✔ Prolog ~ Buch Eins

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Arleen, Palast des hochwohlgeborenen König Eloas

Tap, tap, tap, tap, tap... Gleichmäßig hallten schnelle kraftvolle Schritte auf dem Fußboden wieder, welcher mit weinroten Marmorfliesen ausgelegt war. Ergraute Sandsteinwände zu beiden Seiten des Ganges begleiteten einen Mann, während dieser gezielt dem anderen Ende zustrebte. Rund ein gutes Dutzend brennender Fackeln bargen ein dämmriges Licht aus den Mauernischen heraus.

Die Person war schon fortgeschritten im Alter. Mochte sein Leben mit Sicherheit schon den vierzigsten Sommer passiert haben.
Seine grauen halblangen Haare mit ihren silbrig glänzenden Stränen hatte er zu einem strengen Zopf zum Hinterkopf zurückgebunden, und verliehen seinem Auftreten eine Aura der Verwegenenheit. In Kombination dazu, strahlte sein vom Wetter gegerbten Gesicht ein bemerkenswertes Selbstsicherheitsgefühl aus, dieses von den klugen braunen Augen unterstrichen wurde. Gekleidet war er schlicht in robustem Ledergewand mit eingearbeiteten Metallplättchen, und wurde von einem dichten schweren Pelzmantel eines Graubäres vor der Kälte geschützt.

Wie alle Jahre - seit der Erschaffung der Welt durch die Nordhgodh, den alten Göttern - war der eisige Winter mit seinen unberechenbaren stürmischen Schneestürmen im Lande zugegen. Kaum einem Menschen versprach diese Jahreszeit schützende Wärme. Der Wind streckte gierig seine Krallen aus und kroch im jede Ritze und jede undichte Spalte, da konnte man sich noch so warm kleiden. Nur in einigen wenigen Adelsfamilien gab es spärlich beheizte Räume, welche die Wärme nicht sofort wieder über die alten Mauern absorbierten.

Tap, tap, tap. Tap. Der Mann war am Ende angelangt. Dort bot sich ihm eine hohe, mit kunstvollen Schnitzereien verzierte Tür. Sorgfältig drückte er den Knauf hinunter.
Seine klaren braunen Augen schauten nochmals den Gang zurück, bevor er schließlich den Raum betrat.

Dieser offenbarte sich als eine wohlig beheizte Halle. Standhafte Säulen stützten das gewaltige Deckengewölbe, wo unzählige Kronleuchter helles Licht spendeten. An den Wänden waren schmale aber hohe Glasfenster angebracht. Diese boten allerdings nur eine matte Lichtquelle in der Winterzeit.

Klaren Gewissens marschierte der Mann in das hintere Drittel der Halle. Dort war leicht erhöht ein hölzerner Thron platziert. Ein knappes Dutzend ähnlich gekleideter Männer standen abwartend um den Thron herum.
Freudig drehten sie sich um als sie die herankommende Anwesenheit des Mannes bemerkten. So gaben sie einen genaueren Blick auf den Thron frei. In einem prächtigen Hermelinmantel saß der König höchstpersönlich darauf. Schulterlanges sattbraunes Haar trug die feingeschmiedete mit Saphiren verzierte silberne Krone. Mit einem abwartendem Lächeln auf den Lippen wartete er die Ankunft des Mannes ab. Respektvoll kniete der Angekommene vor den König nieder. Kurz darauf wechselten die Männer zu einem Rundtisch abseits vom Thron. Mit ernsten Mienen diskutierten sie über eine geplante Reise, wie sich aus den ausgebreiteten Pergamenten und Landkarten vermuten lies. Schwere Bücher mit abgegriffenem Ledereinband dienten als Beschwerungsmaterial.

Nur wenige Stunden später durchquerten zwölf schwergepanzerte Reiter auf ihren edlen Rössern die Wesdhtore und verließen die Hauptstadt. Sie folgten der südlichen Hauptstraße gen Westen. Unter ihren blank polierten Stahlhelmen zeigten sich die stolzen und nicht minder aufmerksamen Gesichter erfahrener Krieger.

