𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟏𝟎

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     Nichts. Gar Nichts. Nicht einmal die geringste Spur.

Knapp eine Woche war es nun her, dass Haru das Anwesen der De Runes besucht hatte und obwohl sie alles darangesetzt hatte, Jaro ausfindig zu machen, hatte sie nicht einmal die kleinste Spur aufdecken können. Es war, als wäre der Mann buchstäblich von der Erdplatte gefallen. Und auch, wenn dies nach 20 Jahren des Verschwindens nicht ungewöhnlich sein sollte, machte es ihr doch zu schaffen. Sollte sie hier versagen, hätte sie jede Chance auf einen Beitritt zur Spinne vertan. Natürlich hatte Haru mit dem Gedanken gespielt, einfach selbst irgendwo ein neues Leben anzufangen, doch je länger sie diese Option in Betracht zog, desto unglücklicher schien sie damit.

In der Woche, in der sie nun bei Phinks gewohnt hatte, waren beide nicht unbedingt Freunde geworden, hatten aber doch eine Art gegenseitigen Respekt füreinander entwickelt, besonders, da Phinks mit Haru nun nicht mehr nur von Fertiggerichten und Fastfood-Läden leben musste und sie außerdem dafür gesorgt hatte, dass er wenigstens einmal an Tag Licht und Luft in das Loch ließ, das er seine Wohnung nannte. Zwar wusste sie, dass er sie im Grunde noch immer für schwach und untauglich hielt, doch irgendwo unter diesem grünen Trainingsanzug schien ein Herz zu schlummern, das sich langsam, aber sicher für Haru erwärmte. So weckte er sie mittlerweile auf, wenn es Frühstück gab, oder ließ sie am Abend das Programm im Fernsehen aussuchen – natürlich nur, wenn ihm ihre Wahl auch gefiel.

Und wenn Haru an all das dachte, musste sie sich eingestehen, dass es sich fast wie... zuhause anfühlte.

Sie wollte diese Leute nicht verlieren. Es war ihr egal, wer sie waren und was sie getan hatten. Sie war zum ersten Mal in ihrem Leben frei, zu tun und zu lassen, was sie wollte, und darin von anderen Menschen unterstützt zu werden, denen es ganz offensichtlich egal war, dass man sie als Monster bezeichnete... Dieses Gefühl wollte sie nicht verlieren. Niemals.

Sie starrte auf das Display des neuen Handys, das Phinks ihr organisiert hatte, während ihr Daumen bereits über der Nummer schwebte, die die Familie De Rune den Teilnehmern für Neuigkeiten und etwaige Fortschritte gegeben hatte. Wenn sie schon Jaro nicht finden konnte, so würde sie wenigstens den Zweig organisieren.

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Zwei Tage später befand sich Haru erneut auf dem Anwesen. Sie hatte einen Termin ausgemacht, unter dem Vorwand, tatsächlich eine Spur zu Jaro De Rune gefunden zu haben und man hatte sie zu einem Treffen geladen, auf dem man die Hinweise besprechen wollte. Natürlich hatte Haru nichts aufgedeckt, wie auch? Mittlerweile war sie sich sicher, dass der Mann tot war. Sie hatte Phinks nach seiner Einschätzung gefragt und nachdem dieser ihr schulterzuckend zugestimmt hatte – wenn n' Kerl 20 Jahre nicht mehr auftaucht, dann rottet der ganz sicher unter der Erde. Oder er hat sich als Nomade in die NGL zurückgezogen, was aber so ungefähr das Gleiche ist –, hatte sie beschlossen, den ersten Teil ihres Auftrags zu ignorieren.

In diesem Moment öffnete sich die Vordertür und der Butler, Abate, trat heraus: „Wir hätten nicht so schnell mit Ergebnissen gerechnet, das ist wirklich eine erfreuliche Nachricht. Kommen sie doch bitte herein, Miss. Den Weg zur Halle kennen sie ja bereits, die Lady wird sie in wenigen Minuten dort empfangen."

Haru folgte dem Mann ins Innere, und als dieser hinter einer anderen Tür verschwand, nutzte sie ihre Chance. Man rechnete wohl nicht damit, dass man sie beklauen wollte, was Haru angesichts des Hauses ziemlich unverständlich war und sie ihrem Plan gegenüber misstrauisch stimmte. Andererseits... vielleicht hatten sie einfach schon so weit den Bezug zur Realität verloren, dass ihnen diese Vorstellung gar nicht in den Sinn kam? Was es auch war, Haru ließ sich nicht zweimal bitten und machte sich auf, auf Zehenspitzen und in geduckter Haltung das Haus zu erkunden. Ihr Ziel war, was das Trophäenzimmer genannt wurde; diese Information hatte sie von einem der Teilnehmer einer ehemaligen Suche, den sie bei ihren Recherchen aufgetrieben hatte. Dort sollte angeblich der Zweig gelagert werden und auch die Sicherheitsvorkehrungen wären seltsam simpel gewesen, die Vitrine wäre mit nichts als einem einfachen Schloss gesichert. Haru hoffte inständig, dass dies auch heute noch der Fall wäre.

𝐀 𝐁𝐚𝐧𝐝𝐢𝐭𝐬 𝐒𝐞𝐜𝐫𝐞𝐭 | 𝐂𝐡𝐫𝐨𝐥𝐥𝐨Where stories live. Discover now