Sonnenwende

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Das Tageslicht begann allmählich zu schwinden, als wir nach Éngin-Doloh zurückkehrten. Álkaran vertäute das Boot sorgfältig, und wir nahmen Abschied, doch dies nur für kurze Zeit. Er wollte nach einem kleinen Abstecher zu seiner Wohnstatt ebenfalls zu Hédrian kommen.

Ich eilte leichtfüßig voran. Die Bilder des Tages folgten mir auf meinem Weg: die wilde Bootsfahrt und das sonderbare Bauwerk.

Leider holte mich auch mein Gefühlsstrudel wieder ein, sobald ich Hédrians Haus betrat, in dem fröhliche Stimmen erschollen.

Mániërontés glockenheller Sopran mischte sich mit Médancons melodischem Bariton und Hédrians Stimme, welcher sein hohes Alter deutlich anzuhören war.

Sie erzählten sich Anekdoten aus Mániërontés Jugend. So hatte sie einmal ein Kraut, das abführend wirkte, mit einer Pflanze verwechselt, die gegen Kopfschmerzen half. Dies war erst aufgefallen, als der Patient es ihr am Folgetag berichtete. Die Kopfschmerzen waren gleichfalls verschwunden, was das Ganze besonders amüsant gestaltete.

Ich gesellte mich dazu, lachte jedoch nur aus halbem Herzen mit ihnen. Die andere Hälfte wollte Médancon entgegenfliegen, ohne dass ich etwas dagegen hätte tun können. Während alle noch kicherten, kam auch Álkaran zu uns. Es war schon fast selbstverständlich, dass er sich neben mich setzte.

Wir erzählten von unserem Ausflug, wobei Álkaran das Gros des Redens übernahm, da mein Aleean zwar deutlich fließender geworden war, allerdings noch immer viele Defizite hatte.

Hédrian und Mániëronté kannten den Ort, den wir besucht hatten, bereits aus Erzählungen, daher war es für sie nichts Ungewöhnliches, davon zu hören. Selbst dort gewesen waren beide noch nicht, schienen aber auch keinen besonderen Wunsch danach zu hegen.

Médancon schwieg und wich meinem Blick aus.

„Es ist an der Zeit für das große Aën-Sangaa", stellte Hédrian plötzlich fest.

Ich freute mich, dass er uns begleiten wollte, obgleich diese besondere Zeremonie viel später am Tag stattfinden würde, als sonst für das abendliche Ritual üblich.

Wir nahmen ihn in unsere Mitte und strebten dem größten der Plätze Éngin-Dolohs zu.

Ich kannte diesen Platz bereits. Er war sehr weitläufig und fiel zum Mittelpunkt ab. Seine Bauweise erinnerte mich stark an die antiken Theater, von denen ich früher im Konversationslexikon Bilder gesehen hatte.

Heute würden sich alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt dort versammeln, auch wenn für einige der Weg weit war.

Hédrian hatte sich von seiner vormaligen Schwäche erholt, die ihn nach dem Besuch der Sternwarte überfallen hatte. Er war wieder recht gut zu Fuß, sodass wir unser Ziel ohne lange Pausen erreichten. Unterwegs sahen wir viele Fuhrwerke und Berittene, die allesamt zum gleichen Ort strebten. Einige der Menschen waren etwas anders gekleidet als die Städter, was vor allem an der Webart und den Mustern ihrer Gewänder lag. Sie mussten eigens aus den umliegenden Dörfern angereist sein. Es war in der Tat ein sehr bedeutendes Ereignis!

Als wir angekommen waren, bahnten wir uns den Weg durch die Schlange der parkenden Fuhrwerke und der angeleinten Reittiere. Um uns herum scharte sich eine beträchtliche Menschenmenge.

Manche Gesichter kannte ich durch meine Aufgaben, die ich mittlerweile im dritten Feld verrichtete. Ich wurde von vielen gegrüßt, worüber ich mich sehr freute. Meister Tímertan klopfte mir sogar wohlwollend auf die Schulter, während er mich begrüßte. Dabei lachte er so fröhlich, dass sein gewaltiger Bauch bebte.

Man nahm mich, die Fremde, in der Gemeinschaft auf.

Mániëronté hatte durch ihre hervorragende Arbeit fast schon den Status einer Berühmtheit, schien es mir, denn viele versuchten, ein paar Worte mit ihr zu wechseln.

Kántarellas LichtgestaltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt