4. Abend

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Die Zwerglinge haben es eilig und bereits ihre Plätze auf dem Kissenberg eingenommen. Thorin schiebt sich noch ein Kissen in den Nacken und langt nach einer Gebäckschale, die ihm von einem Bediensteten gereicht wird. Mit einem breiten Grinsen, das keineswegs dazu geeignet ist, seine Zufriedenheit zu verbergen, nimmt er sie entgegen. Dass er vor lauter Glücklichsein den Dank vergisst, scheint der dienstbare Zwerg ihm zu verzeihen. Ist doch das Lachen des jungen Zwergs so ansteckend, dass sich niemand dem entziehen kann.
Tatsächlich niemand? Nun, zumindest kaum jemand. Nár wirft ihm einen scharfen Blick zu, woraufhin Thorin ertappt seinen senkt und ein leises Danke murmelt.
Der Gefährte des Königs unter dem Berg lächelt und wendet sich den beiden Zwergen zu, die nur wenige Winter älter sein können als Thorin. »Habt Dank für eure Hilfe. Ohne euch wären unsere Abende nicht das, was sie sind.«
»Wir müssten dann alles selbst machen!«, ruft Frerín und trotz vollem Mund und Kekskrümel grinst er breit.
Während Thrór die vorlaute Frechheit des blonden Zwergenprinzen überhört und den gewürzten Wein genießt, kann es Nár nicht. Ein weiterer scharfer Blick trifft auf einen, der beschämt gesenkt wird und ein genuscheltes »Verzeiht« folgt.
Mit dem Erfolg der stummen Interaktion zufrieden, wendet sich Nár den Zwergen wieder zu, die keineswegs den Anschein machen, als würden sie das Gemach verlassen wollen.
»Verzeiht, Herr Nár«, beginnt der eine, den Nár als Goran kennt, nach einer höflichen Verbeugung. »Wir hätten eine Bitte an Euch und den König und die Hoheiten.«
Nun hat er das Interesse aller Angesprochenen und es ist deutlich zu merken, wie sich sein Mut, den Gefährten des Königs anzusprechen, wie Morgennebel im Sonnenschein aufgelöst hat.
»Nun?« Thrór hat den Becher zur Seite gestellt und erhebt sich aus dem Sessel mit einem unköniglichen Ächzen. »Was wünscht ihr, Herr Goran und Herr Boran aus dem Hause Ran? «
Unwillkürlich sind die Zwerge einen Schritt zurückgewichen. »Ihr kennt uns, Herr?«, fragt Goran ganz überrascht und erfreut und scheint sein Anliegen vergessen zu haben.
»Wer kennt nicht Ran? In den Hallen spricht man nur mit Wohlwollen und Hochachtung von ihm und wir bedauern, dass Aule ihn zu sich befohlen hat. Jeden Morgen war er der erste auf den Beinen und hatte die Feuer geschürt. Egal, ob nun im Herd oder der alten Esse, an der die besten Schmiede des Berges arbeiten. Auch ich habe von dem guten Ran profitiert. Sobald ich den Thronsaal betrat, war es angenehm und ich fror nicht mehr an diesem vermaledeiten Steinstuhl fest.«
»Thrór!«, wird er von Nár sanft zurechtgewiesen.
