Kapitel 3 - Der Vorfall

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Die ersten paar Wochen vergingen ziemlich ereignislos, sogar so ereignislos, dass niemand mit mir reden wollte.
Doch am Montag der vierten Woche an meiner neuen Schule wollte ich endlich bemerkt werden und Kontakt mit meiner Klasse aufnehmen. Ich hatte es satt, wie Luft behandelt zu werden und beschloss daher, auf meine Klassenkameraden zuzugehen. 
In der Schule angekommen, rannte ich zum Bioraum, wo ich in den nächsten zwei Stunden Biologie mit Frau Vodaskaya haben würde.
Wie ich den Montag hasste und dann auch noch fast zu spät im Unterricht erschienen!

Als ich den Raum betrat, saßen meine 22 Mitschüler bereits an ihren Tischen oder packten Sachen aus ihren Taschen aus. 
Ich schlängelte mich unsichtbar zu einem stinkend einsamen Platz in der Ecke des Raumes, wobei niemand mich bemerkt hatte, obwohl wir so eine kleine Klasse waren. 
Ich genoss es, dass wir so wenige waren, da meine alte Klasse über 30 Schüler zählte, was sich jedoch durch das häufige Fehlen teilweise ausglich.
Der Biologie-Unterricht zum Thema Mitose verlief ultralangweilig. Meine Augenlider wurden immer schwerer und ich gähnte bei jedem Satz, den meine Lehrerin sagte.

»Jannick! Schlafe doch nicht in meinem Unterricht ein!«, schrie meine Lehrerin.

Erschrocken katapultierte sich mein Kopf nach oben und ich schlug meine Augen auf. Die ganze Klasse lachte mich aus und ich wünschte mir im Boden zu versinken...

»Ist ja gut«, sagte ich verlegen, während ich rot im Gesicht wurde und schwitzte.

Meine Lehrerin fuhr weiter mit ihrem Unterricht fort. Sie hielt ihren unerträglichen Vortrag und dann auch noch mit diesem grässlichen Akzent...
Die restliche Biologiestunde verlief wie immer stinklangweilig und ich hatte danach Pause.
In dieser Pause fasste ich meinen ganzen Mut zusammen, der irgendwo tief in mir existierte. Ich war entschlossen, dass ich in meiner Klasse Freunde finden würden.
Immerhin wusste ich bereits etwas über meine Mitschüler, zumindest über die Beliebteren der Klasse.

Zuerst einmal war da Andrej: ein stinkreiches Schwein, welches aus der Ukraine kam und erst seit einigen Jahren in Deutschland lebte. Natürlich standen alle Mädels auf ihn, da er ein markantes Gesicht, einen muskulösen Körper und eine sehr selbstbewusste Art hatte. Und dann kam ich mit meinem Gesicht, was einem Kind glich.

Zum anderen war da Nevena, die unter den Mädchen sehr beliebt war und aus Serbien stammte. Sie liebte den Luxus und das Shoppen, während ich mit Kik und Secondhand rumlaufen musste. Mit ihren traumhaft türkisen Augen und ihrer schlanken Sanduhrenfigur konnte sie natürlich jeden Jungen haben und war eine unerreichbare Illusion für mich.

Eine andere Person, die mir auch positiv aufgefallen war, war Yena. Sie kannte sich gut mit Psychologie aus und hatte für alle ein offenes Ohr. Außer für mich natürlich, denn niemand wollte was mit mir zu tun haben…

Auf jeden Fall war ich auf dem Pausenhof und näherte mich der Tischtennisplatte, wo Andrej und Bekim Tischtennis spielten. 
Mit einem traurigen Gesichtsausdruck beobachtete ich die beiden, die im Gegensatz zu mir Hobbys hatten. 
Neben den beiden waren einige Leute aus meiner Klasse versammelt, die über ihre zukünftigen Traumberufe sprachen. 
Was für ein schreckliches Thema! Ich war ein hoffnungsloser Fall ohne Perspektive und würde nach der Schule am Fließband arbeiten, so wie es mein Vater schon tat.
Ich hörte den lebhaften Gesprächen zu, da ich mittlerweile direkt an der Tischtennisplatte stand und so tat, als würde ich auf mein Handy schauen. Im Moment, als ich da war, erzählte Anastasiya, dass sie nach der Schule Zahnmedizin studieren würde. 
Einfach unmöglich! Diese Schlampe kam aus irgendeinem Drecksloch im Osten Europas und schnappte sich die besten Bildungsmöglichkeiten!
Kurz danach bemerkte Nevena, dass auch ich an der Tischtennisplatte war. Mein Herz pochte vor Aufregung und ich vermied jeglichen Blickkontakt.

