Verpasste Chance

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Am Morgen des 27. Dezembers musste sich Aviana die Augen mehr als einmal reiben, denn beim Blick aus einem der Fenster im Schlafsaal sah sie lediglich eine einzige Farbe.
Als wäre es Absicht gewesen, war mit dem Ende der Weihnachtstage über Nacht der erste Schnee gefallen und hüllte die gesamten Ländereien nun in eine einzig große Decke in Weiß.

Schnee!

Anders als am Morgen zuvor sprang sie förmlich aus ihrem Bett, erledigte ihre Morgenroutine und suchte darauf hastig ihre warme Kleidung zusammen.
Während sie sich noch die Pulswärmer ihres Vaters und die Mütze überzog, rannte sie in den Jungenschlafsaal der Erstklässler und rüttelte an Cal's Schulter.

„Was denn?" Cal's schlaftrunkene Stimme drang eine Oktave tiefer als sonst zu ihr.

Er hatte sich zu Aviana umgedreht und blinzelte ihr mit schmalen Augen entgegen, doch lange währte die Schläfrigkeit nicht. Mit einem Ruck zog er an seiner Bettdecke, um seinen nackten Oberkörper zu bedecken und schaute sie darauf mit flammend roten Ohren an.

„Aviana, was tust du hier? Das ist der Jungenschlafsaal!"

„Oh, das ist mir bewusst, keine Angst." Das folgende Naserümpfen konnte sie sich nicht verkneifen.

Hätte sie nicht gewusst, wo der Jungenschlafsaal war, hätte sie bloß ihrer Nase folgen müssen. Diverse Kleidungsstücke lagen zerstreut über den Boden oder hingen an der notdürftig geknüpften Schnur durch die Mitte des Raumes.

Es war gar nicht so einfach irgendwo hinzuschauen, wo keine Unterwäsche von Jungs hing, weshalb Aviana mit warmen Wangen wieder zu ihrem Schulfreund blickte und versuchte, ihn von ihrer Idee zu überzeugen.

„Es hat geschneit. Schau!"

Die schweren, braunen Vorhänge wirbelten ein wenig Staub auf, als sie sie zur Seite riss und Cal warf sich ächzend die Decke über den Kopf.

„Und es ist acht Uhr in der Früh! Wir haben Ferien, da schläft man aus", hörte sie seine gedämpfte Stimme.

„Ach, komm schon Cal! Du warst es doch, der sich darüber beklagt hat, dass wir schon seit Jahren keine weißen Weihnachten mehr feiern konnten." Wieder ein Grummeln und Aviana wandte sich zum Gehen. „Ich warte draußen."

Obwohl Cal nochmals aufstöhnte, wusste Aviana, dass er mit ihr kommen würde.
Und sie sollte Recht behalten, denn nach weniger als 15 Minuten kletterten sie gemeinsam durch das Hufflepuff Portal, eilten die drei Treppen hoch, vorbei an einem perplexen Sir Nicholas und traten schließlich durch das große Eingangstor in den Vorhof.

Instinktiv schloss sie ihre Augen und blinzelte dann vorsichtig in den Platz vor dem Schloss. Der Tag hätte kaum perfekter sein können. Flaumig weißer Schnee, der einem Wattefeld glich, und die Sonne, die zwischen einigen Wolken hindurchschien und vom Boden so sehr reflektiert wurde, dass der gesamte Vorhof weiß schien.

Das Einzige, was aus dem blendenden Bild hervorstach, waren die Mauern des Schlosses und die Streben der Seitengänge und hätte sie es nicht besser gewusst, hätte Aviana gesagt, dass der unberührte Schnee vor ihren Füßen tatsächlich Watte war – so flauschig sah er aus.

Während Cal den Rest Müdigkeit aus seinen Augen rieb, überlegte Aviana, sich rücklings in den Schnee fallen zu lassen, oder doch vielleicht einmal barfuß über den Platz zu rennen. Den Schneeball, der in diesem Moment auf sie zusegelte, sah sie dabei zu spät und konnte sich somit nur noch wegdrehen, damit er ihren Arm anstelle ihres Bauches traf.

„He!" rief sie aus und versuchte den Angreifer auszumachen, während sie selbst ein wenig Schnee zusammenkratzte und zu einer Kugel formte.

Dabei sah sie Fußspuren vom Eingangstor zum Seitengang, die ihr zuvor nicht aufgefallen waren. Sie führten direkt in den rechten Seitengang, aber eine Person konnte sie zwischen den Streben und Bänken nicht ausmachen.

Huffle-inHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin