Feiertage

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Es war so weit: Das Fest der kleinen Sonnenwende stand unmittelbar bevor. Fénandessa war zu ihrer Familie gereist, wenn auch gar nicht so gern, da „ihr" Fischer in Éngin-Doloh blieb, wie sie mir traurig mitgeteilt hatte.

Viele der anderen Personen aus Gréstos großem Haushalt hatten Éngin-Doloh für diese Tage ebenfalls verlassen. Ich verstand nun, dass während der Feiertage keine Helfer benötigt wurden, da fast niemand im Haus anwesend war.

Grésto selbst hatte sich zurückgezogen. Sie trauerte in dieser Zeit immer besonders um ihren verstorbenen Gefährten, und ihr Umfeld respektierte dies.

Wie mir Hédrian erklärt hatte, war das Fest ein Fest des Innehaltens und gleichzeitig des Neubeginns. Mir kam die Bedeutung ähnlich wie die des Weihnachtsfests vor, das ich kannte. Auch das Datum passte ungefähr, da die winterliche Sonnenwende am einundzwanzigsten Dezember erfolgt.

In zehn Tagen würde ich mein zweiundzwanzigstes Lebensjahr vollenden, fiel mir ein. Gesagt hatte ich es niemandem, da ich kein unnötiges Aufsehen wollte und auch nicht genau wusste, ob Geburtstage in Cóno-Aleea überhaupt gefeiert wurden; einer diesbezüglichen Feier hatte ich hier bislang weder beigewohnt noch von einer vernommen.

An jenem Abend vor wenigen Tagen hatte ich Álkaran nach einem kleinen Moment der Stille zugesagt, die Feiertage in seiner Gesellschaft gern verleben zu wollen.

Auf der Bühne hatten Médancon und Mániëronté in höchster Harmonie gemeinsam gestanden. Sie hatten auf mich so erfüllt in der Gegenwart des jeweils anderen gewirkt. Es hatte sich mir die Gewissheit aufgedrängt, dass die beiden das Fest gleichfalls zusammen begehen würden.

Aus diesem Impuls heraus hatte ich Álkarans Bitte positiv beantwortet. Er sah sehr glücklich darüber aus.

Im Nachhinein war ich mir selbst nicht sicher, ob es eine gute Idee war. Ich wollte keinesfalls mit seinen Gefühlen jonglieren oder ihn gar verletzen. Dazu hatte ich ihn viel zu gern.

Aber – liebte ich ihn?

Mit Gewissheit wusste ich, dass ich seine Anwesenheit überaus schätzte. Er war mir wie ein Fels in der Brandung, auf den ich mich verlassen konnte, und der auf mich achtgab. Wenn ich einmal in seiner Gegenwart strauchelte, war er stets zur Stelle, um mich zu stützen. Zudem gestand ich mir ein, dass er auch körperlich sehr anziehend auf mich wirkte.

Ich seufzte. So kam ich zu keinem Ergebnis.

In meinem Zimmer stehend, vergewisserte ich mich, dass alles ordentlich war. Ein kleines Bündel war gepackt, da ich einige Tage bei Hédrian nächtigen würde. Das Wetter war heute wenig vielversprechend, und ich trug meinen Regenumhang. Ich trat auf den Gang hinaus und schloss meine Tür. Dann lief ich zu Hédrians Haus.

Überrascht war ich, wie viele Menschen heute bei ihm waren. Jeder hatte für ihn etwas Besonderes zum Essen mitgebracht.

Álkaran begrüßte mich freudig, kaum dass ich die Schwelle betreten hatte. Er half mir, die Leckerbissen, die ich im Gepäck hatte, zu den anderen Speisen in die Vorratskammer zu bringen. Dabei erklärte er mir, wer in welchem Verhältnis zu Hédrian stand. Dieser hatte drei Geschwister gehabt, die bereits verstorben waren, doch aus deren Nachkommenschaft hatten einige Menschen heute Morgen den Weg zu ihm gefunden, um ihm ein schönes Fest zu wünschen.

Da es verhältnismäßig viele Personen waren, die ich alle noch nie zuvor gesehen hatte, vergaß ich ihre Namen und Verwandtschaftsverhältnisse fast genauso schnell wieder, wie Álkaran sie mir vorstellte.

Niemand nahm an meiner Anwesenheit Anstoß. Falls irgendwer mit meinem Hiersein nicht einverstanden war, zeigte er es jedenfalls nicht. Ich fühlte mich wohl inmitten der kleinen Versammlung.

Kántarellas LichtgestaltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt