Kapitel 6: Fleur und Cora

208 19 1
                                    

Zwei Pferde. Das eine hellbraun, das andere schwarz, mit breiten Rücken, struppigem Fell und langen Mähnen. Die beiden scheinen ebenso überrascht uns zu sehen, wie wir sie zu sehen. Doch nach einem kurzen Blick schenken sie uns keine Beachtung sondern fangen an, das verstreute Heu vom Boden zu fressen. Es sind beides Stuten.
„Meinst du, das sind wilde Pferde?", flüstert Flo.
Ich schüttele den Kopf. „Dann wären sie schon längst abgehauen."
Stumm beobachten wir, wie die Pferde in aller Seelenruhe das Heu zermalmen, als wären wir gar nicht da.
„Die sehen ziemlich wild aus. ganz schön zottig.", bemerkt Flo.
„Schon." Ich nicke. „Aber die Hufe sehen gut aus. Wahrscheinlich sind sie den Tag über draußen unterwegs und kommen Nachts hier rein."
Draußen grollt Donner. Das Licht der Blitze zuckt durch die Lücken in den Brettern und wirft Schatten. Die Pferde stört es nicht.
„Wie war das mit dem Ponyhotel?" Flo lächelt.
Ich schnaube leise, muss aber ebenfalls lächeln. „Mit Pferden wären wir auf jeden Fall schneller in Os Alta.", sage ich langsam.
„Wir haben schon einen Typen ausgeraubt. Jetzt willst du noch Pferde klauen?" Flos Augenbrauen wandern nach oben. Trotzdem scheint er der Idee nicht zu abgeneigt.
Ich zucke die Schultern. „Schau sie dir an. Die gehören sicher keinem."
Kurzentschlossen stehe ich auf und gehe auf die braune Stute zu. Sie hebt den Kopf und schnuppert an meiner ausgestreckten Hand, bevor sie anfängt, an meinem Ärmel zu knabbern. Ein Lachen entfährt mir. Ich streiche der Stute über den Hals und kraule sie kurz am Widerrist.
„Schau dir mal den Rücken an. Muskeln ohne Ende.", sage ich, mehr zu mir selbst. Die Wirbelsäule der Stute ist nicht zu sehen. Nur Muskeln.
Die Schwarze beginnt interessiert an meinem Mantel zu schnuppern. Vielleicht stinkt er.
Ich hebe den Blick von den Stuten. Flo sitzt nach wie vor im Stroh und beobachtet mich. Sein Blick ist fast schon abwesend, wie er mich ansieht. Ein Lächeln auf den Lippen. Zumindest, bis er meinen Blick bemerkt. Schnell sieht er beschämt weg und räuspert sich.
Ich spüre, wie mein Gesicht heiß wird.
„Komm mal her.", fordere ich ihn auf.
Zögernd steht er auf und klopft sich das Stroh von der Hose.
„Ich kann aber nicht so gut mit Pferden...", fängt er an.
„Mach dir mal keine Sorgen.", beruhige ich in.
Doch die braune Stute weicht bei seinem Anblick etwas zurück. Ich lege ihr die Hand auf den Rücken, aber ihre Augen sprechen Bände. Sie scheint keine guten Erfahrungen mit Männern gemacht zu haben. Es erinnert mich einmal mehr daran, dass wir schon längst keine Kinder mehr sind.
Die schwarze Stute dagegen, scheint kein Problem mit Flo zu haben. Neugierig stupst sie seine Hand an. Zögerlich streicht er ihr mit der Hand über den Hals. Ich muss lächeln. Es sieht schon verdammt niedlich aus.
Ich tauche unter dem Hals der Stute hindurch und beginne, die dunklen Ecken des Stalls abzusuchen.
Hinter einem Haufen Heu werde ich schließlich fündig. Triumphierend hebe ich zwei einfache, zerschlissene Halfter und eine staubige Tasche hoch.
„Jackpot oder was?", fragt Flo mich grinsend, als ich die Tasche über einer freien Stelle auf dem Boden umdrehe. Er selber hält eine Pferdedecke in der Hand, als er sich zu mir nach unten kniet, um die Ausbeute zu beobachten. Die schwarze Stute schnuppert interessiert über die Bürsten, muss dann aber doch feststellen, dass man Bürsten nicht essen kann.
In der Tasche sind eine Bürste, die einer Wurzelbürste sehr nahe kommt, ein Holzkamm und ein Metallhaken.
„Was will man damit denn machen?", fragt Flo, halb belustigt, halb irritiert, den Haken in der Hand. „Willst du damit dein Wild von der Jagd über dem Feuer rösten?"
Ich schüttele den Kopf und nehme ihm den Haken ab. Einen Moment wiege und drehe ich ihn in der Hand. „Ich schätze, das ist ein primitiver Hufkratzer."
Den Kamm in der Hand gehe ich wieder auf die braune Stute zu. Ich lasse sie den Kamm und meine Hände noch einmal abschnuppern, bevor ich anfange ihr sanft durch die Mähne zu kämmen. Anfangs zuckt sie etwas, bei jedem kleinen Knoten, den ich erwische, doch langsam entspannt sie sich. Sie schließt die Augen halb und kaut.
Flo steht vor der schwarzen Stute. Die Bürste in der Hand, aber mit unschlüssigem Gesichtsausdruck. Vorsichtig bürstet er über den Rücken der Schwarzen, die ungeduldig mit dem Schweif peitscht.
„Du kannst ruhig doller bürsten, das Pferd geht nicht kaputt.", grinse ich und kämme vorsichtig den Pony der Stute. Ihre Augen mustern mich erwartungsvoll, zucken aber doch immer wieder zu Flo.
Der hat den Druck jetzt zwar ein bisschen erhöht, macht aber trotzdem keinen maßgeblichen Unterschied. Ich unterdrücke ein Kopfschütteln.
Sanft nehme ich ihm die Bürste aus der Hand und fahre in kräftigen, langen Zügen über das struppige Fell der Stute, die mehr Haare zu verlieren scheint, als ein Isländer im Frühling.
„So." Ich gebe Flo die Bürste wieder zurück.
„So?" Er büstet, aber so, als würde er eine Katze bürsten.
Ich seufze und bereue es sofort. Flo lässt die Bürste sinken. Schnell nehme ich seine Hand und fahre mit ihr und der Bürste über das schwarze Fell. Kräfig und in langen Zügen. Ein Kribbeln jagt meinen Arm nach oben und schnell lasse ich seine Hand los. Ich räuspere mich.
„Sorry."
Er bürstet schweigend weiter, wie ich es ihm gezeigt habe.