Ein Schwarm Rußkrähen flüchteten in die stürmischen Lüfte, als die Schar an ihnen vorbeiritt. Eine Zeitlang noch konnte man beobachten wie die Männer langsam zu einem einzigen schwarzen Punkt in der Schneelandschaft verschmolzen. Dann verlor sich der Blick endgültig unter dem heftigen Treiben des Schnees in der Ferne...

Midhmark, fünf Tage später...

Der Wintersturm war noch einmal zurückgekehrt, kurz vor Beginn der großen Tauzeit. Und er sandte seinen Gruß mit einer strengeren Härte, als in der Kältezeit davor. Selbst die Wetterhexen - sofern man ihren Prognosen Glauben schenken konnte - hatten diesen akuten Wetterwechsel nicht vorausgesehen. Von einem Tag auf den andern; Spät und über Nacht, holten die Naturgewalten noch ein letztes Mal alles heraus aus ihren unberechenbaren Kräften.

Kälte... Todeskälte!
Der grauhaarige Mann spürte sie am ganzen Körper, wie sie sich brennend in die Haut einnistete. Diesmal ordnete ihm kein Zopf seine Haare, sondern baumelten unter den Windböen um sein Haupt. Eisig strich ihm der Wind ins Gesicht, lähmte Ohren und Nase. An den Rändern der Konturen seiner Kleidung hatten sich kleine, feine Kristalle gebildet. Die Hände hatte er krampfhaft in der Manteltasche geballt und kämpfte sich entschlossen durch das Schneetreiben. Eingeengt von nichtendenden Schneewänden, die sich links und rechts des Pfades erhoben.

Da! Ein vom Schnee verdeckter knorriger Ast verhaspelte sich zwischen seinen Füßen, lies ihn stolpern und hinfallen. Mühsam rappelte er sich auf und watete weiter, jedoch langsamer als bisher. Der Mann fluchte, doch das Heulen des Windes übertönte seine Worte. Lange würde er es nicht mehr aushalten, das fühlte er, doch es war nicht mehr weit. Zumindest hoffte es der Mann.

Die Nachricht musste überbracht werden. Er war leidlich an seiner Mission gescheitert, das konnte er nicht abstreiten, aber versagen würde er nicht. Nein, das durfte er nicht. Durchhalten, nur nicht aufgeben!

Knirschend biss er die Zähne aufeinander, seine Glieder wurden mit jedem Schritt schwerer. Es entglitt ihm immer mehr die körperliche als auch geistige Kontrolle über seine Lebenshülle. Der Reisende wankte schon mehr seitwärts als vorwärts. Plötzlich erfasste ihn eine erneute Böe und zwang ihn in die Knie zu gehen. Die frierenden, schon ansatzweise bläulich gefärbten Fingern gruben sich in die lockere Schneedecke.

Kraft. Er vermisste sie. Ohne sie gab es kein weiter.

Verzweifelt sah der Mann etwas helles, war das ein Lichtpunkt? Nur langsam realisierte er den immer näherkommenden Schein. Konnte das sein? Oder träumte er? Nein, Kälte gab es nicht in Träumen! Ehrgeizig zog er alle Körpernergie zusammen, schöpfte Mut. Versuchte hinzulaufen, doch es ging nicht. Er war zu erschöpft. Mit einem verschwommenen Schleier vor den Augen sank er zu Boden und schloss seine Augen. Funkende Sternchen schwirrten hinter den Augenliedern umher. Dann wurde es dunkel, die Finsternis hatte gesiegt. Der Reisende war nicht mehr bei Bewusstsein...

Mit dem Licht kamen auch zwei Gestalten angerannt, die sich als zwei Knechte von einem der Gutshöfe in der Umgebung entpuppten. Der Ältere und kräftigste der zwei hob den Mann in seine Arme und schlug, in Begleitung seines Kumpels, einen weniggenutzten Nebenweg ein.

Über diesen erreichten sie nach kurzer Zeit einen ganz nach Vorbild der Region gebauten Hof, bestehend aus Wohnhaus und Getreidebunker, Viehstall und einem kleinerem Pferdestall. Zentral am Platz lag einsam ein zugefrorener Brunnen...

Wächter der Nacht - Die GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt