Bleistift

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Autsch.
Seine Aussage schmerzt.
Seine Worte hinterlassen ein leeres und zugleich erdrückendes Gefühl in meinem Herzen.

Trotzdem ist seine Reaktion vorhersehbar gewesen. Die Idee, ihm meine Dankbarkeit auszudrücken, war schlichtweg einfältig. Gar dämlich. Leicht verlegen blicke ich unter mich und murmele in mich hinein.

"I-Ich weiß. Dennoch möchte ich mich bedanken. Für dein Vertrauen in mich."

Sein strenger Blick wandert kurzzeitig zu mir. Es handelt sich hierbei um Sekunden, die er mir von seiner Aufmerksamkeit schenkt. Möglicherweise bloß eine. Ich habe mein Zeitgefühl in diesem Moment verloren. Ich verliere seinen Blick aus den Augen. Noch kann ich ihn nicht deuten, denn in dieser einen Sekunde liegt mein Fokus auf seinem Schreibtisch. Genauer gesagt, an einem metallenen Schlüsselbund, welcher bereits droht, vom Schreibtisch zu stürzen. Er wurde unachtsam abgelegt. Ist seinem Zweck aktuell nicht würdig. Sprich, einer dieser Schlüssel könnte Jeffs Weg in die Freiheit bedeuten. Durch meine Hand. Doch wie soll ich bloß an diesen Schlüsselbund gelangen!?

Es handelt sich hierbei um schätzungsweise zwei Schritte meinerseits.
Ich könnte vortäuschen zu stolpern?
Ich könnte meine Dankbarkeit durch eine überschwängliche Umarmung ausdrücken, die mir kurzerhand später um die Ohren fliegt?
Nein, jede Option würde garantiert auffliegen. Versagen. Ich muss einen anderen Weg finden.

Bedacht rücke ich einen Schritt an ihn heran.
Er hat ihn nicht bemerkt, den Schritt, wodurch ich einen weiteren wage und mich somit direkt vor den geräuschfreudigen Schlüsseln befinde. Aus dem Augenwinkel betrachte ich das Zeichen zur Freiheit meines Herzens.

In Ordnung, Alicia. Du schaffst das.
Zielstrebig halte ich meinem Vater die Hand hin, darauf mein Bleistift liegend.

"Erinnerst du dich an diesen Stift? Du hast ihn mir am Anfang deiner Karriere geschenkt und ich-"
In diesem Moment lasse ich den Bleistift aus meiner Hand in seine Richtung gleiten. Der Stift fällt hinunter auf den Boden. Hinter meinen Vater.
Er hat ihn bereits auf dem Boden erspäht. Dreht sich danach um. Bückt sich.
Jetzt ist der richtige Augenblick! Ich greife möglichst unauffällig nach dem Schlüsselbund und räuspere mich zeitgleich. Schnell stopfe ich ihn mit verschwitzter Hand in meine Hosentasche.

"Tut mir leid."

Monoton reicht er mir den Stift.
"Was wolltest du sagen?"

"Nur, dass ich ihn all die Jahre geschont habe.", stottere ich leicht.
Als Antwort erhalte ich lediglich ein Nicken, wodurch das Gespräch nun offensichtlich sein Ende findet. Sein erfolgreiches Ende!

[...]

Der Weg bis hin zum Gefängnis verläuft automatisiert. Fast elektrisierend! Die Hälfte meines Planes ist bereits aufgegangen. Hoffentlich behalte ich meine Glückssträhne bei. Andernfalls dürfte ich wohl niemals wieder das Haus verlassen dürfen, wenn es nach meinem Vater ginge.

Ich betrete möglichst selbstbewusst das Polizeipräsidium. Der Schein von Selbstsicherheit verwahrt meine Vorfreude, Jeff wiedersehen zu können. Lebendig.
Tatsächlich werde ich nicht angesprochen. Grund dafür ist womöglich das Bild, welches sich auf dem Schreibtisch meines Vaters befindet. In seinem Büro. Nicht sonderlich unauffällig positioniert.
Wenn man sich also eine Standpauke von seinem Chef anhört, hat man viel Zeit, um dieses Bild zum Zeitpunkt meines Schulabschlusses im Detail zu betrachten. Zum jetzigen Glück für mich.
Auch der Weg bis hin zu Jeffs Zelle verläuft unproblematisch.

