Kapitel 4

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Ich war so froh als der Tag vorbei war. Nachdem ich in der ersten Stunde die Klassenarbeit geschrieben hatte, musste ich noch von einer Stunde zu nächsten hetzen. Erst zu Mittag hatte ich eine endlich mal eine Freistunde, in der ich mich entspannen konnte.

Ich wollte mich mit Veronika und Robert zusammensetzen und einen Kaffee trinken, da sie auch in dieser Stunde frei hatten. Kaffee war in unserer Berufsbranche das Allheilmittel. Es wurde einfach zu jeder Gelegenheit getrunken: Wenn man in der Früh Stress hatte und sich beeilen musste, noch die letzten Sachen zu sortieren, wenn man in der Früh keinen Stress hatte und einfach noch mit den anderen Kollegen quatschte und über die Schüler lästerte, in Konferenzen und in so ziemlich jeder Pause oder Freistunde. Ich glaube, es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, dass man nur Lehrer werden darf, wenn man auch wirklich kaffeefest ist.

Tja, aus dieser Kaffeepause wurde aber leider nichts. Denn als wäre die Ansprache von heute Morgen noch nicht genug gewesen, startete Dean genau in dieser Stunde wieder ein paar Runden durchs Lehrerzimmer. Gerade als Veronika, Robert und ich uns an einem Tisch niedersetzen wollten, betrat er den Raum und kontrollierte, ob wir ja nicht „wertvolle Arbeitszeit" vergeudeten. Natürlich mussten wir uns dann sofort wieder an die Arbeit machen. Ich verdrehte die Augen. Veronika verdrehte die Augen. Robert verdrehte die Augen. Die Katze auf der Fensterbank, die immer wieder durch den Schulhof spazierte, verdrehte die Augen.

Bevor ich mich allerdings dazu aufraffen konnte, meine Arbeiten zu korrigieren, musste ich mal auf die Toilette. Ich hatte den ganzen Tag dafür noch keine Zeit gehabt. Allerdings stand Dean noch im Türrahmen zum Lehrerzimmer. Als ich durch die Tür gehen wollte streifte Dean meinen Arm und griff leicht zu. Einfach zu meiner persönlichen Erinnnerung, dass er hier der Chef war und machen konnte, was er will.

Auf der Toilette hätte ich mich am liebsten übergeben. Nur leider musste ich mich nun dringend an die Arbeit machen. Ich wollte nicht schon wieder die Aufmerksamkeit von Dean auf mich ziehen, nur weil ich zu lange auf der Toilette hockte. Mein täglicher Bedarf war was das angeht wirklich erreicht.

Tja, Pustekuchen. Er fand den restlichen Tag tausend weitere Gründe, um uns den letzten Nerv zu rauben. Er lief durchgehend durchs Lehrerzimmer und teilte irgendwelche Dokumente und Formulare aus, die wir „so bald wie möglich" zum Abgeben bereit haben sollten. Bei der Hälfte dieser Papierbögen wusste ich nicht einmal, um was es da eigentlich ging oder was ich da ausfüllte.

Nachdem ich am Nachmittag meine letzte Stunde gehalten hatte, verzichtete ich deshalb auf einen weiteren Sprung ins Lehrerzimmer, aus Angst, dass er noch weitere Aufgaben fand, die unbedingt noch heute in genau dieser Sekunde erledigt werden müssen. Auch wenn ich mich noch gern mit Veronika und Robert unterhalten hätte oder ihnen zumindest gern tschüss gesagt hätte.

Na gut, ich würde sie sowieso morgen wiedersehen. Ich wollte einfach nur schnell abhauen.

Und nun kam ich erschöpft in meiner Wohnung an. Ich schmiss meine Tasche in die Ecke und ließ mich erst mal auf meine Couch fallen. Ich nahm mein Handy und checkte meine Nachrichten. In der Whatsapp Gruppe mit meinen Freundinnen ging es mal wieder drunter und drüber. Wir würden später am Abend alle zusammen essen gehen und scheinbar diskutierten sie über irgendwas darüber. Und Jane kann irgendeinen Schuh nicht finden ... Ach keine Ahnung, ich hatte wirklich keine Lust mir 239 Nachrichten durchzulesen.

Außerdem musste ich noch anfangen meine Arbeiten zu korrigieren. Da Dean heute den ganzen Tag immer andere Dinge zum Erledigen gefunden hatte, bin ich dazu überhaupt nicht gekommen, also musste ich mich jetzt dransetzen.

Ich möchte an dieser Stelle etwas klarstellen. Es werden nämlich immer nur die Lehrer negativ beleuchtet. Wenn ein Schüler eine schlechte Note bekommt, dann ist es die Schuld vom Lehrer. Wenn ein Schüler die Klassenarbeit verhaut, dann liegt es mit Sicherheit daran, dass man es als Lehrer nicht gut genug erklärt hat. Das ist zumindest das, was man sich von den Eltern anhören kann.

