Der verlassene Ort

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Jisungs Pov: 

„Psst~ seid jetzt leise. Es muss ja nicht gleich jeder wissen, dass wir hier sind", raunte Seungmin, der sich als Erster durch die schmale Öffnung in das Gebäude gezwungen hatte, ein wenig ungehalten.

Immer noch leise kichernd, folgte ihm Felix, der sich elegant durch den nicht ganz so offiziellen Eingang ins Innere der Halle schob. Dann kam Jeongin, der sich mit neugierigen Blicken umsah und dann doch ein wenig scheu nach hinten, zu mir schielte.

„Kommst du Hyung?", fragte er mit niedlich schief gelegtem Kopf und ich nickte eifrig. So zwängte ich mich als letzter durch die Tür, die eigentlich von einer Eisenkette verschlossen wurde, um ungebetene Gäste fernzuhalten. Doch mit ein wenig Mühe und Geduld, ließ sich diese Kette lockern und dann passte man tatsächlich durch den entstandenen Spalt. Wahrscheinlich interessierte es auch niemanden, dass man so leicht in die alte Bibliothek gelangte. Schließlich war hier nicht mehr, was von besonderem Wert war.

Naja, bis auf sehr verstaubte Bücher, einige Sessel und Tische. Ok, eigentlich war alles noch sehr gut erhalten, bis auf die Elektrik und das Wasser. Die alte Bibliothek war seit mindestens acht Jahren verlassen. Hauptsächlich aus dem Grund, das es eine neue, viel zentralere Bibliothek im Stadtkern gab und man sowieso viel lieber im Internet seine Lektüre bestellte. Auch einige ominöse Gruselgeschichten kursierten über diese Gebäude, die mit dem Verschwinden eines Bibliothekars zu tun hatten. Doch wie die meisten in unserer Stadt hielten wir diese Geschichten für bloße Schwätzerei.

Dennoch war es ein komisches Gefühl, genau jetzt und hier in der großen Eingangshalle zu stehen, die so lange niemand mehr betreten hatte. Wir vier hatten innegehalten, drehten uns langsam um die eigene Achse und staunten kurz über die Unversehrtheit und die schlafende Vollkommenheit dieser Einrichtung. Der Holzboden knarrte leise, als Jeongin einige Schritte in Richtung des Empfangstresen marschierte und dann dem Hinweispfeil zum großen Lesesaals folgen wollte. Dann hielt er inne und drehte seinen weißblond gefärbten Schopf wieder zu uns.

„Wo wollen wir zuerst hin?" Die Augen des Jüngsten funkelten vor Unternehmungslust und ich musste breit grinsen. Auch mich hatte die Neugier gepackt und deshalb warf ich den beiden direkt neben mir Stehenden einen spielerischen Blick zu.

„Wie wäre es, wenn wir kurz die Lage checken und dann entscheiden wir, was uns am meisten interessiert und welchen Raum wir zuerst erforschen?" Ein kurzes einstimmiges Nicken kam von ihnen und wir folgten Innie, der nun fröhlich voraushüpfte und die große Tür zum Saal aufstieß.

Eigentlich waren wir nur hier, da verlassene und alte Gebäude immer einen gewissen verbotenen Anreiz mit sich brachten, aber die alte Stadtbibliothek war noch einmal etwas ganz Besonderes. Zu dem Nervenkitzel, etwas nicht ganz Legales zu tun, kam auch noch ein fast mystisches Flair hinzu. Der Charme eines uralten, lange ungenutzten Ortes löste noch andere Empfindungen aus. Als wäre man nur einen Schritt entfernt davon, in eine andere, verborgene Welt einzutauchen. Und das lag nicht nur daran, dass all die Bücher ihre eigene kleine Welt in sich trugen. Nein, es war ein gänzlich anderes und fast schon surreales Gefühl.

Letztendlich waren Felix, Seungmin, Jeongin und ich eigentlich nur hier, um uns unsere tägliche Dosis an Spaß und Zerstreuung zu gönnen. Wir machten solche verrückten Sachen tatsächlich häufiger und hatten immer neue Ideen. Langeweile war Gift für uns, also taten wir alles mögliche für unserer Unterhaltung. Zum Beispiel also auch in ein Gebäude „einbrechen" und es inspizieren. Wobei einbrechen meiner Meinung nach viel zu hart klang. Wir sahen uns ja schließlich nur um und Schaden konnten wir auch nicht mehr anrichten, da keiner die hier gelagerten Schriften und Möbel noch benötigte.

Wir betraten den Lesesaal und kurzzeitig warten wir wirklich sprachlos. „Wow, hier sind ja wirklich noch voll viele Bücher." Begeistert lief Felix hinüber zu einem der Regale und murmelte die Titel mit, als er sie las.

Dancing with DemonsWhere stories live. Discover now