Wie man als Gift bezeichnet wird

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Als ich meine Augenlider öffne, fühle ich mich, als hätte mich eine Kutsche überfahren. Meine Glieder schmerzen, mein Kopf dröhnt.
     Stöhnend fahre ich mir mit meiner Hand über das Gesicht und versenke meinen Kopf weiter in die Kissen. Schlafen. Ich möchte schlafen.
     Eine sanfte Berührung an meiner Wange lässt mich zusammenzucken. Meine halbgeschlossenen Augen reiße ich augenblicklich auf. Aus Reflex schlage ich die fremde Hand weg und setze mich auf. Die schwarze Kapuze des Dämons sitzt tief in seinem Gesicht, versteckt jedoch den amüsierten Funken in seinen eisblauen Augen nicht.
      »Gehts dir gut?« Fragt Aedion und lässt mich nicht einen Augenblick aus den Augen, als ich mich aus dem Bett schwinge und mit zittrigen Beinen vor ihm stehe. Ich öffne den Mund, um ihm zu antworten, schließe ihn jedoch fast augenblicklich wieder, als ich ein merkwürdiges Geräusch höre.
     Bums. Bums. Bums.
     Was ist das?
     Bums. Bums. Bums.
     Hektisch schaue ich mich im Zimmer um, um die Ursache für dieses Geräusch auszumachen, bis mein Augenmerk auf den Brustkorb des Dämons verweilt. Synchron mit dem Geräusch hebt und senkt er sich.
      Höre ich etwa seinen Herzschlag?
     Ich runzle die Stirn und konzentriere mich auf das Geräusch und den Brustkorb des Dämons. Es ist synchron. Ich irre mich nicht. Aber das ist doch ... das ist nicht normal.      »Davina?« Die Stimme des Dämons klingt normal. Fast. Ich kann es nicht so recht beschreiben, aber irgendetwas an Aedions Stimme weckt in mir den Drang, die Ohren zuhalten zu wollen. Es ist als würde mein Körper sich gegen den Dämon wehren wollen. Aber warum?
     »Nein«, wispere ich. »Mir geht es nicht gut«
      Aedion kommt einen Schritt auf mich zu. Dann noch einen. Und noch einen. Das Geräusch seines schlagenden Herzens wird lauter und dröhnt in meinen Ohren, sodass ich mir nicht anders zu helfen weiß, als meine Stimmlage zu erhöhen: »Stopp!« Meine Stimme klingt schneidend, gebieterisch und hallt noch Sekunden danach in meinen Ohren nach. Das ist definitiv nicht normal.     Stöhnend presse ich meine Handballen gegen meine Schläfchen, als sich Erinnerungsfetzen vor meinen geistigen Augen widerspiegeln. Die erste Erinnerung an meine Mutter, meinen angeblichen Vater und meinen richtigen Vater spielen sich immer wieder vor mir ab, wie eine Dauerschleife, die ich nicht stoppen kann. In Sekundenschnelle sehe ich alles vor mir. Alle Erinnerungen, die ich vergessen und niemals für möglich gehalten habe, sie jemals wieder zurückzubekommen.
      Ich schlucke.
     Nun habe ich alles, was ich mir mein ganzes Leben lang schon gewünscht habe. Nur ... warum bin ich dann nicht glücklich?
     »Geh«, zische ich, ohne aufzuschauen, um den Dämon nicht meine brennenden Augen zu offenbaren. Es ist nicht fair, dass ich meine schlechte Laune, die von meinen Erinnerungen und neuen Eindrücken herrühren, an den Dämon auslasse. Schließlich ist Aedion immer freundlich zu mir gewesen. Ist immer für mich da gewesen, selbst als niemand auf meiner Seite war. Doch Aedions schlagender Herzschlag und sein beißender Geruch treiben mich in den Wahnsinn.
     Der Dämon antwortet nicht, aber als ich wenige Sekunden später keinen Herzschlag höre, bin ich mir sicher, dass er meiner Bitte nachgekommen ist. Nur sein Geruch haftet noch leicht in den Raum. Aber es ist aushaltbar. Dennoch ... Ich kann hier nicht bleiben. Wenn sie es herausfinden, wenn Rowan es herausfindet, dann bin ich eine tote Frau. Ich habe alle angelogen. Meine Eltern, Rowan, ja sogar Kova. Auch wenn ich es unwissentlich war. Eine Lüge bleibt eine Lüge. 
