22. Über Drachen

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Sicalia im Jahr 471 von Großverdura

Raccolto – Monat der Ernte (Erster Herbstmonat)


[Lux]

Mit einem lauten Krachen zerbarsten die Knochen des Hirsches in Lux Maul. Blut spritze auf den Boden, doch er scherte sich nicht darum und griff sich einen weiteren Hirsch vom Boden und verschlang auch diesen mit zwei Bissen. Der Mann, den er aus diesem Turm gerettet hatte und jetzt in seinem Schatten lag, stöhnte leise. Lux legte den Kopf schräg, er sah zu dem Mann herunter und dann sah er zur Sonne hoch. Mittlerweite waren zwei Tage vergangen und noch immer war ihm nicht wirklich klar, ob der Mann aufwachen würde. Daran, dass der Mann noch lebte, zweifelte er nicht, immerhin konnte er dessen Herzschlag in seiner Brust fühlen. Lux' Blick wanderte zu dem Schwert, welches neben dem Mann im Sand lag. Es funkelte golden und wisperte ihm süße Worte zu, Worte, die von einem Blutbad sangen, einem Blutbad angerichtet mit seinem Blut. Ein Frösteln überkam ihm und er rieb sich mit einem Vorderbein über die Nüster. Die kleine Wunde war bereits verheilt, bevor sein Blut auf dem Schwert getrocknet war, nichts, weswegen er sich Sorgen machen brauchte und doch blieben Zweifel zurück. Es hätte eigentlich nicht möglich sein sollen, dass er durch ein Schwert verletzt werden konnte. Er legte sein Vorderbein wieder ab und sah erneut zu dem Schwert, er hatte es gefunden und es lag in greifbarer Nähe, doch es sang ein furchtbares Lied über seinen Tod. Ein tiefes Seufzen löste sich aus seinem Inneren und er warf wieder einen Blick zu dem Mann, irgendwann während des Fluges war der Mann ohnmächtig geworden und bis jetzt nicht wieder aufgewacht. Lux gähnte und legte seinen Kopf auf seinen Vorderbeinen ab, dann schloss er die Augen. Es dauerte nicht lange, da war er eingeschlafen, während die Sonne ihm die Schuppen wärmte.


[Aegir]

Aegir blinzelte, grelles Sonnenlicht stach ihm in die Augen. Sein Gesicht mit einer Hand abgeschirmt sah er sich um, konnte jedoch nichts ihm Bekanntes entdecken. Außer dem Drachen hinter ihm, der jedoch wohl kaum auf irgendeiner Landkarte verzeichnet war. Aegir stand auf, die Beine unter ihm schwankten, den Stand der Sonne nach zu urteilen, war es früher Nachmittag, welchen Tages auch immer. Um ihn herum wirbelten Sandkörner in einem leichten Wind durcheinander. Aegir ließ seinen Blick schweifen. In Richtung Süden konnte er in wenigen Metern Entfernung das Meer ausmachen und Aegir überlegte, ob sie sich in den Ostlanden befanden. Wäre möglich.


Neben ihm im Sand funkelte Ryuhil und wisperte zart. Aegir beugte sich vor, streckte eine Hand nach dem Schwert aus und zuckte zurück. Ein kleiner Funke tanzte über die Schneide und erlosch, sobald Aegir seine Hand zurückzog. Die Kraft in seinem Inneren pulsierte sacht und Aegir wendete sich zu dem schlafenden Drachen um. Drache. Irgendwie fühlte sich diese Situation wie ein Deja Vu an. Schon einmal waren seine Gedanken bei diesem Wort zum stocken gekommen. Und jetzt stand er vor demselben Problem. Nur dass er jetzt den Drachen sah. Er sah den Drachen hinter sich im Sand liegen, er spürte die Hitze, welche von dem Drachenkörper ausging und doch schien sein Verstand nicht zu begreifen, was seine Augen sahen. Er hatte die Geschichten über die Drachen gehört, über die Drachenkriege, doch glauben konnte er sie nicht. Genauso wenig wie er bis vor wenigen Monaten nicht an die Varu Sedo geglaubt hatte.

Vorsichtig ging Aegir auf den Drachen zu und umrundete ihn mit genügend Abstand. Vor der Schnauze des Drachens blieb er stehen. Warme Atemluft schlug ihm entgegen, Aegir musterte die Schnauze des Drachens und kniff die Augen zusammen. Über der einen Nüster verlief eine kleine, kaum fingerdicke Narbe. Wie schon bei Ryuhil streckte Aegir eine Hand zu der Drachennüster aus und legte seine Finger auf die weiche warme Haut des Drachens. Sein Verstand weigerte sich, diesen Drachen als Real zu akzeptieren. Selbst die Haut des Drachens unter seinen Fingern drang nicht zu seinem Verstand durch. Es schien, als wäre ein Drache eine Nummer zu groß, um es zu Glauben. Der Drache regte sich leicht, die mächtigen Flügel raschelten, die Klauen gruben sich in den Boden, doch er wachte nicht auf. Ein plötzliches Pochen ließ Aegir innehalten, er lauschte auf seine Kraft, doch von dieser rührte das Pochen nicht. Es fühlte sich wie ein zweiter Herzschlag an. Langsamer und doch ebenso beständig wie das schlagen seines eigenen Herzens. Mit schräg gelegtem Kopf sah Aegir den Drachen an. Konnte es der Herzschlag des Drachen sein? Doch wieso sollte Aegir den Herzschlag des Drachen spüren? War er mit dem Drachen irgendwie verbunden? Antworten würde er wohl erst bekommen, wenn der Drache erwachte. Im wahrsten Sinne des Wortes. Zögerlich machte Aegir einige Schritte von dem Drachen weg. Er konnte es nicht begreifen. Ein verdammter Drache!

Abbelonaith - Das vergessene LandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt