Wie man einen Zeugen bekommt

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Immer wieder döse ich ein, schaffe es jedoch nicht gänzlich zu schlafen. Die Kutsche, wie meine Begleiter das Gefährt nannten, war viel mehr ein Gefängnis auf vier Rädern. Die hölzernen Gitter kratzen unangenehm an meinem Rücken und mit jeder Unebenheit, die wir im rasanten Tempo besteigen, habe ich das Gefühl, das sich Splitter in meine Haut bohren.
     »Na toll«, murmle ich, als ich die ersten Tropfen auf meiner Haut spüre. Immer noch im grünen Kleid, ohne Mantel oder etwas der gleichen, bin ich dem Regen, der stark von Himmel fällt, schutzlos ausgeliefert. Ich spiele mit dem Gedanken, meine Begleiter nach einer ihrer Decken zu fragen, werfe ihn jedoch sofort wieder. Die mürrischen Gesichtsausdrücke, die starr nach vorne gerichtet sind, verraten mir, dass sie lieber, wo ganz anders wären. Wer kann ihnen das auch verübeln? Ich wäre auch lieber in Kyrae, im Haus meines Vaters, in meinem warmen und trockenen Zimmer. Hätte ich meinen Vater doch nie verlassen.

***

Der kalte, nasse Ritt ging zwei Tage, in denen ich weder etwas zu essen, noch zu trinken bekommen habe. Ich wundere mich, wie ich überhaupt aufrecht stehen kann, als einer der Ritter die Tür meines Käfigs aufschließt und mich grob am Arm packt, um mich herauszuzerren. Ich beachte gar nicht die neugierigen Blicke der Bewohner in der Hauptstadt. Ich kann mir vorstellen, mit welcher Verachtung sie mich betrachten. Auch wenn der Grund diesmal nicht meiner Rasse geschuldet ist.
     Mein Blick gleitet nach oben. Das Schloss ähnelt dem von Prinz Dorian sehr, auch wenn dieses imposanter wirkt. Ich weiß noch genau, wie ich mich gefühlt habe, als ich zum ersten Mal in Vael Storm vor so einem Gebäude stand. Damals hat mich das Gefühl beinahe erdrückt, nicht in diese Welt zu gehören, auch wenn ich es mir zum damaligen Zeitpunkt nicht eingestehen wollte. Doch gleichzeitig hat mich der erste Schritt in ein solches Gebäude mit so viel Freude erfüllt, wie ich es selten erlebt habe. Diesmal spüre ich jedoch nichts dergleichen, als man mich in das Gebäude zerrt. Meine Freude und all meine Hoffnungen sind zusammen mit Kova in diesem Wald gestorben. Deswegen wehre ich mich auch nicht gegen den Ritter, der mich immer tiefer in das Innere des Gebäudes schleift. Deswegen gebe ich auch kein Laut von mir, als ein junger Mann uns eine knarzende Holztür öffnet und der Ritter mich grob nach vorne schubst, sodass ich unsanft auf dem ankomme.
     »Diese Frau haben wir bei Kovas Leiche entdeckt.« Die Stimme des Ritters trieft vor Hass. Unter anderem Umständen würde mir ein kalter Schauer über den Rücken wandern, doch als ich meinen Kopf hebe und in smaragdgrüne Augen blicke, weiß ich, dass mein Schicksal besiegelt ist. Genau so muss sich meine Mutter gefühlt haben, als sie den Tod in die Augen geblickt hat.
     Ich beiße mir auf die Unterlippe und rapple mich nicht ganz so elegant, wie es meine Mutter geschafft hätte, auf. Die Fesseln um meine Handgelenke haben mich bereits aufgescheuert, doch ich widerstehe dem Drang, an den roten Stellen auf irgendeine Art und Weise zu kratzen. Stattdessen recke ich das Kinn, strecke meinen Rücken durch und fixiere den König. Rowan sitzt in einem schwarzen Thron, dessen Lehne ihn um das Doppelte überragt. Die Armlehnen sehen wie zwei Drachen aus, die mich mit ihren geöffneten Mäulern zu verhöhnen scheinen. Im Gegensatz zu ihrem schwarzen Marmorkörper, leuchten ihre Augen in einem leuchtendem blau und grün, wie zwei Smaragde und Saphire.