   Stürmisch verlasse ich das Zimmer und anschließend das Schloss. Die Nacht ist bereits angebrochen und obwohl ich eigentlich so gut wie gar nichts sehen sollte, sehe ich meine Umgebung so klar, als würde Sonnenlicht mir den Weg erleuchten. Kopfschüttelnd streiche ich mir über meine nackten Arme und laufe weiter. Es ist ein Reflex. Mir sollte bei den eisigen Temperaturen die nachts herrschen kalt sein, doch stattdessen ist mir so heiß wie noch nie in meinem ganzen Leben. Meine Haut glüht, als würden heiße Flammen auf ihnen lodern und mein Blut kocht in einer unerträglichen Hitze in meinen Adern, sodass ich gar nicht richtig bemerke, das ich etwas anstoße.
     »Vorsicht«, murmelt eine vertraute Stimme. Ich blicke auf und sofort gefriert mir das heiße Blut in meinen Adern, als ich den Mann vor mir erkenne. Hätte ich nicht gegen einen Diener laufen können? Musste mein Glück mich tatsächlich so sehr herausfordern, das ich in einen Drachenprinzen laufen musste?     »Eine junge Dame sollte in der Nacht nicht umherwandern«, tadelt Dorian mich. Fast augenblicklich rümpft der Prinz die Nase, sodass ich unweigerlich einen Schritt zurückweiche. Kann er riechen, dass ich jetzt anders bin?
      »Davina?«
     »Prinz Dorian.« Ich schlucke und hoffe, er kann meinen immer lauter werdenden Herzschlag nicht hören. Dorian zieht eine seiner geschwungenen Augenbrauen in die Höhe. Ahnt er etwas? Weiß er es? Oder ist es viel mehr so, das er mich stumm auffordert, mich zu erklären. So oder so: Nie im Leben wäre mir auch nur im Traum eingefallen, das ich, ein Mensch, der es kaum gewagt hatte, vor anderen das Wort zu ergreifen, zu Mitteln greifen muss, die ich nie einsetzen musste – geschweige denn konnte. Seufzend straffe ich meine Schultern, lege meinen Kopf in den Nacken – mir ist vollkommen entfallen das der Prinz so viel größer, als ich bin – und klimpere mit meinen Wimpern, mit dem unschuldigsten Lächeln, zu dem ich momentan entstanden bin.
      »Wie fühlst du dich?« Seine Frage überrascht mich, sodass ich ihn für einen langen Moment stumm anstarre, ehe ich meinen Kopf senke und das Gras vor meinen Füßen anstarre. Die Halme tanzen im Wind, während ich meinen Gedanken nach gehe.      Wie fühle ich mich? Lügnerin. Verräterin. Unwürdig. All das beschreibt mich ganz gut. Doch Dorians Anwesenheit lässt mich noch an etwas ganz anderes denken: eiskalt. Ich war nur hier, in der Hauptstadt von Lythanica, weil man mich für Kovas Tod verantwortlich gemacht hatte, und was mache ich? Ich habe keinen einzigen Gedanken an ihn verschwendet.
     »Er fehlt mir, weißt du?« Ich lege meinen Kopf in den Nacken und schaue den Prinzen fragend an. »Kova«, erklärt er mir.
      »Mir auch.« Gequält schließe ich die Augen und lausche meinen schmerzenden Herzschlag einen Moment lang, ehe ich weiterspreche. »Obwohl es schon Wochen her ist, tut es immer noch weh.« Beinahe fühlen sich meine Worte wie eine Lüge an, doch jetzt, wo ich sie laut ausspreche und alleine – ohne Aedion oder Rowan – bin, weiß ich das sie wahr sind. Lag es daran, dass ich nie an Kova dachte? Weil sie da waren und meine Gedanken sich nur um sie kreisten? »Aber ...« Ich öffne die Augen und schaue wieder Dorian an. »Eines Tages wird es leichter werden, hoffentlich.« Auch ohne den Dämon und den Drachen, füge ich in Gedanken hinzu.
      »Er hatte Recht.« Dorian schenkt mir ein aufrichtiges Lächeln. »Mit dir zu sprechen, ist wie Balsam für die Seele.«
     Ich blinzle mehrmals. Wer hatte das denn behauptet? Rowan, Aedion oder Kova? Ich bin eindeutig nicht auf der Höhe und traue mich aber auch nicht den Prinzen danach zu fragen.      »Er war mein Gefährte.« Aha. Er spricht also noch von Kova. »Ich konnte mich jedoch nie zu ihn bekennen.«Ich runzle die Stirn und wollte gerade ansetzen, ihn zu fragen, wovon er spricht, doch Dorian unterbricht mich augenblicklich mit seiner Stimme, ohne es wirklich zu bemerken. »Sei also nicht böse auf Rowan. Der Druck, unter dem er steht, ist viel größer.« Innerlich schnaube ich, traue mir jedoch die Respektlosigkeit vor dem Prinzen nicht. Druck, hatte er gesagt. Welcher Druck? Der Druck das er eine Elfe heiraten wird und es mir gegenüber nicht einmal erwähnt hat, bevor er mich geküsst hat oder eher der Druck, dass er einen Menschen geküsst hat und das nie jemand erfahren sollte?
Mensch, schallte mich meine innere Stimme höhnisch.
      »Er kann dich nicht wählen.« Nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob der Drache meine Gedanken lesen konnte. »Er muss an sein Volk denken. Er braucht die Garde der Elfen, um den Krieg gegen die Dämonen und Vampire zu überstehen.« Vage erinnere ich mich daran, das Kova so etwas schon einmal erwähnt hatte. Zwischen den Vampiren, Dämonen und Drachen soll es schon lange nicht mehr gut stehen. Doch aus einem mir unbekannten Grund ist die Beziehung zwischen diesen Spezies noch schlimmer geworden. Kova wollte mir damals nicht verraten, warum das so war, oder aber, er wusste es selbst nicht. Dabei kann ich mir das gar nicht vorstellen. Die Vampire? Ja, okay, die vielleicht. Schließlich wollte mich einer vor nicht allzu langer Zeit zum Frühstück verspeisen. Aber Dämonen? Aedion war schließlich immer nett zu mir. Hat mich gerettet. Selbst dieser Bluthund hat mir nie einen Kratzer zugeführt. Dabei war ich doch ...     »Davina.« Verwirrt blinzle ich. Dorian steht immer noch vor mir und starrt mich eindringlich an. Ich habe kein gutes Gefühl ... »Du musst ihn gehen lassen.« Meine Augen werden groß, als ich die Bedeutung von Dorians Worten verstehe. »Er würde dich nie darum bitten. Aber ich tue es.« Obwohl seine Worte so gefasst und selbstsicher klingen, zeigt sein zuckendes rechte Auge und die Schweißperlen, die von seiner Stirn tropfen, das er sichtlich nervös ist. »Du würdest Gift für ihn sein. Für ihn, die Drachen, das ganze Volk von Lythanica. Du bist nicht gut für ihn.« Ich könnte ihm so viele Worte an den Kopf werfen, um ihm vom Gegenteil zu überzeugen. Aber wollte ich das? Eine Verbindung mit Rowan einzugehen, würde bedeuten, eine Verbindung zu dem Volk einzugehen. Einem Volk, das mich stets verachtet, verspottet und gemieden hat. Aber die noch viel wichtigere Frage war, was wollte der König? Er hat mir nie gesagt, dass er verlobt ist. Mir nie beteuert, was ich für ihn bedeute. War ich das? Eine Ablenkung, ein Spielzeug? Reiner Zeitvertreib?
      Ich straffe die Schultern, drehe mich um und entferne mich von Dorian, dem ich nicht einmal mehr noch einen Blick schenke. Ich musste mit Aedion sprechen – jetzt. Etwas sagt mir, das der Dämon mehr weiß als er zugibt. Dass er schon die ganze Zeit gewusst hat, dass es sich bei mir, nicht gänzlich um einen Menschen handelt. Ich wollte antworten. Und ich werde sie bekommen. Auch wenn ich dazu, zu dem einzigen ruhigen Ort muss, den ich hier kannte und dabei meine Gefühle gegenüber dem König ignorieren und die schmerzenden Worte von Dorian vergessen musste.

 Auch wenn ich dazu, zu dem einzigen ruhigen Ort muss, den ich hier kannte und dabei meine Gefühle gegenüber dem König ignorieren und die schmerzenden Worte von Dorian vergessen musste

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