14. In guten, wie in schlechten Zeiten

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London, 30. März

(Passagen mit *Sternchen* sind Aussagen in Gebärdensprache)

"Du hast was getan?!?", entfuhr es Tessa, als Dave ihr von Isabels Benachrichtigung erzählte. Simon schickte ihnen einen vernichtenden Blick vom Ende des Ganges, als Tessas Aufschrei beinahe seine Trommelfelle platzen ließ. Sie hatten Lagerdienst und mussten den Bestand der Arzneimittel und Medikamente auf Vollständigkeit und Ablaufdatum prüfen.

"Dios, jetzt schrei doch nicht so!", presste Dave hervor. "Es ist doch nur ein gemeinsames Essen."

Er zog den Karton mit Kontrastmitteln aus dem Regal und zählte die vorhandenen Behälter. Tessas Kopf schob sich in die entstandene Lücke und fixierte den Braunhaarigen mit großen Augen. Sie blinzelte mehrmals, ehe sie sich räusperte und begann, die ganzen Geschehnisse von hinten aufzurollen.

"Okay, lass mich das klarstellen... Du hast Isabel zu einem Essens-Date zugesagt. Die Isabel, die seelenruhig in ihren Holland-Familien-Urlaub gefahren ist, als du mit einer schwerwiegenden Alkoholvergiftung im Krankenhaus gelegen bist? Diese Isabel?!"

"Ja ich weiß. Sie hat gemeint, sie möchte sich entschuldigen-"

"Oh, die gute Dame möchte sich entschuldigen?"

"-und außerdem ist es kein Date. Sie wollte sich nur zum Essen treffen. Mehr nicht!"

Er schob die Kontrastmittel zurück auf ihren Platz und blockierte Tessas Sicht. Er hangelte sich weiter zu Einmalhandschuhen und Mundmasken. Tessa folgte ihm parallel im anderen Flur.

"Nur zum Essen treffen?"

"Ja. Sie möchte nur ein bisschen quatschen, Tessa."

"Oh Dave, wie kannst du nur so naiv sein. Keine Ex, die mich bis jetzt kontaktiert hat, wollte nur über irgendetwas reden. Die ist doch nie im Leben daran interessiert, was du die letzten Jahre über gemacht hast! Das hat sie doch bis heute nicht gejuckt."

"Du weißt, ich hab kein Interesse an einer erneuten Beziehung mit ihr", entgegnete Dave mit fester und sicherer Stimme. Er hörte Simon vom anderen Ende des Raumes belustigt grunzen. Statt zu antworten trug er 50 Packungen Blutzuckerteststreifen in seine Bestellliste ein.

"Aber weiß das auch Isabel?"

"Keine Ahnung, aber wenn sie wieder eine Beziehung möchte, dann werde ich sie abweisen."

Wenige Sekunden betrachtete Tessa ihren Arbeitskollegen, ehe sie seufzte.

"Ach Dave. Manchmal bist einfach zu gutmütig. Ich hoffe, du weißt, was du da tust", konnte er sie aus dem anderen Gang stöhnen hören.

Sie wechselten das Thema und beschlossen stillen Wortes, dass sie ihren Lagerdienst zu Ende bringen sollten.

--.--

Mit einem tiefen Schnauben sah Dave zum Fenster hinaus. Schwere Regentropfen klopften an die dicken Scheiben. Seit mehreren Tagen hielt das trostlose Wetter an, das teilweise stundenlang über der Stadt seine Tränen ausschüttete. Die Vorhersage für den Rest der Woche brachte keine Besserung.

Er ließ seine Finger knacken, bevor er die letzten Dokumente auf seinem Monitor ausfüllte. Manchmal war er nicht sicher, ob er den Bereitschaftsdienst genießen oder verabscheuen sollte. Grundsätzlich war es die meiste Zeit eine sehr entspannte Arbeit. Gleichzeitig war Dave nicht besonders gut im Warten. Was nicht wirklich von Vorteil war, wenn man den ganzen Tag nur auf Leute wartete, die Beschwerden oder Bedenken hatten und deshalb die Krankenstation aufsuchten. Seit seinem letzten Patienten war eine Stunde verstrichen. In der Zeit hatte er Akten sortiert, medizinische Instrumente desinfiziert und geordnet und Dokumente erst vervollständigt und dann abgeheftet. Danach konnte er nochmal Patientendaten auf Richtigkeit überprüfen, Laborergebnisse checken, Medikamente nachfüllen...

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