Kapitel 8 - Halbjahreszeugnisse

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Anastasiyas Sicht:
Wir hatten Anfang Februar und es war ein besonderer Tag: die Zeugnisausgabe.
Ich ging zur Schule und hatte zum Glück nur zwei Stunden Schule, in denen wir uns einen Film anschauten, woraufhin es die Halbjahreszeugnisse gab.
Ich war sehr glücklich, da meine Noten in fast jedem Fach gut waren.

»Was hast du so für Noten?«, fragte Andrej mich interessiert.

Ich fand ihn schon immer ziemlich attraktiv, auch wenn ich ihn am Anfang nicht ganz mochte.

»Ganz gute, und deine?«, antwortete ich.

Andrej erzählte mir etwas über sein Zeugnis und unser Gespräch entwickelte sich immer weiter.
Er war ziemlich sympathisch und humorvoll, musste ich zugeben.

Andrejs Sicht:
Ich war sehr froh über mein Zeugnis und unterhielt mich mit anderen über ihre Noten. Am interessantesten war das Gespräch mit Anastasiya. Sie war einfach so lieb und süß...
Ich entschloss mich dazu, Kontakt mit Jannick aufzunehmen, da ich Mitleid mit ihm hatte. Ganz alleine ohne Freunde musste ein Leben sehr traurig sein.

»Was hast du so Jannick?«, fragte ich.

Jannick mied jeglichen Augenkontakt und sein Herz pochte stark hörbar. »Meine Noten sind sehr schlecht«, sagte er.

»Das tut mir Leid. Meine sind sehr gut, wenn man Sprachen auslässt«, antwortete ich ihm verlegen.

»Ich bewundere dich so sehr! Wie hast du das geschafft?«, entgegnete Jannick neidisch.

Wenn ich an diesen ungeheuren Neid dachte, verging mein Mitleid mit Jannick fast schon.

»Viel gelernt, viel verstanden und gute Gene«, antwortete ich stolz.

Jannicks Sicht:
Das machte mich so sauer, was Andrej sagte! Als wäre er eine bessere Person, nur weil er gute Gene hatte! So ein arroganter Ukrainer! Ich konnte nicht anders und verließ den Klassenraum, woraufhin ich meinen Neid herausschrie. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und meine Wut kochte in mir. 
Ich brüllte erneut und diesmal noch tierischer und lauter als je zuvor, woraufhin sich mein Magen verkrampfte.
In den nächsten Sekunden atmete ich tief durch, beruhigte mich und ging mit zitternden Schritten in den Klassenraum herein. 
Bei all den lauten Gesprächen über die Noten und meiner Unwichtigkeit, hatte niemand mein Fehlen bemerkt.

Nachdem sich alle über ihre Zeugnisse austauschten, gingen alle Schüler mehr oder weniger (eher mehr) glücklich Nachhause.
Mal wieder alle glücklich mit einem geilen Leben außer ich mit meinem blöden Leben.
Ich war leider strohdumm und hatte schlechte Gene, weshalb reines Lernen überhaupt nichts brachte.
Ich hatte nur Luft und Neid im Kopf und war ein genetischer Abfall. 
Als ich zuhause ankam, beschloss ich, dass ich mir unbedingt einen Gutefrage.net Account erstellen musste. Gutefrage.net würde mir hoffentlich aus dieser scheiß Lebenssituation helfen und mir auch erklären, was meine Klasse gegen mich hatte.

Ich legte mich zuhause auf meine Matratzen und um mir herum lagen meine nebenbei angemerkt kratzigen Secondhand Klamotten aus der Altkleidersammlung. Ab und zu ließen sich auch Kik-Klamotten blicken, auf die ich jedoch nur ein Stück stolzer sein konnte.
Ich erstellte mir direkt einen Gutefrage.net Account, den ich JannickHelfen nannte. 
In der App angemeldet, stellte ich ohne zu zögern meine erste Frage.

Warum werde ich von meiner Klasse ausgegrenzt und diskriminiert?

Ich schilderte die Situation in meiner Frage genauestens und wartete auf Antworten. 
Die ersten Antworten waren nicht wirklich hilfreich und dumm, bis jemand etwas wirklich Einleuchtendes schrieb:

Vielleicht liegt es daran, dass du keine Hobbys hast? Keine Interessen? Keine Freunde? Ein langweiliges Leben? Weil du unbeliebt bist? Weil du dir keine Markenklamotten leisten kannst? Usw...

Der Typ hatte recht! Es lag daran und vor allem an den Markenklamotten!
Ich beneidete zwar schon immer Menschen mit Markenklamotten, aber noch nie dachte ich, dass auch meine Mitmenschen so sehr auf Marken achteten…

Ich hatte meinen Eltern mein Zeugnis immer noch nicht gezeigt...
Es war einfach unterirdisch schlecht, weshalb ich mit zitternden Schritten in das Wohnzimmer ging, wo meine Mutter auf dem Sofa saß und auf RTL Frauentausch schaute.

»Ich muss dir was zeigen...«, sagte ich stotternd.

Sie schaltete den Fernseher aus. »Was denn?«, fragte sie gelangweilt.

»Mein Zeugnis«, quetschte ich ängstlich aus meinen Lippen.

»Her damit«, entgegnete sie lieblos und riss es mir aus der Hand.

»Was? So ein schlechtes Zeugnis? Du bist eine Schande für die Familie! Warum musst du nur so dumm sein? Verziehe dich in dein Zimmer und lerne für die Schule!«, schrie meine Mutter mich an.

Erniedrigt verkroch ich mich in mein schäbiges Zimmer, während mir eine Träne über das Gesicht lief. 
Um mich aufzumuntern, schaute ich mir im Internet Kleidungsstücke von allen möglichen Marken an. Es brachte mich zwar zum Lächeln, doch ich fühlte auch einen ungeheuren, stechenden Schmerz in meinem Herzen. 
Am meisten gefiel mir Gucci und mein größter Traum war es, einen Gucci Gürtel zu besitzen. Doch leider würde ich mir diesen niemals leisten können.

Nachdem ich mir Markenklamotten im Internet anschaute, guckte ich mir auf YouTube solche Videos an, wo Leute auf der Straße gefragt wurden, wie viel ihr Outfit wert sei.
Die alle konnten sich natürlich deutlich mehr als ich leisten, weshalb sich schnell ein schmerzhafter Knoten in meiner Brust verfing und meine Miene sich verfinsterte. 
Meine Augen durchnässten sich, als ich Kleidung von Gucci in eines dieser Videos sah. Um nicht in Tränen auszubrechen, verließ ich YouTube und ging auf Instagram, wo ich meine Mitschüler stalkte.
Ich ging auf die Accounts von Andrej, Anastasiya, Dimitra, Bekim, Davor und so weiter und schaute mir wie immer alle Postings an. Stalken war so ein schönes Hobby, doch ich wurde vom Neid zerfressen und hegte gigantischen Hass gegen sie.

»Warum konntest du denen nicht gönnen, dass sie ein interessanteres Leben führten als du?«, sagte mir eine Seite von mir.

Doch meine neidzerfressene Seite war mächtiger, viel mächtiger. Unvorstellbar mächtiger. Irgendwann beendete ich das Stalken und legte mich in meine provisorischen Matratzen.
Immer als ich rummeckerte, weil ich ein Bett haben wollte, argumentierten meine Eltern, dass ich überhaupt froh darüber sein solle, dass ich Matratzen hatte. 
Natürlich konnte ich das nicht.

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Blödes LebenWhere stories live. Discover now