Prolog

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Das schnurrende Geräusch eines Automotors war der einzige Laut, der die Nacht erfüllte. Ansonsten wirkte das Gelände wie ausgestorben.

Keine Vögel. Kein Wind. Nichts.

Die Frontlichter erfüllten den leeren, gepflasterten Platz. Fast nervös bewegte sich ihr Kegel in der Dunkelheit. Dann verstummte der Motor und die Lichter erloschen. Aus dem Wagen stieg ein junger Mann mit gepflegtem Haar und in blauem Anzug.

Er schenkte dem tristen Gebäude kaum Aufmerksamkeit, als er über den mit Kindermalereien übersähten Platz ging.

"Mister Lewis", eine Frau mit strengem Dutt und tiefen Ringen unter den Augen trat aus einem versteckten Nebengebäude und ging auf den Mann zu, um ihm die Hand zu schütteln. 

"Miss Evan. Was eine Freude, dass es doch geklappt hat", er schenkte ihr ein süffisantes Lächeln und versuchte ihre Hand mit seinem festen Händedruck zu dominieren. Statt zu antworten schnaubte sie nur. Ihr war klar, dass Lewis Entscheidung längst gefällt worden war, dass er dieses amüsierende Spiel nur noch weiter verfolgte um sie in den Wahnsinn zu treiben und, dass ihm die Kinder scheißegal waren.

„Na dann wollen wir mal", sie erwiderte sein unehrliches Grinsen, schaltete ihre Taschenlampe ein und ging voran. Die matt glänzende Türklinke des Haupteingangs schmiegte sich glatt und kalt in ihre Hand. Wie viele Menschen wohl je hier gestanden und sie achtlos betätigt hatten um in den Hallway dahinter zu gelangen.

Jetzt würden sie nie wieder kommen.

Während die beiden Erwachsenen zusammen durch den dunklen Flur liefen, stellte Mister Lewis einige kaum interessierte Fragen zu dem Gemäuer, den Preisen und der Fläche. Nur die Geschehnisse erwähnte er kein einziges Mal. Für alle Außenstehenden war nie etwas passiert. Die Schule musste wegen den mangelnden Schülern und der fehlenden Ausstattung geschlossen werden, nicht wegen anderen Ereignissen.

Als Miss Evan und Mister Lewis am Ende des Flures angelangt waren, flackerten die Leuchtstoffröhren. Für einen kurzen Moment waren sie in Dunkelheit gehüllt, nur der Kegel der Taschenlampe erhellte die Linoleumfliesen.

Als die Lampen den Gang wieder in Licht tauchten, meinte Miss Evan für eine Sekunde einen dritten Schatten zu sehen. Schnell schüttelte sie den Kopf und kramte ihren Schlüsselbund hervor. Wenn sie solche Beobachtungen jetzt auch noch laut äußerte, würde Lewis sie wahrscheinlich zu Recht als verrückt bezeichnen.

Die ältere Dame ließ ihm den Vortritt in das karge Zimmer, warf noch einen letzten Blick in den schattigen Flur und folgte Lewis dann in den großen Raum. Eine Hand voll Menschen saß verteilt auf den schmutzigen Sofas und auf den knarzenden Holzstühlen.

„Guten Abend zusammen"; begrüßte Mister Lewis und scheuchte einen jungen Assistenten von dem letzten freien Platz.

„Können wir jetzt endlich anfangen?", eine junge, bereits etwas genervte Frau mit schwarzem Haar und schwerem altmodischen Schmuck, die neue Chefin der Abrissfirma, die Mister Lewis schon seit einigen Jahren aufkaufen wollte, lehnte sich nach vorne über den Tisch und zog einen Stapel Papiere, der seit einigen Minuten unbewegt in der Mitte der Leute lag, zu sich.

Unruhig bewegte sich Miss Evan ein Stück von den edel gekleideten Leuten weg und zu der Fensterfront, die von halbheruntergelassenen, zerfressenen Rollläden geschützt wurde. Trotz der Protektion waren sie alle samt beschädigt und notdürftig mit Planen geflickt.

Ihr bedeutete das Gebäude etwas und sie wusste, dass sie nicht zu lassen konnte, es zu zerstören. Viele Jahre ihres Lebens hatte sie diese paar tausend Quadratmeter gepflegt, verschönert und gehütet, wie eine kostbare Perle. Die Schüler kamen, weil sie kommen wollten. Weil Lehrer und Schüler perfekt harmonierten, das Lernen Spaß machte und sie eine gute Gemeinschaft bildeten.
Der Grund für die Schulschließung war also nicht die fehlende Schülerzahl, sondern ein Unruhestifter, der in ihr friedliches Leben eindrang.

HuntedWhere stories live. Discover now