3. Abend

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»Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht«, murmelt der König. Er hat es sich bereits im Sessel gemütlich gemacht und blättert durch die Seiten des Märchenbuchs. Ohne auf der Suche nach einer bestimmten Geschichte. Einfach nur, um die Finger zu beschäftigen und ohne darüber nachdenken zu müssen, weil er ein so großes Problem zu begrübeln hat, das alles andere in den Hintergrund drängt. »Das Märchen funktioniert nicht«, verkündet er schließlich und zur Bekräftigung seiner Behauptung, schlägt er mit der Faust auf die gepolsterte Armlehne. Der dumpfe Ton klingt genauso unbefriedigend, wie er sich fühlt.

»Das hast du im letzten Jahr auch gesagt«, sagt Nár vom Tisch her, wo er den bediensteten Zwergen leise Anweisungen gegeben hat, die noch vor der Ankunft der Zwerglinge zu erledigen sind. Nun kommt er zum König herüber und legt ihm eine Hand auf die Schulter. Sanft drückt er sie. »Du zweifelst schon wieder, mein Lieber. Das hast du die anderen Jahre bereits und denke nur daran zurück, wie die Märchen geworden sind. Die Kinder lieben sie und ich auch.«

Trotz seiner gedrückten Stimmung muss Thrór lachen. »Ja, insbesondere die besonderen Kapitel, die für kleine Zwerglinge nicht gedacht sind.«

»Ach, tatsächlich?« Nár tut ganz erstaunt. »Ich dachte, es ging um Liebe.«

»Sag es ruhig«, wird er von seinem Gefährten aufgefordert. »Sag ruhig, dass es um das Liebe machen ging, um die körperliche Vereinigung, um das Versinken und sich Fallenlassen.«

Nárs Wangen glühen. Das spürt er sogar in den Händen, mit denen er sie verdeckt. »Du machst mich ganz verlegen.«

Thrór betrachtet seinen Liebsten und er ist ihm nie schöner erschienen. »Schämst du dich meiner Worte?«

Nár lässt die Hände sinken und stemmt sie stattdessen auf die Hüften. »Ich schäme mich für die Worte eines liebestollen Greises, der glaubt, noch immer wie im Frühling seines Lebens über die Wiesen springen zu können.«

»Ich hätte dich gern in meinem Frühling gekannt.« Neckend neigt der König den Kopf zur Seite und zwinkert verschmitzt zu einem Liebsten auf. »Ich kann dir versichern, dass ich dann nicht über die Wiesen gesprungen wäre. Es gibt besseres, was man im weichen Frühlingsgras machen kann.«

Belustigt funkelt es in Nárs Augen und nur mühsam kann er sein Lachen unterdrücken. »Willst du etwa behaupten, dass du dann mein Blümchen gepflückt hättest? Sei dir gesagt: Ganz Erebor hätte dir dann zusehen können, weil das erste Grün kaum Handbreit hoch ist. Dein Volk würde glauben, dass am helllichten Tag der Mond aufgeht.«

Nun sind es die Wangen des Königs, die rot wie Winteräpfel leuchten. »O je. Ist das wirklich so? Also ich meine das Gras. Im Herbst ist es doch noch so hoch.«

»Willst du jetzt mit mir das Wachstum von Grünzeug erörtern?«

»Das müssen wir leider auf später verschieben«, sagt Thrór augenscheinlich betrübt. »Ich glaube, ich höre die Zwerglinge. Sie werden gleich hier sein.«

Tatsächlich wird Augenblicke später die Tür aufgedrückt und Thorin sowie seine jüngeren Geschwister betreten das Zimmer. »Wir sind schon dahaaa!«, trällert Dís und versinkt in einem eleganten Knicks. »Und wie ich sehe, erwartest du uns bereits.«

Einladend deutet er auf den Kissenberg und die bereitgestellten Schalen und Krüge. »Nehmt Platz, macht es euch gemütlich, dann können wir sogleich beginnen.«

Die Zwerglinge lassen sich das kein zweites Mal sagen. Eilig nehmen sie ihre Plätze wieder ein und Gebäck wird herumgereicht.

