2. Zwischen Feind und Freund

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Irgendwo auf See im Jahr 470 von Großverdura

Debeu - Monat des Neuanfangs (erster Frühjahrsmonat)


[Jan]

Ihre überstürzte Flucht war gerade wenige Tage her und Jan konnte es nicht glauben, dass sie es tatsächlich lebend auf die RumTreiber, das Schiff von Anton geschafft hatten. Anton war ein alter Freund seines Vaters und ihre Rettung gewesen. Jan sah auf das nächtliche Meer und seine Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit. Zurück zu dem Hof, auf dem er mit seinen Brüdern Flo und Aegir aufgewachsen war. Bartholomeus Bogoris Aegir, den alle nur Aegir nannten, war der älteste Bruder gewesen, ein Sturkopf, der ihren Eltern täglich auf die Palme gebracht hatte. Doch er erzählte stets die besten Witze und kannte die genialsten Streich. Die drei Brüder waren eine eingeschworene Einheit gewesen. Jan hatte immer zu Aegir auf gesehen und wollte so werden wie er, Flo war der schüchterne von ihnen gewesen und hing stets an Aegirs Rockzipfeln um sich vor den anderen Kindern im Dorf zu schützen. Alles war gut. Bis zu diesem einen Tag. Jan erinnerte sich nur dunkel an die Nacht. An die Schatten die über den Hof gekrochen waren als Aegir auf einem der Pferde weggeritten war. Er hatte am Vortag erfahren, dass die Schwarze Garde neue Rekruten suchte, um diese auszubilden und Aegir hatte damals unbedingt gehen wollen. Ihr Vater war strikt dagegen gewesen, das Aegir ging. Doch Aegir wäre nicht Aegir gewesen, wenn er nicht einfach weggelaufen wäre. Jahre lang gab es kein Lebenszeichen von Aegir und alle Versuche von ihrem Vater etwas über die Garde zu erfahren, waren im Sande verlaufen.

Nach fast 15 Jahren war Aegir aus dem nichts wieder auf ihrem Hof aufgetaucht und hatte behauptet er sei aus der Garde desertiert. Begleitet wurde er von seinem besten Freund, eine Ausgeburt der schlimmsten Albträume und in die dunkelste Nacht gehüllt. Viel Zeit für Erklärungen waren ihnen nicht vergönnt, denn die Häscher der Garde überfielen sie auf dem Hof und zwangen sie zur Flucht. Ihr Vater hatte sie zu dem kleinen Hafen mehrere Tagesritte entfernt geführt.

Auf ihrer gehetzten Flucht vor der Garde gab es einige Momente in denen Aegir sein Schweigen brach und erzählte was in der Garde vorgefallen war. So wusste Jan mittlerweile, dass die Garde eine Gruppierung der schlimmsten Männer dieser Welt war. Krieger, die nicht einmal vor ihren Freunden Halt machten. Und Aegir war freiwillig zu ihnen gegangen. Kopfschüttelnd sah Jan auf das Meer vor sich. „Flo, was hältst du...", Jan brach ab. Immerzu hatte er sein Zwilling um Rat gefragt, doch Flo war tot. Getötet durch die Hand eines Gardisten. Bei der Erinnerung an den Kampf, der am Hafen ausgebrochen war, lief Jan ein kalter Schauer über den Rücken. Aegir und sein Freund, den er als Link vorgestellt hatte, waren die einzigen gewesen, die zwischen ihnen und den Gardisten gestanden hatten. Ihre Waffen waren blutspritzend durch die Nacht getanzt und es sah durchaus so aus, als würden sie alle lebend das Land verlassen können. Wenn Flo nicht etwas äußerst dummes getan hätte. Er wollte Aegir helfen und die Gardisten ablenken, dabei war er geschnappt worden. Noch immer sah Jan den Dolch an Flos Kehle, den flehenden Blick aus seinen Augen. Aegir war durch diese neue Entwicklung abgelenkt worden und sein Gegner war es gelungen seine Waffe in Aegirs Seite zu versenken. Eine Wunde, die jeden getötet hätte. Nicht jedoch Aegir, dieser hatte nicht nur den Gardisten getötet, der Flo die Kehle aufgeschnitten hatte, sondern auch noch zwei weitere niedergemacht, ehe er Bewusstlos zu Boden gegangen war. Noch immer erschien es Jan wie ein Wunder, dass sie es überlebt hatten und sich auf Antons Schiff hatten retten können. Auch wenn Aegirs Leben an seidenen Fäden hing. Noch immer stand es in den Sternen, ob er überleben würde. Antons Frau, Rosa, hatte die Wunde gesäubert, genäht und verbunden. Doch sie war auch ehrlich zu ihnen gewesen und hatte ihnen gesagt, dass sie sich keine Hoffnungen machen brauchten.

Aegirs Leben hing irgendwo zwischen hier und dem Tod und bisher hatte Jan sich davor gescheut die Krankenkammer im inneren des Schiffes zu betreten. Er wollte nicht noch einen Bruder sterben sehen. Auch wenn jeder Tag vermutlich Aegirs letzter Tag sein konnte.

Abbelonaith - Das vergessene LandWhere stories live. Discover now