Wie man erlöst wird

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Es ist wahrscheinlich keine gute Idee gewesen, mich in dem Zimmer in Rowans Schloss zu verschanzen, aber wohin sollte ich schon gehen? Ich habe keine Ahnung, wo sich mein Vater befindet. Ist er zurück nach Kyrae oder ist er doch noch in Vael Storm geblieben? Vielleicht sucht er mich sogar, aber mit Sicherheit würde er nicht mal im Traum daran denken, mich bei dem König zu suchen.
     Seufzend lehne ich mich an die Tür und lasse meinen Kopf mehrmals dagegen knallen. Was mache ich eigentlich hier?
     »Das hört sich nicht sonderlich gesund an.«
     Ich zucke zusammen und schaue auf. Mit verschränkten Armen vor der Brust, schaut mich der Dämon mit seinen blauen Augen an. Seine Kapuze hat er sich wieder tief in sein Gesicht gezogen.
     »Nein«, sage ich bestimmt, als Aedion einen Schritt auf mich zu kommt. Komischerweise kommt er meiner Bitte nach. Er rührt sich nicht. Nur seine blinzelnden Augen und seine Brust, die sich in regelmäßigen Abständen hebt und senkt, verraten mir, dass er noch atmet. Er wartet ab, aber worauf? Auf eine Erklärung? Das ich noch etwas sage? Ich bin mir nicht sicher.
     »Du wirkst aufgewühlt.« Nach einer gefühlten Ewigkeit durchbricht der Dämon die Stille.
     »Aufgewühlt ist ja gar kein Ausdruck«, zische ich. Der Dämon zieht seine Augenbrauen nach oben. Mein Ausbruch scheint ihm nicht sonderlich zu gefallen. Es gefällt mir ja selbst kaum. Wo ist dieses Mädchen hin, das sich kaum getraut hat, etwas vor einem Fremden zu sagen?
     »Er ... er hat ...«, stottere ich. Ich weiß nicht, wie ich das, was ich gesehen habe, in Worten fassen soll. Als der Dämon es jedoch wagt, einen Schritt auf mich zuzugehen, sprudeln die Worte einfach aus mir heraus. »Er hat sie getötet.« Abrupt bleibt Aedion stehen. »Verbrannt. Einfach so.« Meine Worte klingen so voller Hass und Verachtung. Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass ich den König noch mehr hassen könnte, als damals, als er den Tod meiner Mutter befohlen habe.
     »Was meinst du?«
     Ich stoße mich von der Tür ab, marschiere auf den Dämon zu und bleibe kurz vor ihm stehen. Ich lege meinen Kopf in den Nacken. Unsere Nasenspitzen berühren sich fast, was Aedion aber nicht zu stören scheint. »Ich habe es gesehen.« Kaum sind mir die Worte über meine Lippen gekommen, bereue ich sie sofort. Ich habe nie jemanden von diesen Bildern erzählt. Warum also beichte ich es den Dämon, den ich erst seit ein paar Tagen kenne?
     »Du hast ...« Aedion bricht seinen Satz ab. Seine blauen Augen werden größer, als würden ihm in diesen Moment ein Licht aufgehen. Ich wünschte, ich könnte hören, was der Dämon als Nächstes sagt, doch ich kann nur beobachten, wie sich das Tuch über seinen Lippen bewegt, während die Stimme aus meinen Träumen laut gegen meinen Kopf hämmert.
»Die Wahrheit kann man nicht ändern.« Ich drücke meine Handflächen gegen meine Schläfen. Ein Stöhnen entweicht mir. Immer und immer wieder sagt die Stimme das Gleiche.
     Warme Hände greifen nach meinen Armen und entfernen sie von meinem Kopf. Aedion hat sein Gesicht in Falten gelegt, aber noch ehe ich mir weitere Gedanken darüber machen kann, beginnt der Albtraum von vorne. Sein Gesicht verschwimmt, meine Umgebung verschwindet und die Dunkelheit empfängt mich. Diese Prozedur ist mir mittlerweile so vertraut, wie der morgendliche Sonnenaufgang, dass ich die Kälte kaum noch wahrnehme. Als ein glänzendes Licht die Dunkelheit durchschneidet, verspüre ich diesmal keine Angst.