Der Herbst begann, wie der Sommer endete: Mit einem berauschenden Farbenspiel in den Wäldern um den langen See bis hin zu den Hängen des Erebors. Die Herbststürme waren noch fern und der Winter nichts als eine Erinnerung. Dies war die Zeit, in der in Thal der alljährliche Jahrmarkt abgehalten wurde. Von nah und Fern kamen die Kaufleute nach Thal. Sie brachten Waren, Nachrichten aus den Landen und hatten die Hoffnung auf gute Verhandlungen. Schwer beladen an Waren, Geldbeuteln und Absprachen für zukünftige Geschäfte reisten sie wieder ab, um Platz für weitere Händler zu machen.
Das Besondere in diesem Jahr war, dass der Fürst von Thal zu einem Fest lud. Mit diesem wollte er die Freundschaft der Völker am und auf dem langen See festigen sowie mit denen aus ferneren Regionen. Dazu hatte er die Elben aus Bruchtal, Lothlorien und dem nahen Düsterwald eingeladen. Die Zwerge aus den Eisenbergen und dem Erebor ebenso wie aus Moria. Der König von Rohan war geladen sowie der Truchsess von Gondor und all die Herrscher der anderen Völker, die mit Thal, Esgaroth und dem Erebor Handel trieben oder es gern wollten. Sogar ein König
Es war ein geschäftiges Treiben auf dem See, das selbst Sauron nicht verborgen blieb und hin und wieder schwamm er zur Wasseroberfläche. Dann beobachtete er die Menschen durch den dünnen Schleier, den das Wasser bildete, doch achtete er stets darauf, von ihnen nicht gesehen zu werden..
Zu dieser Zeit war es, dass Elrond aus Bruchtal mit seinem Gefolge anreiste. Er selbst führte eine Karawane den Weg am Ufer des Sees entlang. Der Großteil der Waren jedoch war auf Flöße und Boote geladen worden, um sie nach Thal zu verschiffen, und es waren derer so viele, dass es am Grund des Sees dunkel wurde.
Neugierig, was dem Meeresvolk das Licht genommen hatte, eilte Sauron an die Wasseroberfläche. Doch wo die Sonne durch das Wasser schimmern sollte, sah er nur die vielen Kiele der Schiffe. Zwischen ihnen war kaum genug Raum für die Ruder, die manche Boote benötigten. Trotzdem versuchte er immer wieder, einen Blick auf die Menschen zu erhaschen.
Und dann entdeckte er ihn. Sauron erkannte ihn sofort und das Herz wollte ihm versagen. Wunderschön war er, wie er im Bug des ersten Schiffes stand. Die Haare waren auch jetzt zu einem Zopf zusammengenommen, doch hatte der Wind Strähnen herausgelöst, die nun so golden wie das Sonnenlicht gleißten. Seine Wangen waren gerötet, die Augen so blau wie der Himmel und von den Lippen klang ein Lachen, das Sauron dazu verleiten wollte mit einzustimmen. Der Mann dort oben auf dem Boot war so lebendig, wie Sauron sich in dem Moment fühlte.
Gerade wendete er den Kopf, rief den Menschen hinter ihm etwas zu, bevor er nach vorn deutete. Dorthin, wohin die Schiffe sie trugen. »Dort oben, in der Festung über Thal werden wir bald tanzen!«, rief er. »In drei Tagen werden wir dort musizieren und die alten Lieder singen.«
»Und ein Lied auf dich, edler Glorfindel, und den guten roten Wein«, setzte ein Mann gutgelaunt hinzu. »Aber bis dahin ist es noch lang hin. Zuerst müssen Waren in Esgaroth gelöscht werden. «
Wieder lachte der Mann mit den goldfarbenen Haaren. Glorfindel, verbesserte sich Sauron, und unwillkürlich lachte auch er. Welch ein schöner Name!
Aber ... Er gestattete es sich nicht, weiterzudenken. Dieser Mann wird ein Traum bleiben. Hoffnung war hier vergebens.
Langsam ließ sich Sauron in die Tiefen des Sees zurücksinken, während die Schiffe und Boote über ihm vorbeizogen. Trauer füllte sein Herz, wo zuvor nur Freude war und das Erstaunen darüber, dass es diesen Mann gab. »Glorfindel«, flüsterte er, spürte das Wort auf der Zunge. Mit einem Seufzen wehte es davon.

Von Elben und FischenWhere stories live. Discover now