Wie man einer tödlichen Situation entkommt

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Ich hatte angenommen, der Ritter würde mich nach draußen bugsieren und dort einfach stehen lassen oder zurück nach Vael Storm, auch wenn ich auf die Fahrt in dem Käfig getrost verzichten konnte. Wahrscheinlich hätte ich dann aber nicht gewusst, wohin ich gehen sollte. Zurück nach Kyrae zu meinem Vater stand außer Frage. Ich bin jetzt schon seit mehreren Tagen verschwunden und ich glaube, ihm ist meine Abwesenheit immer noch nicht aufgefallen. Oder ihm ist es schlicht weg egal. Umso erleichterter bin ich, dass mich der Ritter durch ein Zimmer schiebt und mich mit einem lauten Knall, das der zufallenden Tür geschuldet ist, alleine lässt. Das fremde Zimmer wirkt unbewohnt. Ein kleines, unberührtes Bett steht auf der linken Seite des Raumes. Es ist nicht halb so groß, wie das in Vael Storm, was mich darauf schließen lässt, dass das Zimmer einst von einer Bediensteten bewohnt wurde. Aber ich beschwere mich nicht. Ich bin froh, dass ich mich über einen Schlafplatz keine Gedanken machen muss oder aber, wie ich zu etwas zum Essen gelange. Neben dem Fenster auf der gegenüberliegenden Seite der Tür steht eine Art Schminktisch. Zwar kann ich keine Schminke vor dem Spiegel sehen, dafür aber einiges an Gebäck und Obst.
Ich fasse mir an den Magen. Seit Tagen habe ich nichts gegessen und ich kann förmlich hören, wie mein Mageninhalt mich anschreit, endlich etwas gegen die Leere zu unternehmen. Ich tapse zu dem Schminktisch, ziehe den Stuhl, der knarzende Geräusche von sich gibt, nach hinten und lasse mich auf ihn fallen. Ohne groß zu überlegen, greife ich nach dem ersten Gebäck und beiße zaghaft hinein. Mein Blick gleitet zu dem Spiegel, während ich die kleine Mahlzeit in binnen weniger Sekunden verdrückt habe. Das junge Mädchen, das ich sehe, sieht nicht mehr wie Davina aus Kyrae aus. Sie sieht wie der Schatten eines unschuldigen Mädchens aus. Meine roten Haare sehen zerzaust aus, als hätte ich unanständige Dinge mit einem jungen Mann getrieben. Auch die Farbe erinnert mich nicht mehr an mein natürliches Rot. Zwischen einigen Strähnen entdecke ich Dreckklumpen. Zum ersten Mal in meinem Leben ekel ich mich vor mir selbst.
Als ich nach dem nächsten Gebäck greife, wird das Gefühl, das ich habe, seit ich mein Spiegelbild anschaue, nicht besser. Meine sonst blasse Haut ist mit Blut übersäht. Die roten Sprenkel, die auf meinem Gesicht verteilt sind und eine lange Spur über meinen Hals ziehen, sind zwar längst getrocknet, das macht aber den Anblick keinesfalls besser.
Seufzend stehe ich auf, lecke nochmals genüsslich an meinen Finger und stelle mich vor das Fenster. Ich lege meine Hand sowie meine Stirn auf die kalte Scheibe. Die Ereignisse der vergangen Tagen erdrücken mich förmlich. Ich bin müde. Unendlich müde. Wann wird dieser Alptraum nur enden?
Selbst der schöne Ausblick lässt mein Herz nicht höher schlagen. Die Sonne der Abenddämmerung taucht die Bäume und das Gras in ein rotes Licht, das mein Herz eigentlich höher schlagen lassen sollte, doch das tut es nicht. In einem gleichmäßigen Takt schlägt es in meiner Brust, bis ich einen Mann, angelehnt an einem Baum, entdecke. Mein Herz gerät ins Stolpern. Trotz des spähen Lichtverhältnisses erkenne ich den Mann. Die eisblauen Augen des Dämons, dessen Name ich noch immer nicht erfahren habe, starren mich an. Ich fühle mich komisch. Eingeengt.
Ich stolpere einige Schritte zurück und keuche. Beruhige dich, sage ich mir, während ich meine rechte Hand gegen meinen Brustkorb drücke und die Augen schließe. Ich atme tief ein und aus. Einmal. Zweimal. Dreimal. Mein Herzschlag beruhigt sich langsam, dennoch ... Ich weiß zwar nicht, warum mein Herz plötzlich ins Stolpern geraten ist, was ich aber weiß, dass ich nicht ewig in diesem Zimmer bleiben kann. Seufzend schlage ich meine Augen auf und tapse in das angrenzende Bad. Ich drehe den Hahn der Dusche auf, entledige mich meiner verdreckten, eingerissenen Klamotten und steige hinein. Das Wasser prallt schmerzhaft auf meine Haut. Ich stöhne. Die klare Flüssigkeit vermischt sich mit dem Blut, das ich krampfhaft von meiner Haut schrubbe. Der Schwamm ist rau und scheuert mit jeder weiteren Bewegung meine Haut etwas mehr, doch das ist mir egal. Ich will endlich das Blut loswerden. Kovas Blut.
Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit aus der Dusche gehe, betrachte ich mich im Spiegel. Mittlerweile kann ich mich zwar im Spiegel wieder erkennen, doch meine Augen strahlen nicht mehr so, wie sie es einst taten. Ich bin gebrochen. Ein Teil von mir weiß, dass es daran liegt, dass meine Mutter hingerichtet und mein bester Freund ermordet wurde. Doch während ich in meine leeren, blauen Augen schaue, weiß ich, dass ein Teil meiner Seele in diesem Wald mit Kova gestorben ist. Ich habe an diesem Tag alles verloren. Alles. Und ich weiß nicht, wie viele Rückschläge mein Herz noch verkraften kann.

DragonbloodWhere stories live. Discover now