Aber interessiert es jemanden, ob ein Schüler permanent nicht zuhört und andere Sachen macht, dass er dadurch den Stoff nicht mitbekommt und zehn Minuten später genau das fragt, was du soeben erklärt hast, dass du es dann zum dritten Mal erklären musst, nur um dann bei der Klassenarbeit zu sehen, dass er es doch nicht verstanden hat.

Nein, es interessiert niemanden.

Aber natürlich verstehe ich auch, dass nicht jeder die gleichen Interessen hat. Ich verstehe, dass nicht jeder gerne Spanisch lernen will. Kann ja nicht jeder das Ziel haben, nach Spanien zu reisen und dort einen Spanier flachzulegen.

Auf jeden Fall was das Korrigieren wieder einmal zum Haare ausreisen. Ich hätte davor vielleicht doch ein paar Shots exen müssen, das hätte die Sache um Einiges vereinfacht.

Ich war erleichtert, als es endlich Zeit war, um mich fertig zu machen für das Essen gehen mit meinen Freundinnen. Ich zog mich schnell an und schminkte mich etwas nach, um mich dann auch schon auf den Weg zum Restaurant zu machen.

„Und als der Typ mir dann auf den Arsch gegriffen hat, hab ich ihm einfach das Bier über sein Hemd geleert. Zum Glück war mein Chef deshalb nicht sauer, aber er hat auch gesehen, was da abging", endete Valerie ihre Geschichte über ihren heutigen Arbeitstag. Wir konnten uns alle nicht mehr einkriegen vor lauter Lachen.

Valerie arbeitete als Kellnerin in einem Gasthaus, in dem die Gäste häufig auch einfach nur zum Trinken hingingen. So kam es schon des Öfteren vor, dass sie mit solchen Geschichten ankam, in dem es um Gäste ging, die sich wie Arschlöcher aufführten. Typisch Männer eben.

„Respekt, dass du das immer aushältst", meinte Jane, „ich weiß nicht, ob ich das könnte."

„Ach man gewöhnt sich daran. Außerdem könnte ich das gleiche von deinen Männergeschichten sagen", erwiderte Valerie.

Ja, da hatte sie nicht ganz unrecht. Neben mir lebte auch Jane ein exzessiven Männerleben. Seit einiger Zeit hatte sie aber ständig diese On-Off-Beziehung mit so einem Typen laufen.

„Was ist denn jetzt eigentlich mit Luke?", fragte ich sie.

„Ach, keine Ahnung. Ich weiß einfach nicht, was er will und ich werde nicht schlau aus ihm.

„Dann frag ihn doch einfach", sagte Brianna.

Brianna war die Einzige von uns, die in einer Langzeitbeziehung war. Mit über drei Jahren war das die längste Beziehung, die je einer von uns geführt hatte. Sie hatte Shawn über eine Dating-App kennengelernt. Ich persönlich hielt davon ja nichts, aber anscheinend hat es bei ihr funktioniert. Es war also naheliegend, dass sie sich von uns am besten auskannte, was Männer und so betrifft.

„Ich hab doch schon probiert, Andeutungen zu machen", seufzte Jane, „aber dann blockt er ab. Und dann trau ich mich nicht mehr, ihn darauf anzusprechen. Er sagt auch andauernd, dass seine Zeit braucht und er will auch nie etwas unternehmen."

„Ich an deiner Stelle würde ihn fallenlassen", sagte ich, „es ist ziemlich eindeutig, dass er nichts Ernstes will und dass er dich nur benutzt, um zwischendurch schnell mal mit dir ins Bett zu gehen."

Seht ihr. Das ist mein Deal. Ich bin perfekt darin, anderen Ratschläge zu geben (muss ich wohl auch sein als Lehrerin), aber wenn es um meine eigenen Themen geht, führe ich mich auf wie ein Neandertaler.

„Wie sieht es eigentlich mit Dean aus, Katelynn?", wollte Valerie wissen, „hat er dich noch einmal belästigt oder hast du deine Ruhe?"

Oh nein, nicht das Thema schon wieder. Das Thema, das ich auf jeden Fall vermeiden will und über das ich nur ungern spreche.

„Naja, er ist mein Chef, meine Ruhe werde ich wohl nie haben. Aber nein, ich komme klar. Zumindest zurzeit."

Ich versuchte gelassen darüber zu reden. Innerlich erschauderte ich jedoch. Ich wusste, dass er die Macht hatte. Er konnte machen, was er wollte.

„Wie wärs mit einer Runde Tequila?", versuchte ich die Stimmung wieder aufzulockern.

„Ja, klar!", stimmten sofort alle zu.

Und schon waren wir wieder alle ausgelassen und in heiterer Laune.

Zum Glück. Ich hatte nämlich keine Lust, dieses Thema noch weiter zu vertiefen.

Dear Mr. PresidentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt