Alkoholdrachenproblem (1)

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Etwas Nasses berührte meine Stirn und ich riss die Augen auf. Vor mir stand ein Junge, so ein kleiner Knirps, der sicher nicht einmal fünf Jahre alt war, und hielt eine Flasche über meinen Kopf. Er grinste, aber nur so lange, bis ich zurück grinste, so fies ich nur konnte. Dann suchte er schreiend das Weite.

Ich setzte mich auf meiner Parkbank auf und schob die Schicht Zeitungspapier beiseite, die mir heute Nacht als Bettdecke gedient hatte. Ganz genau, es war meine Bank. Zumindest in der Nacht. Ja, auch richtig, ich hatte auf einer Parkbank übernachtet, genauso wie die letzten paar Nächte zuvor. Wie ich auf der Straße gelandet war? Nun, man könnte sagen, dass das an meinem Alkoholdrachenproblem lag.

"Hallo, ich bin Erik und ich habe ein Alkoholdrachenproblem." So weit war ich letzte Woche gekommen, dann warfen mich die Anonymen Alkoholiker wieder raus, weil ich sie ihrer Meinung nach nicht ernst genug nahm. Den Tag davor hatte mich mein Vermieter vor die Tür gesetzt, weil ich das letzte halbe Jahr keine Miete gezahlt hatte. Es war aber auch schwierig, einen Job zu behalten, wenn man eigentlich nichts Sinnvolles gelernt hat und nie so richtig nüchtern war.

Das erinnerte mich an etwas. Ich tastete mit meinen Fingern, die schwarzen fingerlosen Handschuhen steckten, in der Innentasche meines schwarzen Mantels herum. Ja, da war sie, meine Schnapsflasche. Ich schraubte den Deckel auf, nahm einen Schluck und - plopp - schon saß er wieder auf meiner Schulter. Glen, mein schottischer Whiskydrache.

"Guten Morgen", flüsterte er direkt in meinen Kopf hinein. Seine Stimme hörte sich genauso süß an, wie der Kater am Morgen nach einer durchzechten Nacht.

Ich stöhnte zur Begrüßung nur und rieb mir den Kopf. Die Sache mit den Getränkedrachen war so: Sie kommen zu denen, die bestimmte Getränke ganz besonders lieben, wie ich den Whisky. Alkoholdrachen sind aber noch spezieller. Sie kommen nur dann, wenn ihr auserkorener Begleiter auch genug von ihrem Lieblingsgetränk intus hat. Er hätte jetzt gesagt, das liege daran, dass sie so scheu sind, aber in Wirklichkeit sind sie sicher nur fiese Sadisten.

"Was steht heute an?", säuselte Glen. "Eine Party, bei der wir wieder die Gäste ausnehmen?"

"Glen, es gibt schon seit fast zwei Jahren keine Partys mehr, auf denen wir einfach so auftauchen können."

Ich hatte meine Liebe zum Whisky noch während der Schulzeit gefunden, ausgerechnete im letzten Schuljahr. Keine Frage, was das für meine Prüfungen bedeutete. Kurz danach hatte Glen mich gefunden. Ab da gab es kein Zurück mehr. Mein Abitur hatte ich verhauen und mich danach mit meinen Eltern verkracht. Über Wasser hielt ich mich mit den ganzen Schülerpartys und später Studentenpartys. Damals sah ich noch gut aus und es hat kaum einer gefragt, wenn ich auf einer Party aufgetaucht bin, auf die ich gar nicht eingeladen war. Ich habe mich mit den Leuten unterhalten und mit den Mädels geflirtet. Glen hat Kassen und Geldbeutel geleert. Das war eine schöne Zeit, bis die blöde Pandemie, von der wir nicht sprechen wollen, alles kaputt gemacht hat.

Und deswegen saß ich heute hier auf dieser Parkbank und musste mich von kleinen Jungs mit Wasser, wenn das denn Wasser war, bespritzen lassen. So viel zu mir.

"Ich denke, ich habe eine neue Berufung für dich gefunden", brummte mir mein Drache nun so tief ins Ohr, dass ich vor Schreck aufhüpfte.

Eine blaue, halbdurchsichtige Informationstafel ploppte vor mir in der Luft auf. Darauf stand:

[Evaluierung des Kandidaten hat begonnen.]

"Was ist das?", murmelte ich.

"Eine Systemnachricht."

Eine Frau mit Tochter an der Hand machte einen großen Bogen um mich. Kein Wunder. Obdachlose, die am Morgen besoffen Selbstgespräche führten, mied man besser. Außer mir konnte niemand Glen sehen oder hören und ich hatte die Hemmschwelle, für einen komischen Kerl gehalten zu werden, der mit sich selbst redete, schon lange überschritten.

"Das ist neu, oder?", fragte ich. Ich war ja erst sieben Jahre mit Glen unterwegs und so abwegig, dass ich im Rausch mal etwas verpasst hätte, war es ja nicht.

"Kannst du dich noch an dieses Rollenspiel erinnern, an dem du programmiert hast, nachdem wir uns kennengelernt haben?", fragte Glen.

"Jup." Klar erinnerte ich mich. Das war so ein Ding im Retrostil gewesen, mit Drachenbegleitern und komplexen Fähigkeitsbäumen. Damals hatte ich noch die Hoffnung, irgendwie in die Spieleindustrie einsteigen zu können, auch ohne Abitur.

"Es könnte sein, dass ich einigen der älteren Drachen davon erzählt habe und die es jetzt für ihre eigenen Zwecke verwenden."

"Eigene Zwecke?" Ich zuckte mit den Schultern. War ja nicht so, dass ich Wesen aus einer anderen Welt für Ideendiebstahl drankriegen könnte. Oder doch? "Die haben also meine Ideen geklaut? Springt da für mich wenigstens etwas dabei raus?"

"Nun, du könntest zum Helden dieser Geschichte werden, wenn du dich nicht komplett blöd anstellst."

"Zum Helden dieser Geschichte? Was soll das denn bedeuten?"

Zur Antwort ploppte eine neue Systemnachricht auf. Eine Mission.

[Halte den Bankräuber auf!]

GetränkedrachenWhere stories live. Discover now