     »Erkläre dich.« Rowans Stimme ertönt in einem tiefen Timbre in meinen Ohren und bringt meinen Körper zum Beben. Der König stützt seinen Ellenbogen auf seinem Knie ab, bettet sein Kinn in seine Handinnenfläche und starrt mich erwartungsvoll an.
     »Wir sind durch den Wald marschiert, als ...«
     Mit einer kurzen Handbewegung unterbricht Rowan den Ritter, der mich in diesen Raum geschubst hat. »Ich habe mit dem Mädchen gesprochen.« Ich schlucke. Wenn ich geglaubt habe, dass ich auf Rowans Sympathie mir gegenüber appellieren kann, kann ich den Gedanken nun gänzlich verwerfen. Seine Augen beobachten mich, wie ein Raubtier seine Beute. Die Gesichtszüge des Königs, die noch vor wenigen Tagen weich und so etwas wie liebevoll gewirkt haben, wirken nun wie eine undurchdringliche Mauer. Steinhart.
     »Ich war im Wald«, bestätige ich.
     »Was hast du dort gemacht?« Der König legt den Kopf schief. Ich frage mich, ob das eine unbewusste Geste ist oder er aber bewusst meine kopiert.
     »Ich habe nach Kova gesucht.«
     Rowans Augenbrauen schießen in die Höhe. »Warum?«
Warum, wiederhole ich die Frage in meinen Gedanken. Wie sollte ich erklären, das ich nur meinen besten Freund gesucht habe, weil ich Stunden vorher seinen Tod gesehen habe? Sie würden mich für verrückt abstempeln. Oder erst recht für schuldig. Aber war ich das denn nicht? Ich hatte gesehen, das Kova sterben wird und konnte nichts dagegen unternehmen.
     »Warum?« Rowans Stimme klingt ungeduldig, was mich augenblicklich zusammenzucken lässt. Wie hatte es nur meine Mutter geschafft, so ruhig zu bleiben? Meine Hände schwitzen, meine Beine zittern und mein Herz scheint bald aus meiner Brust springen zu wollen.
     »Ich ...«, beginne ich leise, werde jedoch unterbrochen. Wahrscheinlich ist das auch besser so, ich weiß nämlich nicht, was ich sonst gesagt hätte.
     »Sie hat ihn nicht getötet.« Ich drehe mich um und beobachte wie schwarze Schwaden einen Punkt hinter mir umhüllen, ehe ein Mann aus ihnen tretet. Eine schwarze Kapuze, sowie ein schwarzes Halstuch, verdecken das Gesicht des Fremden, sodass ich nur in klare, blaue Augen schauen kauen. Sie leuchten in so einem hellen Ton, das sie mich unweigerlich an gefrorenes Eis erinnern. Der Gedanke lässt mich frösteln.
     »Du hast hier nichts zu suchen, Dämon.« Der Ritter scheint über das Auftauchen des Fremden wenig erfreut zu sein, doch das lässt den Mann kalt. »Schweig oder ich töte dich als Erstes.« Ich bin mir nicht sicher, ob seine Worte eine Drohung oder einen Plan darstellen sollen. So oder so, empfinde ich keine großen Gefühle dabei, sollte der Ritter tatsächlich den Tod finden. Wage, schüttle ich den Kopf, um diesen schrecklichen Gedanken loszuwerden.
