2. Abend

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Thrór und sein Gefährte sitzen sich wie immer am Tisch gegenüber. Die Schale mit dem Winterobst und den Nüssen ist weit zur Seite geschoben, um ausreichend Platz für den Schinkenbraten, die Käseplatte, einen Korb mit Brot sowie eine weitere Platte mit verschiedenen Wurst- und Fleischaufschnitten zu schaffen. Daneben sind mehrere Schälchen mit verschiedenen Aufstrichen und eingelegtes Gemüse aufgetischt, die der Tafel ein buntes, ansprechendes aber vor allem einladendes Aussehen geben.

Zufrieden mustert der König den Tisch und reibt sich die Hände, während die dienstbaren Zwerge im Hintergrund still und verhalten alles für den Abend und die jungen Gäste vorbereiten.
»Sag mal, mein Lieber, was hast du dir eigentlich dabei gedacht?«

Die Frage seines Geliebten reißt Thrór aus seiner Begeisterung für all die Köstlichkeiten und die Vorfreude auf die Märchenzeit. »Gedacht? Wobei?«

Eine Augenbraue seines Gegenübers wandert nach oben. Eine Geste, die gleichermaßen skeptisch, wie auch spöttisch ist. »Sauron«, bringt Nár den vergangenen Abend in Erinnerung.
Thrór lehnt sich zurück. Das Abendmahl ist vergessen. Zumindest für den Augenblick und ebenso lange zieht er in Erwägung zuzugeben, dass er sich überhaupt nichts bei der Wahl des Namens für den Märchenprinzen gedacht hat. »Er erschien mir passend für das, was ich mir gedacht habe.« Unbestimmt zuckt er mit den Schultern und angelt eine Scheibe Brot aus dem Korb.

»Du hast dir also überhaupt nichts dabei gedacht«, stellt Nár zielsicher fest und wirkt äußerst unzufrieden. »Und warum ausgerechnet dieses Märchen? Es ist traurig und herzlich wenig dazu geeignet, einen gemütlichen Abend zu verbringen. Wie die Zwerglinge schon sagten: Wir werden haufenweise Schnupftücher benötigen und Rotz und Wasser heulen.«

Seltsamerweise guckt der König nach diesem Geständnis ganz verträumt. »Hach!«, macht er und: »Wenn es wirklich so sein sollte, dann wäre es das aller, aller größte Lob für meine Erzählkunst, das ich mir wünschen könnte. Aber ich gebe zu, dass ich mir noch nicht ganz sicher bin, ob es wirklich so tränenreich sein wird.«

»Du haderst?«

Betrübt nickt Thrór. Dass er nebenher das Brot auseinanderzupft, nimmt er kaum wahr. »Schon die Tage, als Dís mich aufgesucht und geweint hat, hat es mir schier das Herz zerrissen. Wie also soll ich eine Geschichte erzählen, mit der ich sie und euch zum Weinen bringe? Lob ist schön und gut, aber ein Lachen ist ein Ausdruck von Glücklichsein. Tränen dagegen ...«

»O, mein Liebster!«, ruft Nár aus, schiebt seinen Stuhl zurück und kommt eilig um den Tisch herum. Neben dem König sinkt er auf die Knie und ergreift seine Hand. »Wie schlecht du doch manche Gefühlsäußerungen verstehst. Wenn jemand Tränen vergießt, muss es nicht aus Trauer und Schmerz sein. Es kann auch von lauterem Glück sein, weil auch Glücklichsein schmerzen kann. Es kommt auf die Situation an.«

»Ist es so?«, fragt Thrór und streicht seinem Gefährten über die Wange. »Schmerzt mir deswegen das Herz und treibt mir die Tränen in die Augen, weil Aule mich damit beschenkt, dass ich meine liebsten Zwerge so heimelig miteinander umgehen sehen darf? Dass ich meinen Gefährten über alles liebe und es ihm jeden Tag aufs Neue beweisen darf?« Tatsächlich schimmern Tränen in seinen Augen und auch in denen von Nár.

Dieser muss sich räuspern, um einen geraden Ton herauszubringen. »Sag du es mir. Wenn du die Frage mit einem klaren Ja beantworten kannst, dann ist es Glück, das dein Herz schmerzen lässt.« Mit einem Ächzen erhebt sich Nár und nimmt nur zu gern die Hand des Königs und dessen Stuhllehne als Aufstehhilfe in Anspruch. »Es könnte natürlich auch nur das Alter sein, mein geliebter Zausel«, setzt er mit einem frechen Zwinkern hinzu, ehe er zu seinem Stuhl zurückkehrt.

Von Elben und FischenWhere stories live. Discover now