Schritt für Schritt trete ich nun der Zelle näher. Erkenne Jeffs Gestalt. Er sitzt auf dem sichtlich unbequemen Bett und starrt zu Boden.
Noch halte ich mich bewusst zurück. Meine Vorfreude darf diesen Plan keinesfalls zerstören! Ich muss die Kontrolle über mich bewahren.
Bewusst handeln. Ich schaue ihn an. Er hat mich noch nicht bemerkt. Für ihn mag ich noch unsichtbar sein.
Ich erspähe seine eindrucksvollen, einzigartigen Details. Seine rabenschwarzen Strähnen, welche ihm vereinzelt ins Gesicht hängen. Seine blasse Haut. Jede Narbe in seinem Gesicht, die mich nicht mehr begeistern könnte. Und sein überwiegend schneeweißer Hoodie. Innerlich seufze ich zufrieden. Ich brauche ihn.
Inzwischen kann ich es nicht mehr aushalten. Ein glückliches Lächeln ziert meine Lippen und ich nähere mich langsam den Gittern. Sanft lege ich meine Hände an das kalte Eisen.

"Jeff", murmele ich.

Jeff hebt sogleich seinen Blick und ich merke, wie seine Augen feurig zu funkeln beginnen.
Das Funkeln steckt mich an. Mein Herz schlägt schneller. Adrenalin pulsiert durch meine Adern. Das alles passiert mit mir wegen ihm. Wegen seiner Art. Seinem Wesen. Jeff fängt an zu grinsen.

"Du bist genial, Alicia."
Jeff erhebt sich und kommt gleichermaßen an die Gitterstäbe.
"Ich hab' denen noch nichts über den Banküberfall gesagt. Ich wusste nicht, was dein Plan ist."

"Das ist gut so", wispere ich beinahe benebelt von seinem Duft.

Für einen Moment sehen wir uns einzig in die Augen. Eigentlich sollte dies ein Moment des Genusses sein. Er sollte eine romantische Szene wie in einem Film darstellen. Aber ich muss ihn das nun fragen, ansonsten werde ich vollkommen den Verstand verlieren. Die Frage aller Fragen. Liebt er mich wirklich?

"Meintest du das ernst? Vorhin?"

Oh man. Ich bin wirklich nicht mehr zu retten. Keineswegs. Was soll er damit anfangen? Mit diesem Satz, ohne jeglichen Zusammenhang? Ohne die Ahnung einer exakten Situation?
Jeff hingegen greift weiterhin nach der Ernsthaftigkeit des Augenblicks.
Er nickt. Er nickt einfach bloß! Hat er mich verstanden? Meine Andeutung? Ich fasse es nicht.
Unwiderruflich lächele ich, woraufhin er mit seiner Hand sachte über meine streift und sie letztlich durchgehend berührt.

Ich genieße den Moment. Koste ihn voll und ganz aus, ehe mich der Zweck meines Besuchs einholt. Zuerst einmal sollte ich ihn hier herausholen!

"Okay, wir haben nicht viel Zeit", sage ich entschlossen und lasse zögerlich meine Hände sinken.
Meine eine Hand wandert bis hin zu meiner Hosentasche, woraus ich den Schlüsselbund ziehe.
Ohne zu zögern, teste ich einen Schlüssel nach dem anderen. Einer muss in dieses verdammte Schloss passen.
Jeff dagegen wirkt verdutzt. Sehr verdutzt.

"Woher-?"

Keine Sekunde später erfasse ich den passenden Schlüssel und drehe ihn erfolgreich im Schloss um. Die eiserne Tür öffnet sich. Die Freiheit naht.

"Mein Vater. Folge mir."

Eilig laufe ich zum Notschalter und sehe anschließend zu Jeff. Unterdessen behalte ich unsere Umgebung bestmöglich im Auge und versuche, jegliches Geräusch wahrzunehmen. Etwas nervös flüstere ich ihm zu.

"Wenn ich diesen Knopf drücke, fällt die Stromversorgung für einen Moment aus. Die Feuerwehr wird anrücken. Polizisten werden nach den Gefangenen sehen. Wir müssen uns somit zügig in der Dunkelheit bewegen."

Er nickt abermals.

"Ist mein Spezialgebiet. Aber allein werde ich wahrscheinlich besser dran sein."

Was? Was meint er damit?
Ist das seine Art, mir leb' wohl zu sagen?
Bedeutet das, unser Abschied ist gekommen?

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 17, 2023 ⏰

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Heartbeat (Jeff the Killer Lovestory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt