Kapitel 5: Eine vielleicht problematische Aussage

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Das Dorf ist belebt. Kleine Kinder spielen in den Seitenstraßen, auf dem Marktplatz sind Stände aufgebaut, an denen Greise und Händler ihre Waren verkaufen. Mit unseren Kleidern fügen wir uns gut ein, trotzdem ist es merkwürdig. Die meisten Bürger Ravkas in unserem Alter sind in der Armee und es fühlt sich an, als sollten wir nicht wirklich hier sein.
Doch trotzdem hat der Markt etwas beruhigendes. Wir ziehen an den Ständen vorbei und geben etwas Geld des Fjerdan aus. Meine Hand zittert, als ich der alten Frau einige Münzen über den Stand reiche und dafür ein Stück Seife und zwei Holzzahnbürsten in einem kleinen Beutel entgegennehme, aber sie scheint das Geld nicht in Frage zu stellen, sondern macht mir lediglich ein Kompliment für meine Haare. Anscheinend ist Rot-Blond hier nicht so häufig. Flo ist mit seinen dunklen Haaren zum Glück unauffälliger.

Gerade beschleicht mich der Gedanke, dass es für die Verhältnisse einer Fantasywelt viel zu glatt läuft, als uns eine Gestalt in einer blauen Kefta den Weg aus dem Dorf versperrt. Neben dem schmalschultrigen Mann, dessen Kefta rot-orangene Stickereien tragen, steht die Korporalki in der roten Kefta. Flo erkennt sie vor mir, aber es ist zu spät.
Die Blicke der beiden sagen ganz klar eines: „Wehe ihr rennt."
Langsam gehen wir auf die beiden zu. Ihre Blicke sind wie Messer, die uns durchbohren. Meine Beine zittern und mein Herz sackt noch tiefer, als vor dem Deutschabi.
„Wer seid ihr?", fragt der Stürmer scharf. Er ist zwar schmal gebaut, aber trotzdem größer als Flo.
„Reisende, Sir.", erwidere ich schnell und hoffe inständig, dass mein Leidensgefährte die Klappe hält.
Der Stürmer wirkt nicht überzeugt. „Wie alt?"
„Achtzehn." Ob Flo auch achtzehn ist, weiß ich nicht. Dass er auf den Q-Feten mehr Schnaps als ich getrunken hat, will ja nichts heißen.
„Grisha?"
Ich schüttele den Kopf und komme mir vor, wie bei der Rauschgiftkontrolle in der Fußgängerzone. Nur in einer Fantasywelt.
„Warum dient ihr dann nicht in der Armee?" Der Blick der Frau ist mindestens genau so bohrend.
Mir fällt eine Lüge ein. Eine Lüge, die vermutlich absolut bescheuert und lebensmüde ist, aber die uns vielleicht doch schützt. „Wir sind Boten."
„Boten?" Der Blick des Stürmers wird fast spöttisch. „Soso? Unter wessen Flagge?"
Ich ignoriere seine Frage und verbiete mir selber, in die Hose zu pinkeln. „Unter der Flagge des Dunklen. An der Schattenflur wurde eine Sonnenkriegerin aufgefunden. Wir sollen die Kunde nach Os Alta bringen."
Die Körperhaltung der beiden verändert sich. Die Korporalki zieht scharf Luft durch die Zähne, der Stürmer behält seinen spöttischen Blick bei, wirkt aber plötzlich nicht mehr so sicher.
„Das ist ein Witz, oder?", er hebt die Augenbrauen. „Sonnenkrieger sind eine Legende."
„Vielleicht, aber wenn nicht, dann wird dir General Kirigan sicher nicht erfreut sein, wenn seine eigenen Truppen seine Boten aufhalten."
Anscheinend lässt ihn die Sicherheit, mit der ich die Worte spreche, an seinem Spott zweifeln.
Langsam tritt er beiseite, lässt uns aber trotzdem nicht aus den Augen, während wir ihn und die andere Grisha passieren. Ich habe das Gefühl, seinen Blick noch dutzende Meter hinter dem Dorf in meinem Rücken stechen zu spüren.

