierte allen Demonstranten, Polizisten und Sicherheitsleuten meine blutverschmierten Hände. An meinem Handgelenk hing der schneeweiße Verband, den ich Symbol des Friedens präsentierte. Selbst im Krieg wurde es respektiert, aber hier spielte man schon lange nicht mehr nach Regeln und ich war nicht sicher, wie die Polizei damit umging. Ich glaubte nur nicht, dass sie mich vor den Augen Spaniens erschossen, wenn ich meine friedlichen Absichten preisgab - vermutlich.

Der hinterlistige Schuss auf Nairobi legte den Grundstein für ein neues, härteres Spiel. Plötzlich verstand ich die Worte des Professors. Niemand kam lebend aus der Bank von Spanien.

,,Ich möchte mit Alicia Sierra sprechen!"

Nichts regte sich, also wurde ich lauter. ,,Traust du dich nicht?! Bist du so feige geworden, nachdem du auf verachtungsvolle Art meine Frau verletzt hast?!"
Ich schrie mir alles von der Seele, was sich in den letzten Wochen anstaute.
Ich trauerte um Raquel, machte mir Sorgen um Rio und weinte und betete seit Stunden für Nairobi. Drei Freunde, die meiner Mutter und ihren Plänen zum Opfer fielen.

Flankiert von mehreren Polizisten entdeckte ich Mamá, die aus dem Polizeizelt kam und zwischen den Absperrungen für die Demonstranten in einem Selbstbewusstsein auf die Bank zuging, für dass ich sie bewunderte. Sie schien überhaupt keine Sorgen zu haben, dass wir sie für ihre grausame Tat erschossen - natürlich nicht. Der Professor tötete keine schwangeren Frauen. Allein der Fakt, dass sie meine Mutter war förderte ihre Überzeugung darin - ebenso wie ich trotz allem nicht glaubte, dass sie einen Schießbefehl auf mich aussprach. Nur bei Tamayo war ich mir da nicht so sicher.

,,Maddie", begrüßte sie mich knapp und blieb einige Meter vor mir stehen. Ihre Begleiter positionierten sich direkt hinter ihr. ,,Was soll das werden?"

,,Ich heiße Sydney", betonte ich.

,,Hilfst du deinen Freunden nicht beim Doktor spielen? Wenn du deine Freundin wirklich retten willst, dann..."
Sie nickte auf den Krankenwagen, der direkt hinter den Absperrungen parkte.

,,Sie ist nicht meine Freundin. Sie ist meine Frau. Wie konntest du nur?"
Ich hatte geplant die Worte zu schreien, aber meine Wut verebbte so schnell wie sie kam und machte der großen Leere Platz, die mich zu verschlingen drohte.

Ein Moment der Überraschung, dann glätteten Alicias Gesichtszüge sich wieder. Aber eine Antwort blieb aus. Sie wusste selbst, dass es keine Rechtfertigung gab und würde mich auch nicht um Vergebung anbetteln. Das war nicht ihre Art.

,,Was wirst du diesem Kind sagen, wenn es älter ist?", fragte ich und blickte kurz auf den kugelrunden Bauch meiner Mutter. Ich fand es immer noch absurd in Kürze einen Bruder oder eine Schwester zu bekommen. In jeder anderen Lebenslage hätte ich mich gefreute, aber jetzt spuckte ich ihr die Worte meiner Verbitterung regelrecht entgegen. Ich verstand einfach nicht mehr, was in ihrem Kopf vor sich ging ,,Du hast eine große Schwester, aber sie spricht nicht mit mir, weil ich ihre Frau getötet habe. Weil ich ein anderes Kind dazu benutzt habe, eine wehrlose Frau zu erschießen, die nur ihren Sohn sehen wollte?"

Mein Herz raste vor Aufregung. Die Luft war mit Spannung geladen und mit jeder Sekunde, die ich hier draußen stand, ging ich noch mehr Risiko ein. Alicia gähnte seufzend. ,,Wie oft wollen wir das noch durchkauen? Es ist immer dieselbe Leier. Du bist mit Nairobi fortgegangen und bist dabei das Gold der Regierung zu stehlen. Was hast du erwartet, wie das ausgeht?"

Ich lachte freudlos. ,,Du hasst sie deswegen oder? Weil ich ihretwegen gegangen bin."
Fassungslos schüttelte ich den Kopf. ,,Ich verstehe, dass du Polizistin bist und gegen uns arbeitest. Aber was du getan hast... Hast du jeden Bezug zur Realität verloren? So sehr KANN ich dir nicht wehgetan haben!"

Rio. Raquel. Nairobi.
Alicia hielt nie viel von Protokollen und setzte ihre verrückten Ideen durch, um Verbrecher zu fangen. Sie tat was sie wollte. Dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass es hierbei um etwas Persönliches ging.

