27. Wahre Worte

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Rinigill, 8. Mai

Ian hatte nicht damit gerechnet, so schnell wieder Besuch zu bekommen. Er lag in seinem Bett, als er das Klicken der sich öffnenden Türe hörte. Er stöhnte innerlich.
Bitte nicht noch eine Befragung, dachte er sich. Konnte er nicht für einen Moment seine Ruhe haben? Nur für ein paar Stunden?

Als Protest blieb er liegen und starrte weiter an die Decke, bis eine vertraute Stimme ertönte.

„Hey Ian."

Sofort saß der Argentinier kerzengeraden in seinem Bett. Mit Dave hatte er ehrlich gesagt nicht gerechnet. Sprachlos starrte Ian auf den jungen Arzt, der unter seinem Blick nervös auf dem Rollstuhl hin und her rutschte.

„Können wir kurz reden?", sprach der Braunhaarige zögerlich. Seine Finger zuckten an den Rädern seines Gefährtes, doch er machte keine Anstalten sich von der Türe wegzubewegen.

Statt ihm zu antworten, machte Ian auf seinem Bett Platz und bot seinem Gast mit einer Geste an sich zu setzten. Mit kräftigen Zügen schob sich Dave zu ihm hinüber. Wenige Meter vor dem Bett erhob er sich etwas schwankend aus dem Rollstuhl, bevor er sich konzentriert auf das harte Bett von Ians vorübergehenden Bleibe hievte. Die Matratze bewegte sich kaum unter seinen Händen und war stattdessen starr wie ein Brett. Wie Ian darauf schlafen konnte, war für Dave fraglich. Selbst der Boden machte bequemere Eindrücke.

Während der junge Arzt in Position rückte, blickte ihn Ian erwartungsvoll an. Anspannung zeigte sich in seinen Gliedern, als würde er mit dem Schlimmsten rechnen.

„Ich möchte mich entschuldigen", begann Dave, während er seine Gedanken sammelte. „Ich habe dich zu Unrecht angeschrien. Du kannst nichts dafür, dass mein Vater verletzt worden ist und du bist auch nicht für seinen Tod verantwortlich. Ich war nur... so geladen gewesen, dass ich nicht wusste, wohin mit mir."

Eine Hand legte sich über Daves Finger, die mit nervösem Kneten begonnen hatten. Als er aufblickte, sah er, dass Ian näher gerutscht war und die beruhigende Hand zu ihm gehörte.

*Entschuldige dich nicht dafür. Ich wusste nicht, dass man dir diese Information vorenthalten hat*, antwortete ihm Ian. *Tut mir leid, dass ich deinem Vater nicht helfen konnte. Wie geht es dir?*

„Mir geht es besser", musste Dave ehrlich zugeben. Der Schock saß tief, aber wenigstens war der Frust verflogen. Die Nachricht hatte noch immer einen faden Beigeschmack und die würde sie vermutlich auch noch lange haben. „Tessa war bei mir und ich konnte meine Familie in Spanien erreichen. Meine Abuela ruft später noch zurück."

Ian fiel ein Stein vom Herzen. Zu gerne wäre er für den jungen Arzt da gewesen, doch vermutlich hätte er selbst kein Wort über die Lippen gebracht. Verluste waren jahrelang ein tägliches Programm für ihn gewesen. Damit umzugehen hieß für Ian meist Verdrängung oder am Schmerz zugrunde zu gehen.

Dave konnte es an Ians Gesicht ablesen, dass etwas in seinen Gedanken Achterbahn fuhr, etwas, das ihm eine Ruhe ließ.

„Was ist los? Etwas beschäftigt dich."

*Glaubst du auch noch an meine Unschuld, wenn du wüsstest, dass die Bomben für mich platziert worden sind? Dass all das ein psychopathisches Spielchen von jemandem ist, der mich aus dem Weg haben möchte.*

In Daves Blick lag für einen kurzen Moment Irritation, dann antwortete er mit sicherer Stimme: „Hast du die Sprengkörper persönlich gelegt?"

*Nein*, antwortete Ian, ohne zu zögern, denn mit genau diesen Schandtaten, die Dante verübt hatte, wollte der junge Argentinier nichts zu tun haben.

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