Bereuen

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Nervös betrat ich den Club und hielt Ausschau nach irgendjemanden, den ich kannte. Allerdings konnte ich niemanden entdecken. Zuerst war die Menge für mich nur ein undurchdringbares Dickicht und ich hatte das Gefühl alle Menschen verschmolzen zu einer Masse. Meine Augen formten sich zu kleinen Schlitzen und ich bekam Kopfschmerzen. Es war sehr laut und ziemlich voll. Ich war nicht die größte und konnte kaum über die Menschen hinwegsehen.

Schon seit Jahren war ich in keinem Club mehr gewesen. Irgendwie war mir das während meines Studiums ironischerweise komplett verloren gegangen. Vor allem als ich meine Doktorarbeit geschrieben hatte. Mir hatte schlichtweg die Zeit gefehlt. Ich kam mir so vor als wäre ich langsam zu alt dafür. Auch wenn ich mich während diesem Wochenende so oft gefühlt habe als wäre ich wieder 16, wurde mir immer wieder bewusst, dass ich es eben doch nicht war.

Schließlich fiel mir doch jemand auf. Wenn auch nur, weil er direkt vor mir stand. „Hallo Elli.", begrüßte mich Álex. Er hatte einen finsteren Blick aufgelegt, den ich sonst nicht von ihm kannte und auch sein Ton klang nicht besonders freundlich. „Was ist los?", fragte ich deshalb auch sofort. Álex war nun einmal nicht ganz so gut darin seine Gefühle zu verbergen wie Marc. Wir hatten das Wochenende nicht wirklich miteinander gesprochen.

Álex fuhr sein eigenes Rennen und er war nur sehr selten in Marcs Box. Irgendwie war ich ihm auch etwas aus dem Weg gegangen. Es gab zwar nie Streit zwischen uns, doch bei ihm konnte ich auf weniger Verständnis hoffen, wenn es darum ging, was vor sechs Jahren passiert war. Marc würde ich wohl immer etwas bedeuten, genauso wie auch er mir immer etwas bedeuten wird. Bei Álex hatte ich so ein Privileg nicht.

„Du tust ihm weh. Ich hoffe das ist dir bewusst. Er hat lange gebraucht über dich hinweg zu kommen. Das du jetzt wieder da bist hilft ihm nicht. Seine Gefühle spielen verrückt. Ich habe es sofort gemerkt, nachdem ich ihn gesehen habe. Nimm den Ring von deinem Finger und gib ihm eine zweite Chance oder halte dich von ihm fern." So viel Feindseligkeit war ich nicht gewohnt. Ich hatte mich immer sehr gut mit Marcs Familie verstanden.

Besonders mit Álex. Seit ich Marc kennengelernt hatte war er fast immer mit dabei. Oft waren wir zu viert, gemeinsam mit unseren Brüdern unterwegs. Für Marc war Álex sowieso schon immer die wichtigste Bezugsperson. So waren die beiden Brüder nun einmal. Sie teilten sich alles. Es war immer ein bisschen so als wären beide nur ein Teil des anderen. Wenn jemand an Marc interessiert war und Álex nicht mochte, dann gab es keine Chance für diese Beziehung. Ich wusste immer um die Stellung, die Álex in Marcs Leben einnahm und wie klein doch meine eigene Rolle im Vergleich dazu spielte.

Ich merkte sofort wie sehr mich seine Worte trafen. Meine Augen wurden glasig und ich spürte, dass ich die Tränen nicht zurückhalten konnte. Vielleicht traf mich das Ganze auch so, weil ich wusste, dass er Recht hatte. Ich spielte mit Marc und mit seinen Gefühlen. Niemals hätte ich zu ihm ins Hotelzimmer kommen sollen, niemals hätte ich am nächsten Tag bei ihm bleiben sollen. Ich hätte mich von ihm fernhalten sollen. Ich hätte einfach nur meine Arbeit erledigen sollen und ihn seine erledigen lassen. Noch nicht einmal für heute Abend hätte ich zusagen sollen.

Erst jetzt erkannte ich, dass ich einen riesigen Fehler gemacht habe. Ich wollte etwas erwidern, doch ich wusste nicht was. Deswegen schloss ich meinen Mund wieder und nickte einfach nur stumm. Die Tränen rannen mir jetzt endgültig über die Wangen und Álex legte seine Hand auf meine Schultern. „Es tut mir leid, wenn das gerade sehr hart war. Du weißt, dass ich dich immer mochte, aber du tust Marc nicht gut. Zumindest nicht so wie euer Verhältnis im Moment ist." Ich schüttelte den Kopf. „Du hast Recht. Es tut mir leid."

Álex sah mich verständnisvoll an. Es war doch sowieso verrückt. In der Früh um vier musste ich im Zug nach Madrid sitzen. Ohne noch ein Wort zu sagen, drehte ich mich um. Mein Plan war einfach wieder zurück ins Hotel zu fahren oder an den Bahnhof und die paar Stunden zu warten, bis ich ohnehin zum Zug musste. Ich stolperte mehr als, dass ich wirklich ging.

Last DanceWhere stories live. Discover now