𝟏𝟗

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Odesa
Düsseldorf
November 2022

"All the pretty stars shine for you my love!", singe ich laut mit während ich etwas Vanillezucker in die Teigmischung schütte. Ich befinde mich gerade in der Küche und backe einen leckeren Himbeerkuchen für Khadijah. Ich fühle mich so gut, so frei. Ich fühle mich wie ein federleichter Vogel, der durch die tiefsten Wälder fliegt. Umgeben von Freiheit und Glück. Ich wippe zur Musik mit und lasse mich von der Melodie treiben. Khadijah wollte mich doch anrufen? Ich sehe auf die Uhr. Es ist schon Abends. Hmm ... Irgendetwas stimmt aber nicht. Abgesehen von der lauten Musik und meiner grässlichen Stimme ist es sehr ruhig. Zu ruhig. Wollte sie mich nicht anrufen? "I'll wait for you, babe!" Ich decke die Teigmischung mit einer Klarsichtfolie ab und stelle sie beiseite. Anschließend greife ich nach meinem Handmixer, womit ich etwas Sahne steifschlage. Ich liebe Himbeeren. Ich liebe sie so sehr, dass ich sie küssen würde. Warte Mal? Ich dachte ich mag Zitronen. Oder mag ich Zitronen doch wieder nicht? Ich sehe nach oben und blicke meine weiße Decke an. Irgendwas ist komisch.

Plötzlich klingelt mein Haustelefon. Das muss Khadijah sein! Ich springe hyperaktiv auf und wische mir etwas Mehl an meiner Schürze ab. Eilig laufe ich aufs Telefon zu und greife schnell nach dem Hörer. "Khadijah! Ich dachte du wolltest mich vor Stunden anrufen?", frage ich gespielt verärgert. Ich hoffe ihr wird der Zitronenkuchen gefallen, sie liebt doch Zitronen. Bestimmt wird er ihr gefallen, immerhin habe ich ihn für sie gebacken. Ich lecke mir über die Lippen und ziehe meine Augenbrauen zusammen. Ich höre ein lautes Keuchen aus meinem Hörer. Das ist nicht Khadijah. Was ist denn hier los? "Hallo? Wer ist da?", frage ich verwirrt und lehne mich gegen meine Wand. Ein dunkler Schatten legt sich über meine Wohnung. "Hallo?", frage ich erneut mit zitternder Stimme. Was passiert hier? Ich schaue nach unten und plötzlich ist meine Kochschürze weg. Warum trage ich denn plötzlich ein weißes Kleid? Warte! Ich erinnere mich doch an dieses Kleid. "Ich habe doch gesagt, dass ich dich finden werde." Ich erstarre.

Plötzlich zerfällt meine Welt. Meine Wände zerreißen. Der Himmel fällt und meine Hände sind verbunden. Blut fließt an den Wänden herunter. Es stinkt nach Rauch und Feuer. Meine Küche steht in Flammen. Meine oder die der Bäckerei? Was passiert hier? Ich verliere das Gefühl von Raum und Zeit. Alles passiert so schnell. Plötzlich spüre ich Hände auf meinem Körper. Sie berühren mich, kratzen mich, schlagen mich. Sie brandmarken mich. "Hilfe!", ruft eine Frau und verwirrt drehe mich um. Hier ist niemand. Alles brennt. Wo bin ich? "Hast du mich vermisst?", flüstert eine dunkle Stimme in mein Ohr. "Ich werde dich finden." Ich kneife beängstigt meine Augen zusammen. "Ich werde dich finden.", ertönt wiederholt die Stimme. Ich spüre wie ich am lebendigen Leib brenne. "Hilfe!", ruft diese eine Frau wieder. Ich kann mich nicht bewegen, ich kann nichts sagen. Pure Hitze erstellt Kunstwerke auf meiner zerschmolzenen Haut. Sie arrangiert meinen Körper neu. Sie malt neue Farben auf mein verbranntes Herz. Es hängt wie ein Stück Hähnchen gegrillt zwischen den trostlosen Seelen, die meinen Namen schreien.

"Soll ich dich gut fühlen lassen?"  "Ich werde dich töten."  "Du Schlampe."  "Soll ich dir die Kehle aufschlitzen?" "Oder soll ich dich lieber richtig ficken?" "Ein Wort und du stirbst." "Ist es nicht der eine Bruder, dann ist es der Andere." "Ich töte dich." "Denkst du ich heirate dich, nachdem ich dich schon gefickt habe?" "Hilf mir." "Ich hinterlasse dir nur ein schönes Kunstwerk." "Du verfickte Hure." "Ich habe dich gefunden und werde dich jetzt niederbrennen."

Ich sinke und sinke. Ich falle tief und kehre nicht zurück. Nein, ich kehre Heim. Heim bei den Flüchen, den Geistern und Kreaturen. Heim ist, wo mein Schmerz liegt und wo meine Angst wohnt. Ich bin Heim, endlich bin ich Heim.

TränenblindTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon