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TRIGGER WARNING

Odesa
Düsseldorf
Oktober 2022

»Ein Wort und du stirbst.« Ich spüre seinen heiseren Atem gegen mein Nacken und wimmere leise auf. Passiert mir das gerade wirklich? Panik vernebelt mein Denkvermögen. Das Gefühl von der Klinge an meinem Hals hebt ein grausames Bedürfnis hervor. Das Bedürfnis sich dagegen zu drücken. Mein warmes Blut auf meiner Haut zu spüren, wie es tropft und fließt. Vielleicht wache ich dann aus meinem Albtraum auf. Vielleicht finde ich so meine Erlösung. Meine Vollkommenheit. Meine Glückseligkeit. Vielleicht ist das der Ausweg. So vergänglich ist mein lebendiges Leid. Mein warmes und tobendes Herz ist nichts weiteres als ein Organ, welcher nach meiner Anordnung, eine langersehnte Pause beginnt. Wenn ich es tue und nicht er, habe ich dann gewonnen? Ist es mein Sieg? Mein Hals pulsiert unter der Klinge. Ich spüre wie mein warmes Blut von der Klinge angelockt wird. Vielleicht wird es Zeit für ein Ende. Vielleicht sollte ich ein für alle Mal meine Augen schließen, um nicht mehr tränenblind zu leben.

Die Angst fließt in tiefen Wellen durch mein Gehirn und verbreitet eine Flut von Panik. Mein Blick fällt auf die Hand vor mir. Er trägt schwarze Lederhandschuhe. Seine rechte Hand drückt fest gegen meinen Mund und dämpft jedes Gewimmer ab. »Psshh ...« Seine andere Hand spielt mit meinen Strähnen. Ich zucke stark zusammen. Der Mann hinter mir lacht leise. »Hallo? Wer ist da?«, ertönt es noch einmal aus dem Telefon. Ich kann mich nicht bewegen. Ich kann kein weiteren Atemzug nehmen. Ich bin nichtmal in der Lage eine Träne zu vergießen. »Ich werde jetzt dieses Telefon aufheben und den Anruf beenden. Solltest du auch nur ein Mucks von dir geben oder versuchen zu fliehen, dann wirst du das nicht überleben. Hast du mich verstanden?«, flüstert er düster in mein Ohr. Ein kalter Schauer fährt über meinen Rücken. Zitternd nicke ich und spüre dabei ein Lächeln an meinem Hals. »So gehorsam.«, flüstert er höhnend. Ich schließe schluckend meine Augen und versteife mich, als ich ein feuchten Kuss auf meinem Hals spüre.

Falls ich diese Nacht nicht überlebe, dann lasse sie wissen, dass ich ein unvollkommenes Leben gelebt habe.

Die Klinge streift sanft meine Haut und hinterlässt eine leichte Kratzspur. Gänsehaut bildet sich auf der berührten Stelle. Sobald seine umhüllte Hand meine Lippen verlässt und seine Präsenz entwicht, atme ich laut aus. Sehnsüchtig sehe ich auf das Telefon. »Hallo?«, hakt Agon erneut genervt nach. Bitte bemerk etwas! Kannst du meine Angst nicht spüren? Kannst du nicht das Geflüster hören? Hör auf dein Bauchgefühl, Agon. Etwas stimmt nicht. Du musst es doch spüren, du musst— Ein maskiertes Gesicht grinst mir entgegen. Ich schrecke zurück bei dem Anblick schwarzer Augen. Mein Herz tobt in meiner Brust und ich bleibe stockend stehen. Mein ganzer Körper zittert vor Panik. Er trägt eine schwarze Skimaske und schwarze Kleidung. Dazu seine schwarzen Lederhandschuhe und Lederstiefel. Er legt seinen Kopf schief und leckt sich über die Lippen. »Keine Bewegung.« Er wirkt wie eine Kreatur. Ein Monster geboren in Macht und getränkt in verfluchtes Blut. Er ist der Inbegriff aller meiner Albträume. Der Schatten meines Wahnsinns und dennoch stets auf der Lauer. Er lechzt nach mir, zerrt nach mir. Er will und braucht mich. Meine Angst ist eine Befriedigung für ihn.

Schweißtropfen fallen über meine Stirn. Der maskierte Mann beugt sich langsam runter und hebt mein Haustelefon auf. Meine Augen weiten sich. Ich beiße meine Zähne zusammen und verkneife mir ein Ton, als seine Augen meine finden. »Rede doch!«, ertönt Agon's genervte Stimme aus dem Hörer. Bitte. Ein Lächeln legt sich um die Lippen eines Monsters. Langsam führt er seinen Zeigefinger zu seinen Lippen und blickt mich mit halbgeschlossenen Augen an. Ich verziehe winselnd meinen Mund. Meine Hände liegen steif auf meinen Hüften und langsam zerknülle ich meine Jogginghose in meiner Hand. Ich drücke so fest wie ich kann. Bis meine Knöchel weiß werden, bis meine Nägel schmerzhaft gegen meine Handfläche drücken. Bis der stechende Schmerz auf meiner Haut, die Angst in meinem Herzen in Luft auflöst. Sein Lächeln wird größer. Seine verdorbene Seele und seine dämonischen Augen lüstern nach mir. Sie sehnen sich nach Völlerei und ergötzen sich in meinem Leid. Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen. Bitte ... Agon. Sehnsüchtig blinzle ich aufkommende Tränen weg. Ich vermeide den Blick des Teufels und höre nach der Stimme des Engels. »Hurensohn.«, ertönt es aus dem Hörer und plötzlich wird der Anruf beendet.

TränenblindWhere stories live. Discover now