Eine halbe Stunde später liegen wir nebeneinander, aber doch mit gewissem Abstand unter der Pferdedecke im Stroh. Beide sind wir voller Pferdehaare und meine Haare sind vermutlich voller Stroh. Ich kann Flos Körperwärme fast schon spüren, so nah liegt er neben mir. Irgendwie ist es komisch, aber trotzdem beruhigend. Ebenso, wie das leise Kauen der Pferde, das durch die dunkle Scheune klingt. Es fühlt sich an, wie das eine Mal vor fünf Jahren, als wir aus der Freitagsreitstunde im Heuboden übernachtet hatten. Nur hatte ich damals einen Schlafsack gehabt und meinen eigenen Schlafanzug. Keine Pferdedecke und Klamotten, die mir nicht einmal gehörten.
„Wir sollten ihnen Namen geben. Wir können sie ja schlecht immer nur die Schwarze und die Braune nennen.", sage ich in die Dunkelheit.
„Es sind beides Mädchen, oder?", fragt Flo.
„Stuten, ja."
„Wir können sie ja Dick und Doof nennen.", schlägt er vor. Das Grinsen in seiner Stimme ist unüberhörbar.
„Untersteh dich.", murmele ich.
„Cora? Ich hatte mal eine Katze, die hieß Cora."
„Warum nicht?", antworte ich und drehe mich auf den Rücken. „Dann ist die Schwarze ab jetzt Cora."
„Und die Braune?"
Ich überlege. Welcher Name passt gut zu einem braunen Pferd? Welcher Name passt allgemein zu einer Stute? „Fleur. Auf Fleur hab ich damals reiten gelernt. Eine Schimmelstute."
„Fleur und Cora, it is."
Ob die beiden sich reiten lassen, wird sich morgen zeigen. Aber vielleicht hilft uns ja die Fantasywelt selber etwas.

Der Weg durch Ravka || Shadow and Bone/Grishaverse FF (Pausiert)Where stories live. Discover now