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❕ TW: dieser Teil enthält Gewaltszenen ❕

Stefanie
Die Ferien neigten sich dem Ende entgegen. Noch eine Woche, ehe der Schulalltag wieder beginnen würde. Doch das erste Mal in meinem Leben freute ich mich so sehr auf den ersten Schultag, wie wohl kaum ein anderer Schüler. Der Grund dafür lag auf der Hand; ich würde nicht mehr den ganzen Tag bei Klaus sein müssen. Die meiste Zeit der vergangene Tage hatte ich alleine mit Klaus zuhause verbracht, war ihm ausgeliefert gewesen. Er tat mir weh. Drohte mir. Und ich schwieg. Verriet niemandem, dass er hinter der freundlich wirkenden Fassade lediglich seine dunkle Seite verbarg und sie bloß mir offenbarte. Auf grausame Art und Weise. Der einzige Lichtblick in den Ferien waren stets die Bandproben gewesen und generell die Zeit, die ich mit meinen Jungs oder mit Thomas alleine verbringen konnte. Bald sollte unser erster gemeinsamer Auftritt stattfinden, ein Barbesitzer hatte uns erlaubt, an einem Samstagabend bei ihm ein Konzert zu spielen und wir würden vielleicht, wenn der Abend gut lief, einen Teil der Einnahmen bekommen. Das Geld war uns jedoch weniger von Bedeutung, denn wir wollten spielen. Wir waren aufgeregt, als würden wir für ein Konzert im Olympia-Stadion proben und gleichzeitig freuten wir uns, die Reaktionen der Leute auf unsere Songs hautnah erleben zu können.
Aus meinen Gedanken riss mich ein Klopfen. Doch es war nicht irgendein Klopfen, es war sein Klopfen. Die beinahe rhythmische Reihenfolge von Tönen, die seine Fingerknochen auf dem etwas altmodischen Holz erzeugten. Im Nu verdrängte dieses in etwa vier Sekunden lange Erkennungsmerkmal meine fröhlichen Gedanken an die Musik und bereiteten mich mehr oder weniger auf das vor, was mir nun bevorstehen würde. Mir lief es heiß und kalt zugleich den Rücken hinab, in mir zog sich schmerzhaft alles zusammen. Die Türklinke drückte sich nach unten. Natürlich wartete er nicht, bis ich ‚Herein' sagte. Das hatte er noch nie getan. Das Klopfen war bloß reine Schikane, um mir Angst zu machen. Und es funktionierte; ich hatte Angst. Angst vor ihm, vor seinen Machenschaften, vor seinen Fantasien. Angst vor seinen Plänen und Gelüsten mit mir.
Mein Handy hielt ich mit der bereits gewählten Nummer unter der Bettdecke bereit. Es war meine einzige Hoffnung, dass ich mich jemandem anvertrauen konnte und man mir glaubte.
Die Tür öffnete sich mit einem leisen Quietschen und dann trat er auch schon ein, während ich mich immer weiter unter meiner Bettdecke versteckte und zu zittern begann. Wie in Zeitlupe kam er auf mich zu, sein abstoßend verstörendes Grinsen ließ ihn nur noch schauderhafter aussehen. Ich schielte noch einmal kurz unter meine Decke, drückte auf ‚Anruf' und schaltete den Ton auf stumm und schob es dann von mir weg, damit er nichts mitbekam.
„Ach komm, nicht so schüchtern, meine Süße. Ich bin sicher, dir wird es mindestens genauso viel Spaß machen wie mir." Grinste er abfällig, dann zog er mir die Decke weg, doch zu meinem Glück lag mein Handy weit genug weg. Dann riss er mich grob von meinem Bett und ließ mich auf den Boden fallen, wie immer. Und dann begann sein Spielchen; er prügelte auf mich ein und schrie mich an. Er hatte sich angewöhnt, mich alle paar Tritte hochzuziehen, mir einen Kuss auf die Lippen zu zwingen und mich schließlich wieder fallenzulassen, um das Ganze zu wiederholen. Wieder und wieder und wieder. Dem folgte ein schadenfrohes und gleichermaßen angsteinflößendes Lachen, was meine Schreie fast schon übertönte. Denn ohne dass ich es groß hätte verhindern können, schrie ich immer wieder vor Schmerz auf. Meine Schreie wurden lauter, ebenso wie sein Lachen.
Ich hoffte nur noch, dass es bald wieder vorbei sein würde, dass ich es geschafft haben würde. Erst nach gefühlten Stunden ließ er von mir ab. Wie lange es tatsächlich gedauert hatte, wusste ich nicht. Ich keuchte auf, als er zur Tür ging. „Wer ist das denn jetzt." Murmelte er genervt und verdrehte die Augen. Ich hatte nur unbewusst mitbekommen, dass es geklingelt hatte und verknüpfte dies nicht sofort mit dem vorzeitigen Abbruch seiner Tortour, mein Kopf schmerzte einfach zu sehr für solche Zusammenhänge, selbst mein Handy, welches noch immer auf Lautsprecher geschaltet war und unter meiner Bettdecke lag, hatte ich schon wieder vergessen. Erst während ich mich langsam und mühsam erhob, jeden meiner Knochen spürte und vor Schmerz einen Moment lang wie gelähmt war, fiel es mir ein; mein Handy, der Anruf! Sofort flammte Hoffnung in mir auf. So sehr, dass ich auf wackeligen Beinen zu meinem Schreibtisch wankte und mich kurz an ihm abstützte. Im selben Moment öffnete sich die Tür auch schon wieder, langsam wurde der Spalt wieder breiter.
Und herein trat... Klaus. Meine hoffnungsvolle Mimik verlor sich sekundenschnell wieder und tauschte sich mit der blanken Enttäuschung. Er lachte hämisch, als er es sah. „Dieser Thomas war da, einer aus deiner komischen Band glaube ich. Stell dir vor, der wollte doch allen Ernstes zu dir." Spottete er. „Natürlich habe ich ihn weggeschickt, dann haben wir noch mehr Zeit für uns, bis deine Mutter von der Arbeit heim kommt." Er kam auf mich zu und griff mit seiner riesigen Hand plötzlich da hin, wo keine männliche Hand je gewesen war. Ich schrie erschrocken auf und versuchte ihn, natürlich vergeblich, von mir wegzuschubsen. Noch einmal griff er mir grob an die Brust dass es mir weh tat und ich das Gesicht verkniff, dann ließ er von mir ab und musterte mich eine Weile. „Du kennst das Spiel ja, kein Wort zu niemandem. Deine Mutter ist die nächsten zwei Tage zuhause, danach sehen wir weiter."
Und ehe ich mich versah, ging er schon aus meinem Zimmer und ließ mich einsam zurück. Er wirkte ratlos, was er noch mit mir machen sollte. Oder überlegte er bloß, wie weit er noch gehen konnte? Der Gedanke jagte mir Schauer über den Rücken und ich beschloss, mich nun irgendwie ablenken zu wollen. Denn ich wusste, für den Moment hatte er genug und war gegangen. Doch ob das von allzu langer Dauer war, wusste ich nicht.

Irgendwas bleibt Where stories live. Discover now