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Odesa
Düsseldorf
September 2022

»Du hast mich angerufen.«

Daniel blinzelt mich besorgt an, während ich den Blick meide. Als wir uns das letzte Mal sahen, haben wir Nummern ausgetauscht. Und da ich und Khadijah zerstritten sind und ich weiß, dass Adem mir nicht glauben wird, war Daniel die letzte Person die ich kannte und vertraue. Daniel steht in Zivilkleidung vor mir und tritt langsam in meine Wohnung ein. Er lächelt mich sanft und doch vorsichtig an. Ich nicke ihm leicht zu und trete zur Seite. Daniel will mich gerade umarmen, doch ich zucke automatisch stark zusammen. Seine Augen weiten sich.

»Bitte fass mich nicht an.« Daniel stockt in seiner Bewegung. »Was ist passiert?« Er zieht streng seine Augenbrauen zusammen und mustert mich kurz. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich konnte nicht. Zerbrochen war meine Sicherheit. Sie wurde mir genommen. Man hat sie mir weggenommen. Wie ein verlorenes Kind saß ich auf den Boden in der Hoffnung, dass mich jemand retten würde. Ein Held, ein Märchenprinz oder ein Märtyrer. Doch dieser Schutz spielte sich nur wie ein Film in meinem Kopf ab. Ab den Moment, wo ich meine Augen ein weiteres Mal öffnete, sah ich nur Angst. Die Angst reflektierte sich in meinen Augen wider, beobachtete mich aus meinem Fenster und versteckte sich unter meinem Bett. Und wenn die Angst dein bester Freund wird, fängst du an dich in die Paranoia zu verlieben.

Die ganze Nacht habe ich nach Kameras in meiner Wohnung gesucht, doch vergeblich. Jede einzelne Ecke habe ich durchstöbert in der Hoffnung eine Ende zu finden. Jedes Kissen wurde erhoben, jedes Regal umgeworfen und jedes Versteck wurde enthüllt. Ich wurde jedoch enttäuscht. Anstatt dass die Erlösung wie eine sanfter Regen auf mein Herz prallt, hat der völlige Wahnsinn sich in meine Tränen verirrt. Wie erstarrt saß ich in der Ecke meines Wohnzimmers, hin und her wippend und verkrampft am ganzen Körper. Der Schlaf verabschiedete sich von mir und meine Träume kehrten mir den Rücken zu. Als die Starre endlich ein Ende fand, fand ich mich in der Suche nach Schutz wieder und die führte mich zu Daniel. »Odesa, rede mit mir.« Daniel legt besorgt seine Tasche auf eine Ablage und blinzelt leicht perplex. »Fotos.«, murmle ich stockend. Eine Stille begegnet uns und weht zwischen unausgesprochenen Fragen. Sein Gesicht verdunkelt sich. »Was für Fotos?« Ich antworte ihm nicht und nicke ihm nur leicht zu. Ich ziehe meinen großen Pullover runter in der Hoffnung mich darin verstecken zu können. »Komm mit.«, flüstere ich tränennah.

Langsam öffne ich die Tür zu meinem Zimmer und höre Daniel's vernehmbares ausatmen. »Odesa ...« Ihm fehlen die Worte und ich höre wie er laut schluckt. Langsam betritt er mein Zimmer und hebt einer der Bilder auf. Ich spüre wie sein ganzer Körper sich anspannt. Eine dunkle Aura fällt über Daniel und mein Herz hört für ein kurzen Moment auf zu schlagen. Völlig verkrampft steht er da mit einem Bild von mir in der Hand, welches er langsam hart zerknüllt. »Seit wann?« Seine Stimme klingt gefährlich ruhig, doch trotzdem zucke ich zusammen. Seine dunklen Augen finden meine. Eine Gänsehaut bildet sich auf meinen Armen. In seinen Augen schlummert ein Feuer, welches rasend wächst. In diesem Augenblick erinnert mich Daniel an die Person, die er einmal war und ich kann nicht einschätzen, ob das etwas gutes oder schlechtes ist. »Seit wann Odesa?«, fragt er erneut. Ich wimmere leise und umarme mich fester.

»Ich hatte vor ein paar Wochen das Gefühl, dass Jemand in meinem Zimmer war.«, flüstere ich und schließe anschließend meine Augen. Ich höre ein lautes Schnauben. »Und du schweigst?« Mein Herz zieht sich zusammen. Seine Worte sickern ein und eine Träne kullert über meine Wangen. Daniel hat es nicht so gemeint, doch trotzdem hat er ein wunden Punkt in mir getroffen. Ich habe mir selbst geschworen, dass ich niemals zu der schweigsamen Frau werde dessen Lächeln ich trage. Ich wollte nicht schweigen ... niemals. »Ich bin zu Adem gegangen und es gab keine Indizien dafür ...« Gegen dem Ende klinge ich stark verunsichert. Daniel setzt einen Schritt nach vorne. »Weißt du wer es sein könnte?« Eine kleine Vorahnung bildet sich wie ein Gemälde vor meinen Augen, doch diese verdränge ich wieder. Ich möchte nicht über die Schandtaten meines dasein nachdenken, nicht jetzt. Ich schüttle meinen Kopf. Daniel seufzt laut aus und legt sein Gesicht in seine Hände.

TränenblindWhere stories live. Discover now