     Der Dämon kniet vor einem Mann mit hüftlangem roten Haar, das nach hinten zu einem lang Zopf geflochten ist. Ich kann den Fremden nur von hinten sehen. Obwohl es in meinen Fingerspitzen juckt, wer er ist, ruhen meine Augen gebannt auf Aedion. Eines seiner Beine hat er aufgestellt, auf dem sein rechter Unterarm ruht. Mit gesenktem Kopf sagt er in einer melodischen Stimmlage: »Mit dem heutigen Tag schwöre ich dir und deiner Blutlinie ewige Treue. Mein Leben wird dein Schild sein, mein Körper wird dein Schwert sein. Bis zu dem Tag, an dem ich sterbe, verspreche ich, ich werde dich nicht verraten.« Als Aedion seinen Kopf hebt, kann ich seine Augen lodern sehen. Das helle Blau funkelt wie Eiskristalle, die meine Atmung ins Stocken bringt. Ich bin so gebannt von diesem Anblick, dass ich gar nicht merke, wie die Dunkelheit mich wieder umgibt und mich zurück in meine Gegenwart katapultiert.
»Davina?«
     »Mmh?« Ich schaue zu dem Dämon.
     »Was hast du gesehen?« Er runzelt die Stirn. Ich kann Skepsis mit einem Funken Neugier in seinem Blick erkennen. Noch ehe ich in der Lage bin Aedion zu antworten, hämmert etwas gegen meinen Kopf. »Das ist eine Bestie in Menschengestalt.« Es fühlt sich so an, als würde jemand gegen meine Schädeldecke hauen. »Das sind diejenigen, die den Menschen ihre Seele rauben.« Ich drücke mit meinen Handinnenflächen gegen meine Schläfen, in der Hoffnung so den Schmerz lindern zu können.
     Der Dämon kommt einen Schritt auf mich zu, woraufhin ich automatisch einen zurückweiche. Dieses Spiel führen wir solange fort, bis ich die Tür in meinem Rücken spüre. Das Holz bohrt sich schmerzhaft in meine Muskeln.
     »Verdammt«, fluche ich. Der Schmerz in meinem Kopf lässt nicht nach, viel eher verschlimmert er sich mit jeder weiteren Sekunde, die verstreicht.
     »Davina, lass mich dir helfen.« Ich schlage die Augen auf und begegne seinem sorgenvollen Blick. Ich muss einen jämmerlichen Anblick bieten, wenn selbst Aedion Mitleid versprüht. Aber so gern ich dem Dämon vertrauen würde, allein um diese unerbittlichen Schmerzen loszuwerden, kann ich es nicht. Die Stimme, die in meinem Kopf hallt, hindert mich daran. »Er will deine Seele.«
     Ich schüttle den Kopf.
     »Normalerweise«, zischt der Dämon. »Würde ich deine Wünsche respektieren.« Ein aber schwingt in seinen Worten wider.
     Aedion nimmt meine Hände von meinen Schläfen und lehnt seine Stirn gegen meine. Seine eisblauen Augen beginnen zu Funkeln, wie zwei Eiskristalle. »Aber nicht in diesem Fall«, wispert er, ehe er Worte in einer fremden Sprache spricht. Sie klingen melodisch, wie ein Lied, das man nicht vergessen kann.
     Als sich der Dämon wieder zurückzieht, ist der Schmerz weg und mit ihm auch die Stimme. Es ist leise. Neben unserer gleichmäßigen Atmung kann ich nur meine eigenen Gedanken hören, die sich überschlagen. Unzählige unausgesprochene Fragen schwirren in meinem Kopf herum, doch mein Gefühl sagt mir, das Aedion nicht gewillt ist, sie mir zu beantworten.
     »Was hast du gemacht?« Meine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern. Der Dämon schaut gehetzt hinter sich. Für wenige Sekunden ruht sein Blick auf das Fenster, ehe er sich wieder mir zu wendet. Er senkt den Kopf und verschwindet. Schwarze Waben ersetzen den Fleck, an dem er zuvor gestanden hat, ehe sie gänzlich verblassen.
     Erschöpft gleite ich an der Tür herunter und schließe für einen Moment die Augen. Die Ruhe, die mich umgibt, ist so friedvoll, dass ich es nicht mehr schaffe aufzustehen, um mich ins Bett zu legen. In einer relativ unbequemen Position packt mich die Müdigkeit und zieht mich in den Schlaf. Doch anders als in den letzten Tagen, erwarten mich keine schrecklichen Bilder.

 Doch anders als in den letzten Tagen, erwarten mich keine schrecklichen Bilder

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