Ein Schimmer huschte in Alicias Augen. Verletzlichkeit? Nein, ich hatte es mir eingebildet. Gedankenverloren strich sie über ihren Bauch, dann sah sie auf und zählte beim Sprechen mit ihren Fingern mit. ,,Drei Gründe, warum ich mache, was ich mache: Erstens, weil ich es kann. Zweitens, weil ich es kann. Drittens... weil ich es kann."

Ich rollte die Augen und ballte meine Hand zu einer Faust zusammen. Die unterstützenden Jubelrufe der Demonstranten bestärkten mich in meinem Tun. ,,Nairobi wird überleben. Sie wird leben, hörst du? Und was Raquel angeht - Ich hoffe aus ganzem Herzen, dass Gérman heute noch seine Koffer packt und wenigstens für einen verdammten Tag aus deinem Haus verschwindet. Dann realisierst du vielleicht endlich, wer du geworden bist! Es hätte gereicht sie zu verhaften, stattdessen ermordest du eine unbewaffnete Frau auf ihren verdammten Knien!"

Ich hatte nicht geahnt, was ich mit meinen Worten anrichtete. Alicias Gesichtsausdruck verhärtete sich. Sie war... Ich konnte es nicht beschreiben.
,,Geh."

,,Was ist denn... -"
Instinktiv ging ich einige Schritte in Alicias Richtung und bereute es augenblicklich. Sämtliche rote Lichtpunkte schwebten wie gefährliche Bomben kurz vor dem Explodieren an meinem ganzen Körper. Die Scharfschützen warteten nur auf ihren Befehl.

Wie erstarrt blieb ich stehen und nahm die Hände nach oben, um ihnen zu zeigen, dass ich unbewaffnet war. Ich sollte sofort in die Bank rennen, aber ich war wie festgefroren.

,,Auf den Boden!", brüllte ein Polizist links neben Alicia von der Spezialeinheit. Völlig überfordert wagte ich nicht, mich in irgendeiner Art und Weise zu regen.

Stattdessen setzte Mamá sich in Bewegung und schob sich direkt vor mich, sodass die vielen roten Lichtpunkte auf ihrem Körper schwebten. Perplex starrte ich sie an und hörte, wie sie in das Funkgerät sprach. ,,Nicht schießen, es handelt sich um ein Missverständnis. Ich übernehme die volle Verantwortung für diese Entscheidung."

Der Geruch Ihres bitteren Zironenshampoos stieg in meine Nase. Sie roch so vertraut, dass ich mir schmerzlich wünschte unsere Probleme aufzuarbeiten und sie in den Arm zu nehmen. ,,Alicia, was tust du?", vernahm ich Tamayos wütende Stimme aus dem Funkgerät.

,,Einen Krieg verhindern. Diese Menschenmasse rennt uns die Türen ein, wenn wir sie vor den Augen Spaniens erschießen. Insbesondere nach den Ereignissen der vergangenen 24 Stunden. Die Presse zerfetzt dich, mich, Suarez, selbst die Katze deiner verdammte Großmutter."

Ich wollte etwas erwidern. Auf Nairobi und Raquel hatten sie ebenso grundlos geschossen, aber das hatte niemand gesehen. Es spurlte sich mehrim Hintergrund ab. Ich stand buchstäblich vor den Türen und sah aus, als wolle ich mich ergeben.

Mamá schaltete das Funkgerät aus und drehte sich um. ,,Ruf mich heute um Mitternacht auf dem Handy an, dass ich Nairobi gegeben habe."

Aus dem Augenwinkel heraus sah ich vier Polizisten, die langsam näherkamen - vermutlich um Alicia in Sicherheit zu bringen. Sie stand viel zu nah bei mir. ,,Warum sollte ich das tun? Willst du mich ans Fenster locken und erschießen?"

Alicia entfernte sich langsam von mir. Ihr durchdringender Blick jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. ,,Ich habe dir etwas verschwiegen und angesichts dessen was in den letzten Tagen vorgefallen ist.... Du hast die Wahrheit verdient. Er hat gewollt, dass du es erfährst."

Ich wollte nachhaken, aber die Spezialeinheit nahm sie in Beschlag und als ich mich umdrehte sah ich zwei meiner Komplizen mit Dalí Masken und Gewehren, die mir Feuerschutz geben sollten falls es hart auf hart kam. Allein von der Statur vermutete ich Helsinki und Denver.

Meine Gedanken hingen woanders. Meine Wut war so gut wie verpufft, ließ anderen Fragen Spielraum.

Was wollte sie mir heute Nacht sagen?









Criminal Passion [2] ˡᵃ ᶜᵃˢᵃ ᵈᵉ ᵖᵃᵖᵉˡWhere stories live. Discover now