»Jannick, was willst du nach der Schule machen?«, fragte sie interessiert.

Alle im Kreis schauten mich erwartungsvoll an, was meinen ganzen Körper zum Zittern brachte. Immerhin wurde ich nicht mehr wie Luft behandelt.

»I-i-ich ähm… wegen Leuten wie Anastasiya, die mir alle Bildungsmöglichkeiten und Berufe wegnehmen, muss ich das Vermächtnis meines Vaters weiterführen und Kartons verpacken!«, platzte es wütend aus mir heraus. 

Nachdem ich das gesagt hatte, wünschte ich mir im Erdboden zu verschwinden.
Alle sahen mich an und ein paar Sekunden lang sagte niemand etwas, bis die Schulklingel läutete und mich rettete. Zum Glück war ein anderer Lehrer da, sonst hätten die mich sicherlich verprügelt. 
Meine Klasse bewegte sich zum Schulgebäude, doch ich hatte anderes vor. Ich konnte mit denen keinen Unterricht haben, da sie das bestimmt mit den Lehrern besprechen würden.
Zum Glück hatte ich zwischen Mülltonnen und einer Hecke ein Versteck gefunden, in dem ich ausharrte, bis der Lehrer, der Aufsicht hatte, weg war. Paar Minuten vergingen und keine Seele war mehr auf dem Schulhof, woraufhin ich mich auf meinen Zehenspitzen herausschlich und zum Schultor ging.
Von dort aus verließ ich das Schulgelände und ging zur Bushaltestelle.
Im Bus angekommen, dachte ich kurz über das Geschehen nach und beschloss, dass ich am nächsten Tag schwänzen würde.
Der restliche Tag verging ganz normal. Wie immer ereignislos und stinklangweilig.

Am nächsten Tag wachte ich auf, und da ich beschlossen hatte zu schwänzen, ging ich direkt zu meiner Mutter und sagte ihr, dass ich Kopfschmerzen hätte, was sie mir zum Glück auch glaubte.
Der Tag verging wohl noch ereignisloser als die letzten drei Wochen vor dem Vorfall von gestern. Ich beschloss jedoch, am nächsten Tag definitiv in die Schule zu gehen, da ich gemerkt hatte, dass ich Probleme mit dem Schulstoff bekam. Hoffentlich würde keiner in meiner Klasse wegen dem Vorfall vom vorigen Tag Stress anfangen. Ansonsten würde ich bald das Mobbingopfer der Klasse werden.
Als es spät genug wurde, legte ich mich in mein Bett, um einzuschlafen.
Ob man das überhaupt Bett nennen konnte, wusste ich ehrlich gesagt nicht, denn es waren eher zwei provisorische, aufeinander gestapelte Matratzen. Verdammt nochmal, auf denen schlief ich schon seit sechs verfluchten Jahren! Leider hatten meine Eltern kein Geld für ein Bett für mich.
Ach hätte ich nur reiche Eltern...

Die Nacht war natürlich sehr qualvoll und schlaflos, da meine Matratzen schon ziemlich alt und staubig waren. Darüber hinaus wurde das Zimmer schon seit Wochen nicht mehr geputzt, da meine Mutter lieber Geld ausbrütete und nur extremst selten Haushaltstätigkeiten erledigte.
Das alles hatte meine starke Asthma-Erkrankung deutlich zum Vorschein gebracht und machte die Nacht somit unerträglich...

Wenn es euch gefallen hat, dann freue ich mich auf eure Votes und Kommentare☺️🙏🏻

Blödes LebenWhere stories live. Discover now