"Sie sehen wunderschön aus, Mylady."

Mias sanfte Stimme riss Lucinda aus ihren Grübeleien. Sie hob den Kopf und betrachtete sich im Spiegel, perfekt hergerichtet, ihres Eintritts in die Londoner Gesellschaft würdig.

Wäre Bailian der gleichen Annahme?

"Danke, Mia."

Mit einem letzten Blick in den Spiegel und einem tiefen Atemzug, um sich zu wappnen, wandte sich Lucinda von ihrem Spiegelbild ab und verließ das Zimmer. Sie durchschritt die Flure, die ihr nach diesem vergangenen Monat inzwischen so vertraut und gleichzeitig noch immer so fremd vorkamen. Mit jedem Schritt, den sie Bailian entgegenlief, fühlten sich ihre Beine mehr wie Blei an und ihr Herz klopfte wild.

Und dann sah sie ihn dort in der Eingangshalle stehen, auf ihr Erscheinen wartend. Als er sie hörte, drehte er sich zu ihr um und Lucinda versuchte in seinem Gesicht eine Reaktion zu erkennen.

Aber nichts. Seine Miene blieb absolut regungslos.

Als sie direkt vor ihm stand, wich sie seinem Blick aus. Bailian räusperte sich.

"Das Kleid steht dir sehr gut", sagte er schließlich und Lucinda überwand sich und hob ihren Blick.

"Danke."

"Bist du bereit?" Bailian sah Lucinda an und sie konnte seinen Blick nicht recht deuten. Machte er sich Sorgen? Und wenn ja, waren es Sorgen um ihr Wohl oder befürchtete er, dass sie ihn blamieren könnte?

"Ja, so bereit wie ich es nur irgendwie sein kann", nickte Lucinda schließlich und akzeptierte Bailians Arm, den er ihr anbot. Sie atmete noch einmal tief durch und nahm sich fest vor, sich ebenso wie Bailian hinter den guten Umgangsformen zu verstecken.

Vielleicht würden Bailian und sie heute Abend nicht wie ein frisch verliebtes Paar wirken, aber letztendlich waren sie dies ja auch nicht. Ihre Ehe war, wie viele andere auch, arrangiert. Eine Lösung, die beiden Seiten Vorteile brachte, auch wenn sich Lucinda immer öfter fragte, ob die Vorteile die Nachteile dieser Bindung tatsächlich überwogen oder ob sie lieber fortlaufen hätte sollen.

Als Bailian ihr in die Kutsche half, warf sie ihm noch einmal einen kurzen Blick von der Seite zu und fragte sich, ob Bailian ihr Segen war oder doch ihr Fluch.

***

Je länger die Kutsche fuhr, desto nervöser wurde Lucinda. Unbewusst knetete sie ihre Hände, ein kleiner Ausdruck ihrer inneren Unruhe, der Bailian offenbar auch nicht verborgen blieb.

"Du musst nicht so nervös sein. Du wirst deinen Platz in der Londoner Gesellschaft schon finden."

"Es ist nur alles so neu für mich und ich weiß nicht genau, was mich erwartet", gestand Lucinda. Natürlich hatte sie bereits Bälle besucht. Aber diese hatten ländlichen Charakter aufgezeigt, nicht Großstadtcharakter wie der heutige Abend.

"Ich bin ja auch noch an deiner Seite", versicherte Bailian ihr überraschend sanft. Wehmut überkam Lucinda. Nach den letzten Wochen fiel es ihr schwer, seinen Worten Glauben zu schenken.

"Bist du das?", fragte sie ihn leise und sah ihn fest an.

"Darauf habe ich dir mein Wort gegeben und mein Wort halte ich immer."

Lucinda erwiderte darauf nichts. Es war richtig, Bailian hatte stets getan, was er gesagt hatte und sie nie angelogen – zumindest wovon sie wusste – aber er enthielt ihr Informationen vor und das war ihrer Meinung nach genauso unehrlich.

Trotz ihrer Konflikte und Dispute wollte sie jedoch auf keinen Fall, dass auf Bailian ihretwegen ein schlechtes Licht geworfen wurde und deswegen wollte sie alles daran setzen, einen guten ersten Eindruck in der Gesellschaft zu machen.

Lucinda RoseWhere stories live. Discover now