Der König schüttelt das Haupt. »Na ist doch wahr! Meine Ahnen hatten entweder einen Glutkessel unterm Thron versteckt oder ihre Är...Allerwertesten waren so gut gepolstert, dass sie die Kälte nicht spürten.«
Dís kichert. »Du könntest dir ein Kissen geben lassen.«
»Das könnte ich durchaus«, gab Thrór nach kurzem Zögern zu. »Aber dann würde ich nicht Ran so sehr vermissen, wie ich es zur Zeit tue. Der Berg ist verflucht eisig diesen Winter.«
Nár sieht ihn mit erhobener Augenbraue an. »Wenn du nichts sagst, kann ich dich nicht daran erinnern. Und hinterhertragen werde ich dir ein Kissen ganz bestimmt nicht.«
»Ich ...«, beginnt der König. Aber dann ist ein leiser Ton zu vernehmen, der nicht aus der Richtung des Kissenbergs kommt und verdächtig wie ein unterdrücktes Kichern klingt. »Nun?«, fragt Thrór ein weiteres Mal und lenkt seine Aufmerksamkeit wieder auf die beiden Zwerge. Jetzt ist er wieder ganz der König, auch wenn er Hausmantel und Pantoffeln trägt. »Was ist euer Wunsch oder Bitte oder ... wie auch immer.«
Goran verneigt sich ein weiteres Mal und Boran folgt seinem Beispiel. »Herr, wir hatten in den vergangenen Jahren hin und wieder einige kurze Einblicke in Eure Märchenabende erleben dürfen und die Geschichten, die Ihr erzählt habt, haben uns tief berührt.« Als müsste ich sich der Anwesenheit und des Rückhalts seines Bruders versichern, blickt er über die Schulter zu ihm. Nur kurz, aber lange genug, um den Mut aufzubringen, den Damm einzureißen, der seine Bitte bisher zurückgehalten hat. »Gestattet uns, dem heutigen Abend beizuwohnen und Ihnen zu lauschen.«
»Wir würden uns in die hinterste Ecke setzen, dorthin, wo kein Feuerschein fällt. Ihr würdet uns überhaupt nicht bemerken«, setzt Boran eilig hinzu.
»Nun.« Nachdenklich schiebt Thrór die Unterlippe vor, die Stirn grüblerisch gekraust. Er blickt zu Nár, der ihn gespannt beobachtet, dann zu den Zwerglingen, die ganz still sind, und schließlich zu den dienstbaren Zwergen. »Ich fürchte, ihr habt Pech, Söhne von Ran. Ich lasse nicht zu, dass uns irgendwer in dunklen Ecken belauscht«, sagt er. Hinter ihm ist ein erschrockener Laut zu hören und Nár neben ihm grummelt etwas von einem halsstarrigen und verbohrten Zwerg. »Ihr habt es nicht anders verdient, als ...«
»Thrór!«, ruft Nár nun aus und auch die Zwerge sehen ihn erschrocken an.
»... mit uns am Feuer zu sitzen.«
Atemlose Stille. Nur das Knacken der brennenden Scheite und das Schlagen der Feuerzungen im Luftzug des Kamins sind zu hören.
»Du alter Trottel!« Ein harter Schlag trifft den Arm des Königs. »Wie kannst du uns so einen Schrecken einjagen? Sieh dir nur an, was du angerichtet hast!« Dabei deutet er auf Goran und Boran und auf die Zwerglinge. Frerín und Thorin wirken, als wüssten sie nicht, was nun Scherz und was Ernst ist und Dís Wangen glänzen nass von Tränen.
Leise schnieft sie und wischt sich über das Gesicht. Sofort ist Thrór bei ihr, schließt sie in die Arme, murmelt beruhigende Worte. »Das war doch nur ein Scherz, meine kleine Dís. Ich würde doch niemanden vor die Tür setzen, wenn er Märchen mag und so herzensgute Zwerge Erstrecht nicht.« Dabei streichelt er ihr über den Kopf, ihre Schultern und auch über die traurig herabhängenden Zöpfe.
»Du hast mir Angst gemacht«, flüstert sie in seinen weichen Fellkragen. »So kenne ich dich nicht und will dich auch nie wieder so reden hören.«
»Wie mein Schatz befiehlt«, sagt er und blickt zu den Prinzen. Um Thorins Lippen zuckt es verräterisch, als wüsste er nicht, ob er lachen soll, weil der Scherz so gut gelungen ist. Trotzdem ist ihm die Erschütterung anzusehen, aber mehr noch bei Frerín. »Versprichst du es?«, hakt er nach, muss sich dessen versichern.
Thrór streicht ihm durch die Locken, die noch immer so weich wie die eines kleinen Zwerglings sind. »Ich verspreche es.«
»Das ist auch gut so!«, schimpft Nár und packt mit an, um zwei weitere schwere Stühle zum Kamin zu tragen, wo sie den Halbkreis um den Berg vervollständigen. »Mach nochmal so einen Blödsinn und wir sind geschiedene Leute. König hin, König her.« Dann sieht er die Bediensteten an und hebt einen Zeigefinger. »Bedenkt: Was hier gesprochen wird, bleibt in diesen Räumen.« Eiliges Nicken folgt seiner Ermahnung und zufrieden blickt er in die Runde. »Wenn nun alles bereit ist, können wir beginnen.«

Von Elben und FischenWhere stories live. Discover now