𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟏𝟒

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     Als der Mann die Augen schloss, wurde die Welt um ihn herum dunkel.

Nun, vielleicht war dunkel nicht das richtige Wort, denn nach einem kurzen Moment der Bewusstlosigkeit kehrten seine Sinne zurück ins Leben. Er nahm die Welt in einer ganz neuen Intensität wahr, spürte das Leben, das ihn umgab und spürte zugleich, wie es unter ihm dahinsiegte; wie blutige Schwerter es in einer Rücksichtslosigkeit raubten, die ihm bis zu diesem Tag fremd gewesen war.

Der Mann sah sich um, so wie er es immer tat, sobald er den Zustand der Kontemplation erreichte: Da waren die Wildblumen neben ihm, der blaue Himmel über ihm, die Todesschreie seiner Mitbrüder in seinen Ohren und dann war da natürlich noch sein Körper, der sich noch immer im Lotussitz befand, ganz genau so, wie er ihn zurückgelassen hatte.

Denn was der Mann in seinen 41 Jahren, die er bisher auf der Erde zugebracht hatte, gelernt hatte, war nicht nur die völlige geistige Versenkung in sich selbst, sondern auch die Seelenreise, die sein Ordensvater manchmal auch Astralreise nannte. Eine außerkörperliche Erfahrung, die, in Kombination mit seiner Aura, zu einer ganz besonderen Fähigkeit geführt hatte: Dem Warg.

Der Warg war ein Nen-Double seines Körpers, in das er, nach jahrelanger Übung in den Künsten der Meditation und Spiritualität, sein Bewusstsein transferieren und es aktiv steuern konnte – lediglich eine dünne, silberne Schnur verband seinen geistigen Körper mit seinem physischen.

Der Mann zögerte nicht lange. Da er in seiner nicht-materiellen Form keinen Kontakt zum Boden benötigte, trat er zwei Schritte über die Klippe hinaus in die Luft und befand sich wenige Sekunden später unten im Kloster. Der eiserne Geruch von Blut trübte augenblicklich all seine Sinne, denn gerade, weil er in dieser Form keine physische Nase hatte, hatte seine Wahrnehmung keine Filter, die seine Umgebung für ihn sortieren konnten. Beinahe wäre er damit unter all dem Horror, der sich vor ihm abspielte, kollabiert, doch es gab etwas, das ihn zum Weitergehen trieb. Unsichtbar, wie er für nicht Nen-Nutzer war, bewegte er sich durch die kämpfenden Massen hinein ins Innere des Klosters.

Auch hier war der Anblick grausig: man hatte sämtliche Wertgegenstände, die es im Kloster gab, auf einen Haufen gestapelt und die Räuber waren dabei, immer mehr heran zu schaffen. An heiligen Statuen klebte Blut, aus wertvollen Büchern hatte man die Seiten heraus gerissen und zu seinem Entsetzten entdeckte der Mann eine Hand, die noch immer einen Kelch umklammerte – doch der Rest des Körpers fehlte.

Dennoch musste er weiter. Wie schrecklich all dies auch war, er konnte nicht anhalten.

Sein Weg führte ihn nach einigen Abzweigungen und leeren Gängen in einen der innen liegenden Gärten und tatsächlich, dort stand er, der Mann, den er so dringlich gesucht hatte. Doch zu seinem Entsetzen war er nicht allein, sondern umgeben von dreien der Räuber, von denen einer ein Schwert an seine Kehle hielt: „Du bist der Priester hier, ja? Ich weiß, dass ihr für den Vorsteher des Dorfs unten am Fluss etwas Wertvolles versteckt. Ich wills haben, verstanden? Also raus mit der Sprache! Wo isses?!"

„Die einzigen materiell wertvollen Dinge, die ihr hier finden werdet, dienen unserem Glauben. Wir mischen uns nicht in die Belange der Welt ein." Seine Stimme klang ruhig, beinahe gefasst und er gab sich selbst im Angesicht des vom Blut seiner Mitbrüder verschmierten Schwerts an seinem Hals keine Blöße.

„Ihr verdammten Hunde!" Der Räuber holte mit dem Schwert aus und es war klar, worauf er abzielte. Als die Klinge sich nur noch wenige Zentimeter vom Kopf des Ordensvaters entfernt befand, ging plötzlich der erste der Räuber zu Boden. Noch bevor der zweite im Bunde realisieren konnte, was geschehen war, brach auch er zusammen. Der Verbliebene hielt in seinem Hieb inne und sah sich panisch nach einem Angreifer um, konnte jedoch keinen entdecken.

𝐀 𝐁𝐚𝐧𝐝𝐢𝐭𝐬 𝐒𝐞𝐜𝐫𝐞𝐭 | 𝐂𝐡𝐫𝐨𝐥𝐥𝐨Where stories live. Discover now