     »Du kommst hierher und bedrohst mein Volk?« Rowans Stimme ist keinesfalls lauter geworden, doch die Härte, die mit ihnen mitschwang, war deutlich herauszuhören. Auch er scheint über das Auftauchen des Fremden nicht sehr erfreut zu sein.
     »Ich komme wegen ihr.« Obwohl der Fremde mit dem König von Lythanica spricht, sind seine Augen nur auf mich gerichtet. »Sie hat den kleinen Wolf nicht getötet.« Unwillkürlich ramme ich meine Fingernägel in meine Handinnenflächen. Mir gefällt es nicht wie er über meinen besten Freund spricht. »Nyx.« In dem Schatten des Mannes klettert ein großes Raubtier heraus, als würde er, statt in dieser Welt, in dem Schatten des Dämons leben. Ich erkenne den Wolf sofort, als er sich gänzlich aus dem Schatten materialisiert hat. Er ist jenes Tier, das mich vor dem Vampir gerettet hat. Das Bein jenes Vampirs liegt blutend zwischen den Zähnen des Wolfs, was meine Vermutung mehr als nur bestätigt. Mein Blick schweift von dem knurrenden Wolf zu dem Vampir. Sein Bein sieht schmerzhaft angewinkelt aus und auch sein restlicher Körper ist von Wunden übersäht. Bis heute habe ich nicht mal gewusst das Vampire bluten können, schließlich sind sie ja Tod oder?
     »Dein Schoßhündchen bringt mir einen Blutsauger?«
     Schoßhündchen? Mir täten zig passendere Beschreibungen für Nyx einfallen. Aber Schoßhündchen, wie Rowan ihn genannt hatte – oder ist er doch eine sie? – passt nicht einmal annähernd zu der monströsen Kreatur.
     »Der Bluthund ...« Der Dämon betont das Wort deutlich. Ihm scheint ebenfalls Rowans Bezeichnung für das Tier nicht zu gefallen. »Bringt dir einen Zeugen.« Langsam geht er auf den Vampir zu und bleibt vor ihm stehen. Der Wolf lässt augenblicklich das Bein des Vampirs los und tapst einen Schritt zurück. »Sag ihnen, was du gesehen hast.«
     Der Vampir lacht. »Gesehen? Ich weiß nicht, wovon du sprichst.« Seine Worte gehen beinahe unter seinem starken Husten unter, der in dem Raum widerhallt. Diesem Mann scheint es wirklich schlecht zu gehen. Das Blut, das er gehustet hat, hat sich in kleinen Sprenkel auf dem Boden und auf dem Umhang des Dämons verteilt. Dieser macht einen Schritt zur Seite um, sowie es scheint, Platz für Nyx, den Bluthund, zu machen. Wenn ich schon bei der ersten Begegnung mit dieser Bestie dachte, wie angsteinflößend sie doch ist, weiß ich nicht wie ich dieses Tier nun beschreiben sollte. Die Kette um seine Pfote raschelt, als er auf den Vampir zugeht und seine Vorderpfoten auf seine Brust bettet. »Sag ihnen, was du gesehen hast.« Die Forderung des Dämons drängt sich nur wage in meine Ohren. Ich bin zu gebannt von der Erscheinung des Bluthunds, sowie der Vampir auch, der keinen Mucks von sich gibt. Die Pfoten des Tieres leuchten golden, wie Feuer in der Nacht, während seine Augen, in demselben Farbton glühen und den Vampir nicht aus den Augen lassen. Ein tiefes Knurren, das meinen gesamten Körper zum Beben bringt, nimmt den ganzen Raum ein. Niemand sagt ein Wort. Jeder scheint ehrfürchtig Nyx zu beobachten, dessen schwarzes Fell sich in alle Richtungen sträubt, während er langsam, sehr langsam, sein Maul öffnet und seine strahlend weißen Reißzähne entblößt. Es kommt mir so vor, als würde er dem Vampir eine Chance geben wollen, doch noch zu reden.
     »Ich gebe es zu!« Der Vampir versucht, nach hinten zu rutschen, um von dem Bluthund wegzukommen, doch seine Pfote pinnt ihn fest an Ort und Stelle. »Ich gebe es zu okay?! Nimm jetzt endlich den Köter von mir!« Von dem blutrünstigen Vampir, der mich noch vor einigen Tagen ermorden wollte, ist nichts mehr übrig. Eine flehende, ängstliche Gestalt ist alles, was ich noch von ihm sehen kann.
     Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, dass der Dämon seinen Mittelfinger zu seinem Daumen führt und durch die Reibung seiner Finger ein kleiner Ton entsteht, der den Bluthund direkt dazu veranlasst von dem Vampir herunter zu gehen. Die Krallen des Tieres hinterlassen Kratzspuren auf dem Boden, während er sich einen Weg zu dem Dämon bahnt. Als Nyx jedoch an mir vorbei kommt, scheint er zu zögern. Seine goldenen Augen fixieren mich, als würde er Abwegen wollen, ob er stehen bleiben soll. Dieser Augenblick ging nicht länger als der Bruchteil einer Sekunde, aber lang genug, um mich stutzig zu machen. Schwer atmend setzt sich Nyx neben den Dämon, ehe mich seine Augen ein weiteres Mal durchbohren.
     Erwartest du etwas von mir? Ich lege den Kopf schief.
     »Sie hat um ihn getrauert.« Ich unterdrücke ein Schrei und zucke kaum merklich zusammen.
     Wie konnte ich nur vergessen, dass ich mit dieser Kreatur nicht alleine war?
     »Der Werwolf war bereits verletzt, als sie bei ihm ankam.« Ein Raunen ging durch den Raum. Ich drehe mich um meine eigene Achse und bemerke zum ersten Mal, das ich von Anfang an nie alleine mit den Rittern und König Rowan war. Die Bewohner der Hauptstadt sind im ganzen Raum verteilt. Als mein Blick zurück zu dem König schweift, bemerke ich auch zum ersten Mal sie. In einem roten Kleid steht Reyna neben dem Thron und legt ihre Hand auf die Schulter des Königs. Rowans Blick ist ausdruckslos. Seine Lippen fest zusammengepresst. Als ich dann auch noch die Schreie der Bewohner höre, die nach meinen Tod verlangen, kenne ich bereits die Entscheidung des Königs. Ich schließe die Augen. Ich habe ihnen den perfekten Vorwand geliefert mich hinrichten zu lassen, da hilft auch die Aussage eines Vampirs und eines Dämons nicht.
     »Ich werde sie nicht hinrichten lassen, nur weil sie ein Mensch ist.«
     Ich schlage die Augen auf. Ich kann nicht fassen, was das tiefe Timbre des Königs von sich gibt. Mehrmals blinzle ich, doch als ich das Lächeln des Dämons hinter meinem Rücken spüren kann, weiß ich, das ich mich nicht verhört habe.
     Mit einer kurzen Handbewegung weißt Rowan den Ritter an, mich wieder nach draußen zu geleiten. Stumm und ohne Gegenwehr lasse ich ihn mich nach draußen zerren, auch wenn seine Finger sich unangenehm in meinen Oberarm drücken.
     »Seit wann interessierst du dich für Menschen?« Reynas engelsgleiche Stimme bildet einen großen Kontrast zu ihrer jähzornigen Stimmlage. Ich renke meinen Kopf nach hinten. Ihre Frage war an den Dämon gerichtet, da bin ich mir sicher. Sowie sie wahrscheinlich auch, interessiere ich mich brennend für seine Antwort, doch der Dämon antwortet nicht. Er ignoriert das wunderschöne Wesen und folgt uns, gemeinsam mit dem Bluthund, nach draußen.

 Er ignoriert das wunderschöne Wesen und folgt uns, gemeinsam mit dem Bluthund, nach draußen

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