„Ich kann nicht glauben, dass das wirklich funktioniert hat...", sagt Flo. Wir sitzen zur Rast an einem kleinen Bachlauf und füllen die Metallflasche auf, die wir ebenfalls auf dem Markt bekommen haben.
„Ich auch nicht.", seufze ich und halte mein Messer in das plätschernde Wasser, um es sauber zu machen. Ich will gar nicht wissen, wie viele Menschenleben dieses Messer schon gekostet hat. Und ich benutze es, um Käse zu schneiden. Kritisch betrachte ich den Stand der Sonne, was mir die Wolken deutlich erschweren. „Aber wenn ich meine Ankündigung zu früh gemacht habe, dann haben wir ein Problem.", sage ich leise.
Flo sagt nichts, scheint aber auf eine Ausführung meiner Aussage zu warten.
„Ich hab keine Ahnung zu welcher Tageszeit Alina in der Schattenflur sämtliche Volkra weggesprengt hat, um ihren best Buddy zu retten. Wenn das vorhin noch gar nicht passiert war, dann haben wir ein Problem."
„Wir haben auch so schon genug Probleme. Zum Beispiel, dass wir hier feststecken und nicht wieder zurückkommen.", murmelt Flo, als wir wieder nebeneinander laufen. Das erste Mal klingt er wirklich deprimiert. Nicht wütend, sondern einfach nur müde.
„Ich weiß."
Ich kann nicht verhindern, dass sich in meinem Hals ein Kloß bildet. Hoffentlich kommen wir wieder zurück. Wenn nicht, dann würde ich das in dieser Welt vermutlich keine fünf Jahre aushalten.
„Wir schaffen das schon." Flo klopft mir auf die Schulter und lässt seine Hand dort einen Moment liegen. Wie eine Welle, jagt Gänsehaut von dieser Stelle aus über meinen Rücken.

Die Sonne neigt sich dem Horizont entgegen. Meine Beine schreien nach einer Pause. Vor einer alten Scheune kommen wir schließlich zum Stehen. Naja, eine Scheune kann man es nicht wirklich nennen. Es sieht aus, wie ein kleiner Stall, der jeden Moment auseinanderfallen könnte. Die Wände sind aus groß zugesägten Brettern, das Dach aus löchrigen Dachziegeln.
„Was meinst du?", frage ich abschätzend.
„Besser als unsere Schule sieht es trotzdem noch aus.", erwidert Flo.
Vorsichtig ziehe ich das Scheunentor auf. Gerade so weit, dass wir uns durchquetschen können. In einer Ecke des Stalls ist Stroh aufgehäuft. In einer anderen Ecke klafft ein Loch in den Brettern, das groß genug für einen Bären wäre.
„Wisst ihr wo, auf der Welt, man von Sorgen nichts hält? Im Ponyhotel, im Ponyhotel.", singe ich leise, im ironischsten Tonfall, der sich mir bietet, während ich mich ins Stroh fallen lasse. Zu meiner Überraschung ist es nicht nass.
„Geh mir weg mit Immenhof...", murmelt Flo und lässt sich neben mich fallen.
„Du kennst die Filme?", frage ich überrascht und ziehe mir den Rucksack vom Rücken.
„Gezwungenermaßen. Mein Bruder wollte die immer schauen."
„Ich mag deinen Bruder."
„Ich auch."
Vermutlich denken wir gerade an das Gleiche. Unsere Familien sind irgendwo weit weg. In einer anderen Dimension und wir sitzen hier, in einer heruntrgekommenen Scheune, auf deren Dach gerade ein Wolkenbruch hernieder geht.
Doch unsere Gedanken werden unterbrochen. Von zwei Pelzhaufen auf vier Beinen, die durch das Loch in der Wand poltern.

Der Weg durch Ravka || Shadow and Bone/Grishaverse FF (Pausiert)Where stories live. Discover now