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-Gegenwart-
Sechs Jahre war der wohl schlimmste Tag der Familie nun schon her. Sechs Jahre, seitdem er nicht mehr da war. Sechs Jahre, in denen so wahnsinnig viel passiert war, und doch war er an diesem Tag, ebenso wie an jedem anderen, noch immer präsent. Nie würden sie ihn vergessen, auch wenn der Verlust inzwischen ein bisschen erträglicher geworden war. So erträglich, wie der Tod eines geliebten Menschen eben sein konnte. Die beiden Mädchen waren heute bei Freunden und würden auch dort übernachten. Sie vermutete, dass sie etwas Ablenkung suchten und sie ihnen diese nicht so geben konnte, wie sie es brauchten. Auch Monika lenkte sich heute ab, auch wenn es abwertender klang, als ihr lieb war. Seit ein paar Monaten hatte sie sich tatsächlich neu verliebt. Das, was sie vor sechs Jahren für unmöglich gehalten hatte, war eingetroffen. Hals über Kopf waren sie tatsächlich zusammengekommen. Sie war glücklich. Bald wollte sie es auch ihren Töchtern sagen, denn bis jetzt hatte sie es vor ihnen verheimlicht, aus Angst, was sie davon hielten und ob sie nicht vielleicht mit ihren vierzehn und achtzehn Jahren zu jung waren um zu verstehen, dass alles seine Zeit hatte. Und wenn jetzt ihre Chance gekommen war, um wieder glücklich zu werden, dann ergriff sie diese auch. Die Zeit nach seinem Tod war hart gewesen. Die Trauer war überall spürbar gewesen, sie hatten die mitleidigen Blicke bemerkt, wenn sie durch das Dorf gegangen waren. Dann kam die Beerdigung. Einer der dunkelsten Tage in dieser Zeit. Es war mehr als eine Beerdigung gewesen. Es wurde zu einem Abschied von ihrem Mann. Der, der überall im Dorf gerne gesehen war, der überall Freunde hatte und der mit jedem Menschen irgendwie klarkam. Er hatte nie Feinde gehabt. Nur zuletzt, da hatte ihm diese elende Krankheit den Kampf angesagt... und gewonnen.
In den vergangenen sechs Jahren hatte sie also versucht, ihren Töchtern Halt und Schutz zu geben, obwohl sie genau das doch selbst, gerade am Anfang, am meisten gebraucht hätte. Eine Zeit lang hatten sie alle bei Freunden wohnen müssen, weil das Haus zu teuer geworden wäre. Mit einem Gehalt weniger war es eben schon schwer genug, auch ohne Miete für ein Haus, in dem sie nicht mehr wohnen konnten, ohne stets von Erinnerungen heimgesucht zu werden. Es hatte länger gedauert als erhofft, bis sie dann einen neuen Job gefunden hatte, in dem sie mehr verdiente, und sie schließlich wieder in ein eigenes Heim ziehen konnten. Neben all diesen Problemen, Sorgen und Ängsten, Zweifeln und Trauer, hatte sie sich die größt mögliche Mühe gegeben, eine gute Mutter zu sein. Rückblickend glaubte sie nun, dass sie dies auch geschafft hatte und das wiederum machte sie irgendwie stolz. Die Narbe an ihrem Herzen verblasste jeden Tag ein bisschen mehr, auch wenn sie nie verschwinden würde. Er blieb immer ein Teil von ihr und ihren Kindern, weshalb im Wohnzimmer auch noch immer ihr Hochzeitsbild und ein Familienfoto hing. Die Bilder waren ihr heilig, auch wenn sie sie erst seit Kurzem ansehen konnte, ohne weinen zu müssen. Sie seufzte tief und starrte aus dem Küchenfenster. Er hätte gewollt, dass sie wieder glücklich wurde, mit einem anderen Mann. So hatte sie sich, möge es für andere auch verwerflich sein, heute mit ihm verabredet. Sie wollten gemeinsam Kochen, Filme schauen und den Abend verbringen. Freudig ging sie zur Tür als es klingelte und lächelte. Ihr Herz machte einen Hüpfer als sie Klaus sah und er begrüßte sie mit einem sanften Kuss. Dass der Abend um Einiges intensiver und lustvoller vonstatten ging als geplant, bemerkt sie schnell, als die beiden sich küssend langsam zu ihrem Schlafzimmer bewegten.
Zur selben Zeit lag die jüngere der beiden Schwestern bei ihrer besten Freundin auf dem Sofa und aß mit ihr Chips. Sie nutzen die sturmfreie Bude voll und ganz aus, denn Simmis Eltern waren noch bis morgen Abend unterwegs. Es war niemand da der kontrollierte wann sie ins Bett gingen, also legten sie einen Film nach dem anderen in den staubigen DVD-Player, der sich aufgrund seines Alters schon leicht erwärmte, nach all den Filmen, die er an diesem Abend schon abspielen ließ. Die Mädchen redeten wie immer nahezu endlos über dieses und jenes, nur ein Thema, den Tod von Stefanies Vater, mieden sie konsequent. Das würde die ausgelassene Stimmung kaputt machen und außerdem wollte Steff heute nicht daran denken, das tat sie schließlich ohnehin schon genug. Nicht nur in der Hinsicht war sie das genaue Gegenteil ihrer älteren Schwester. Diese versuchte nämlich das ganze Jahr über so zu tun, als wäre nichts gewesen. Sie verdrängte es, ließ ihre Trauer nicht die Oberhand gewinnen und konzentrierte sich auf ihre Zukunft, die sie allmählich selbst in die Hand nehmen musste. Nur am Todestag ihres Vaters ließ sie dann die Tränen zu, ließ sich trösten und zeigte, dass sie nicht so stark war, wie sie immer tat. So lag sie also in den Armen ihres Freundes, schluchzte leise vor sich hin und ließ vor ihrem inneren Auge schöne Momente mit ihrem Vater entlanglaufen, die so nie wiederkommen würden. Tobias verstand Janet und war an diesem schweren Tag einfach nur an ihrer Seite. Er hielt sie tröstend in seinen Armen und drückte sie hin und wieder an sich, wenn ihre Schluchzer zunahmen. So verbrachten alle drei diesen Abend auf unterschiedliche Weise, so wie es für sie das jeweils Beste war. Es war ein Abend, an dem noch alles friedlich war. Ein Abend, an dem noch niemand ahnen konnte, was es hieß zu fallen.

Irgendwas bleibt Where stories live. Discover now