Kapitel 7: Die Kutsche

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Die Gewohnheit weckt mich am nächsten Morgen. Doch leider liege ich nicht zuhause unter der Dachschräge, sondern im Stroh unter einer Pferdedecke. Der Strohaufen ist anscheinend nicht ganz gerade. Flo ist ein Stück nach unten zu mir gerutscht und liegt jetzt mit seinem Rücken an meinem. Ich versuche zu verhindern, dass mein Herz schneller schlägt, scheitere aber kläglich und kann nichts dagegen machen, dass ich den Moment irgendwie genieße. Draußen geht die Sonne gerade auf und wirft dünne, rot-orangene Streifen in den Stall. Straub und Pferdehhaare tanzen leicht in den hellen Strahlen der Sonne.
Ich hebe den Kopf ein wenig. Nicht weit neben uns liegen die beiden Pferde im Stroh und dösen, doch als Fleur meine Bewegungen hört, hebt auch sie den Kopf. Mit einem Ruck stemmt sie sich auf die Beine und schüttelt das Stroh aus ihrem Fell. Das Peitschen ihres Schweifes und ihr Schnauben wecken auch Flo.
Er blinzelt verschlafen und setzt sich auf. Die wohlige Wärme an meinem Rücken verschwindet.
„Morgen.", murmelt er und fährt sich mit den Händen durch die Augen.
„Gut geschlafen?", frage ich schmunzelt und stemme mich ebenfalls aus dem Stroh.
„Nie besser."
Gemeinsam beobachten wir, wie sich auch Cora, deren schwarzes Fell voller Stroh ist, aufrichte.
„Dann wagen wir wohl gleich mal einen Versuch...", murmele ich.

Nach einem raschen Frühstück, bei dem wir wohl oder übel ein zwei Scheiben Brot an die Pferde abgeben, packen wir unsere Sachen zusammen und stehen schließlich mit den Halftern vor den Pferden.
„Warum auch immer sie noch nicht gegangen sind...", fragt Flo, mehr sich selbst, als er vorsichtig versucht, Cora das Halfter überzustreifen.
„Vielleicht steht ihnen auch der Kopf nach Abenteuer.", sage ich grinsend und ziehe Fleur das Halfter über. Sie scheint nicht abgeneigt, sondern fast schon erwartungsvoll.
Trotzdem noch vorsichtig führen wir die beiden nach draußen in die noch tief stehende Morgensonne. Mangels Zügeln hatte ich einfach ein Stück Seil rechts und links an die beiden alten Halfter gebunden.

Doch etwas nervös streiche ich Fleur über die undefinierte Blesse, sobald ich sie neben ein leeres Fass vor dem Stall geführt habe. Die beiden Pferde sind schätzugsweise ein Meter sechzig groß. Da komme auch ich nicht mehr ohne Aufsteighilfe hoch.
„Wirf mich bitte nicht runter, ja?", sage ich leise, bevor ich auf das Fass klettere.
Die Zügel in der linken Hand, lasse ich mich so sanft wie möglich auf ihren Rücken rutschen. Fleur scheint einen Moment abzuwägen. Sie verlagert ihr Gewicht von rechts nach links, dreht die Ohren und dreht schließlich den Kopf etwas zur Seite, als würde sie auf Anweisungen warten.
Sanft drücke ich meine Waden an ihren Bauch. Sofort setzt sie sich in Bewegung.
Nach einem bestimmen „Hoo" und sogar ohne Zug an den Zügeln bleibt sie sofort stehen. Ich klopfe ihr über den Hals. Sie scheint verwirrt, als hätte man ihr diese Geste des Lobes nie beigebracht.
Erwartungsvoll drehe ich mich zu Flo, der nervös auf seiner Unterlippe kaut.
„Na komm. Worauf wartest du?", fordere ich ihn auf.
Er scheint sich in den Arsch getreten zu fühlen. Unbeholfen klettert er über das Fass auf Coras Rücken, die geduldig wartet, bis er sich in die richtige Position gerückt hat. Wobei richtig hier relativ zu betrachten ist. Zögerlich drückt er seine Beine gegen ihren Bauch und gemeinsam setzen sich die Pferde in Bewegung.
Schnell wird klar, dass Fleur und Cora nur nebeneinander auf dem Vy laufen. Cora links und Fleur rechts.
Flo hat aber genug damit zu tun, nicht von Coras Rücken zu rutschen. Gut, dass ich den Rucksack trage. Flo klammert sich an die Zügel und sieht so aus, als hätte ihm jemand die Wirbelsäule mit Kabelbindern zusammengebunden.
„Entspann dich mal ein wenig. Nicht wie auf dem Sofa, aber lass die Beine locker, sonst kannst du morgen nicht mehr laufen.", rate ich ihm.
Ich sehe, wie er verbissen versucht, meinem Rat zu folgen, aber doch seine Schwierigkeiten damit hat.
„Lass die Hände ruhig. Wenn es dir leichter fällt, dann leg sie auf Coras Schultern."
Das scheint zu helfen. Seine Haltung wird entspannter.
„Wenn ich dir noch ein mal vorwerfen sollte, reiten wäre leicht, dann ohrfeige mich bitte.", murmelt er.
„Darf ich auch zwei Mal?", frage ich grinsend.
„Aber nur, wenn du auf jede Wange ein Mal schlägst. Sonst wird's asymetrisch."
Den Pferden macht es nichts aus, dass wir nur im Schritt unterwegs sind. Im Gegenteil. Fleurs Gang ist angenehm und ihr Rücken ist breit, das macht das Reiten auch ohne Sattel bequem.

„Weißt du, was ich glaube?", frage ich, während uns ein weißes Pferd mit einer Reiterin in blauer Kefta überholt, die uns keines Blickes würdigt.
„Dass ich morgen höllisch Muskelkater habe?"
Ich verdrehe die Augen. „Nein, dass-"
„Dass ich das Gefühl habe, keine Kinder mehr bekommen zu können, wenn das jetzt noch Tage so weiter geht?"
„Das wollte ich gar nicht wissen und ist meilenweit von dem entfernt, was ich dir eigentlich sagen wollte." Ich verscheuche eine Fliege von Fleurs Hinterteil.
„Du hast gefragt."
„Das war eine rethorische Frage. Ich glaube, die beiden waren Kutschpferde.", sage ich hastig, bevor Flo noch etwas einwerfen kann.
„Weil sie nur so nebeneinander laufen?" Flo klingt etwas skeptisch.
„Einerseits. Aber auch wegen den Muskeln. So einen Hintern bekommt man nur, wenn man Kutschen zieht."
„Oder jeden Tag Workout macht."
„Zeig mir ein Pferd das Workout macht und ich zeige dir eine Entzugsklinik."
Er lacht, bevor wir einer Kutsche Platz machen müssen, die uns überholt.
Sie ist schwarz und wird von sechs Rappen gezogen. Das Grinsen verblasst aus meinem Gesicht. Von der Kutsche geht etwas unheimliches aus und mir ist sofort klar, wer darin sitzt.
„Alles okay?", fragt Flo, während er Cora über den Hals streichelt.
Anscheinend ist mein Gesichtsausdruck mehr als nur entgeistert. „Das ist die Kutsche des Dunklen. Mit der Protagonistin. Alina.", sage ich leise und drehe die Mitte der Zügel in meiner Hand.
„Und?"
„Wenn seine Kutsche hier ist, dann ist der Dunkle nicht weit."

Der Weg durch Ravka || Shadow and Bone/Grishaverse FF (Pausiert)Where stories live. Discover now