Unsere erste Begegnung war ungeplant und ziemlich peinlich für mich. An Agon's 16. Geburtstag wollte ich um Mitternacht in sein Zimmer reinschleichen. Ich bin dann aber im falschen Zimmer gelandet. Es war wirklich sehr unangenehm. Ich glaube er erinnert sich gerade auch daran. »Du auch.« Eine Untertreibung. Adem war schon immer groß und breit. Seine autoritäre Persönlichkeit hat mich immer eingeschüchtert. Ich blinzle den Tisch an. Ich konnte ihm eine lange Zeit nicht in die Augen schauen. »Odesa.« Ich schaue hoch. »Ja?« »Du fällst schon wieder.« Ich lächle. Ich tue es oft. Ich falle in meine Gedanken, Tagträumen und verliere mich dort. Meine Eltern meinten immer ich fantasiere zu viel. Adem war der Erste, der es den Fall genannt hat. Ich fand diesen Begriff beruhigend. Im Gegensatz zu meinen Eltern, hatte er mein Fall nie ins Lächerliche gezogen.

»Ich muss mich bei dir bedanken.«, sagt er plötzlich und mein Lächeln fällt. »Das ist nicht nötig.« Ich besitze großen Respekt gegenüber Adem. Er war wie ein großer Bruder für mich. Das er sich bei mir bedanken muss, fühlt sich falsch an. »Odesa.«, setzt er an und ich schüttle den Kopf. »Es ist nicht nötig.«, wiederhole ich. Er zieht seine Augenbrauen zusammen. »Du hast meine Nichte gerettet und dafür stehe ich in deiner Schuld.« Ich halte den Atem an. Meine Hüfte brennt. Warum brennt meine Hüfte? Tränen bilden sich in meinen Augen. Ich schüttle den Kopf. »Es tut mir Leid, Adem.« Schniefend halte ich mir eine Hand vor dem Mund. Ich schaue tränenblind auf mein Schoß und verkrampfe meine Hand. Ich höre wie ein Stuhl sich bewegt. Ich unterdrücke ein leises Schluchzen. Ich muss mich zusammenreißen. Ein Glas Wasser befindet sich plötzlich in meiner Sicht. Langsam schaue ich hoch und sehe in Adem's schwarze Augen.

»Hör auf zu weinen.« Ich pruste schniefend und nehme dankend das Wasser an. Seine leicht herrische Art erinnert mich an Agon. Nur wirkt Adem verwirrt. »Ich hätte euch sofort anrufen sollen.«, murmle ich. »Dann hätte Dea das nicht miterleben müssen. Ich habe ihr erstmal was zu Essen gegeben und gewartet. Es ist meine Schuld, Adem.«, flüstere ich. Ich höre wie er nachdenklich seufzt. »Dich trifft keine Schuld. Tief im inneren weißt du das.« Ich blinzle meine Tränen weg. »Geht es ihr gut?«, frage ich heiser und er nickt. »Sie besitzt ein wirklichen schönen Namen, findest du nicht?" Ein großes Lächeln legt sich auf meine Lippen. »In der Tat.«, murmle ich. Adem's ruhige Ader ist ein Geschenk. Er war schon immer der Diplomat, der Anführer und der Allwissende. Agon war im Gegensatz zu Adem laut, mutig und fast schon wild.

Wenn Agon ein Krieger ist, dann ist Adem der König, dem er dient.

»Ich möchte dir ein paar Fragen stellen.« Ich nicke seufzend. Adem setzt sich wieder vor mich hin und betrachtet sein Notizheft. »An was kannst dich noch erinnern?«, fragt er mich. Die Sanftheit ist aus seinem Gesicht verschwunden. Nun sitzt der autoritäre Kommissar vor mir. Ich schlucke. »Rauch.«, murmle ich. Überall war schwarzer Rauch. Benebelt waren meine Augen. Oftmals verlor ich die Sicht auf Dea. Ihr Schluchzen hallt immer noch in meinen Ohren. Ich schließe überanstrengt meine Augen. »Lass dir Zeit.« Ich nicke müde. »Schreie.« "Bitte tun Sie mir nichts!" Eine Gänsehaut bildet sich auf meinen Armen. Der Geruch vom brennenden Fleisch hat meine Geruchssinne betäubt. Ich wimmere. »Da war eine Frau, sie hat gebetet ... sie wurde erschossen.« Adem nickt. »Weißt du wie sie heißt?« Ich schüttle den Kopf. »Ich war gefallen. Für ein Moment.«, gebe ich schwach zu. »Ich weiß nur noch, wie ich versucht habe die Polizei anzurufen, aber erwischt wurde.« Ich erinnere mich noch an diese toten Augen, die so befriedigt gefunkelt haben. Es hat sie alle befriedigt. Ihre schattenmächtigen Seelen ertranken vor Lust in das Leid der Unschuldigen.

"Mutiges Mädchen." Diese so unheimliche Stimme, die der des Teufels glich. Ich zucke zusammen. Bilder spielen sich in meinem Kopf ab. Blut, Feuer, Rauch. Schüsse, Schreie und Schluchzer. »Odesa, beruhige dich.« Ich öffne abrupt meine Augen. »Er hatte ein Tattoo. Ein Skorpion.« Adem blinzelt mich aufmerksam an. »Am Handgelenk. Es war ein Skorpion, ich sag es dir!«, keuche ich. Warum bin ich so außer Atem? Ich fahre mir unwohl über die Oberarme. »Sie haben dich angeschossen, liege ich da richtig?« Ich nicke schluckend. »Streifschuss. Ein großer Schnitt. Ich lebe ja noch.« Er nickt und notiert sich etwas. »Brandverletzungen zweiten Grades?« Ich schließe meine Augen. Der Geruch von verbrannter Haut ist terrorisierend und anderseits auch ernüchternd. Langsam nicke ich. »Du hast 13 Menschen aus einer brennenden Bäckerei rausgeholt. Das ist bemerkenswert.« Ich sehe müde in seine Augen. »Zwei Menschen sind gestorben und 5 liegen im Krankenhaus aufgrund einer Rauchvergiftung.« Er schweigt. »Sie konnten nicht einmal beerdigt werden, Adem.« Tränen kullern über meine Wangen. »Sie werden nie ihren Frieden finden können.«

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