Kaffeedrachenprinzessin (3)

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Patrizias Jeans war an beiden Beinen bis zu den Oberschenkeln aufgerissen, das eine Hosenbein und ihre Socken hatte sie benutzt, um ihre Wade provisorisch zu verbinden. Ihre Tante würde sie schon irgendwie wieder zusammenflicken, wenn sie es bis nach Hause schaffte. Das andere Hosenbein musste weg, weil das sonst total dämlich ausgesehen hätte.

Und so humpelte sie durch den Herbststurm, wimmerte bei jedem Schritt und stemmte sich gegen die starken Böen, die in Wellen kamen und sie umzuwerfen drohten. Das war nicht ihr Tag. Nein, eigentlich lief es ja schon die letzten Wochen mies. Vielleicht sollte sie ihre Rache hinter sich lassen. Marco einfach vergessen. Geliebt hatte sie ihn eh nicht. Er war mehr eine Trophäe gewesen. Eine Trophäe, die sie in den letzten zwei Wochen verbeult und demoliert hatte.

Aber, dass Stephanie kurz davor war, Desi mit der Pfanne zu erschlagen, das konnte sie ihr nicht verzeihen. Und jetzt kannte sie ihr Geheimnis. Wusste, wie sie alle schikaniert und in den Wahnsinn getrieben hatte. Stephanie musste weg. Nicht nur wegziehen, nein sie musste für immer verschwinden. Wenn Patrizia daheim war, würde sie mit ihrer Tante besprechen, was sie da machen konnte.

Desi schlief im Rucksack und fiepte. Hatte sie Alpträume von der Pfanne? Am liebsten würde sie sich auch hinlegen. Es dämmerte bereits und ihre Augen wurden schwer. Sie brauchten beide einen Kaffee, um wieder zu Kräften zu kommen.

Schmerz schoss in ihre Wade. "Argh! Scheiße!" Patrizia stützte sich gegen einen Lattenzaun und zog das pochende Bein an. Und wäre sie mit der Verletzung und dem Sturm nicht schon genug gestraft, fing es jetzt auch noch an zu regnen. Es waren nur feine Tröpfchen, doch der Wind peitschte sie ihr unbarmherzig ins Gesicht und gegen die nackten Beine. Ein Moment überlegte sie sich, ob sie ihre Tante anrufen sollte, damit sie sie hier abholte. Nein, besser nicht. Das wäre ein Zeichen der Schwäche gewesen. Sie hatte es selbst auf den Konflikt angelegt, hatte verloren und jetzt musste sie sich auch alleine nach Hause kämpfen.

Und so lief sie weiter, streckte Wind und Regen trotzig das Gesicht entgegen und war sich sicher, dass sie für den Rest der Klausuren dank Erkältung fehlen würde. Irgendwann erreichte sie den Bäcker an der Ecke, um sich mit Verpflegung und vor allem mit Kaffee für den Rest ihres Weges einzudecken. Patrizia konnte der Verkäuferin ihre gemischten Gefühle ansehen. Sollte sie Mitleid mit dem klatschnassen Mädchen haben? Oder sie rauswerfen, weil sie ihr kurz vor Ladenschluss noch einmal den Boden versaute? Doch ihr war es egal, was sie dachte, sie wollte nur ihren Kaffee.

Als sie mit zwei Bechern in der Hand und einem Zartbitter-Schokomuffin im Mund vor die Tür gesetzt wurde, hatte wenigstens der Regen aufgehört. Sie wollte gerade den einen Becher für Desi einhängen, da sah sie es.

Eine verräterische grüne Aura bewegte sich dort, auf der anderen Straßenseite. Sie ging von einem alten Mann in langweiligen Klamotten aus, der gerade eine Tür abschloss. Neben ihm stand ein zweiter alter Mann, der ein braunes Jackett trug. Ihr Blick fiel auf die Fensterfront des Gebäudes, durch die Tische und Stühle zu sehen waren, dann hoch zum Schild, das über der Tür prangte. Chinesische Schriftzeichen, ein grünes Blatt und darunter stand: Tis Teeladen.

Sie spürte die ekelhafte Präsenz des Teedrachen, der sich unter dem Pullover des alten Mannes versteckte und es klickte. In Patrizias Kopf. Stephanie musste bei ihm Tee getrunken haben und der Teedrache hatte die Wirkung verändert. Hatte sie verstärkt. Statt sie einfach nur ein wenig zu beruhigen, musste der Tee ihr die absolute Gelassenheit verpasst haben.

Patrizia grinste. Sie hätte gegrinst, wenn der Muffin nicht ihren Mund blockiert hätte. Wenn sie den Drachen des alten Mannes beseitigte, würde sie viel mehr Punkte bekommen und gleichzeitig die Macht der Teedrachenprinzessin schwächen. Sie hängte den Kaffeebecher ein, damit sie eine Hand frei hatte, biss vom Muffin ab und spülte den Bissen mit starkem, schwarzem Kaffee hinunter. Das weckte sie auf und gemeinsam mit der Vorfreude, vergaß sie all ihre Schmerzen und den jämmerlichen Zustand, in dem sie sich befand. Ein Schritt auf die Straße und ein Auto musste abbremsen. Patrizia ignorierte das Hupen und das Geschrei des Fahrers, der die Tür aufgerissen hatte.

GetränkedrachenWhere stories live. Discover now