The Reason of Love

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Liebe. Ein so kleines Wort mit einer so starken Bedeutung. Doch konnte man etwas so Intensives und Vielfältiges wirklich in ein einzelnes Wort zusammenfassen? Der Junge hatte Liebe schon oft gesehen. Allein bei seinen Eltern sah er es jeden Tag aufs Neue. Wie sie miteinander umgingen. Fürsorglich und so voller Zuneigung, dass man einfach lächeln musste, wenn man sie sah. Die Beiden hatten ihren Seelenverwandten ineinander gefunden. Das konnte sogar ein Blinder erkennen.

Dabei war ihr Weg, bis sie nach LA umgezogen waren, um ihn dort zu bekommen, alles andere als leicht gewesen. Er wusste nicht Alles, was zwischen ihnen vorgefallen war, doch noch heute gab es Punkte in ihrem Leben, an denen die tiefen Narben, die auf dem Weg zu einer gemeinsamen Zukunft entstanden waren, an die Oberfläche traten.

So kam es auch manchmal vor, dass der Junge abends, wenn er nicht schlafen konnte, ins Wohnzimmer getapst kam, jedoch an der Tür stehenblieb. Er hasste es seine Eltern weinen zu sehen. In seiner Anwesenheit taten sie es eigentlich nie, doch wenn er schon im Bett lag, konnten sie ihre Trauer manchmal nicht unterdrücken. Vor allem als er noch ein kleines Kind gewesen war, gerade mal drei, kamen solche Abende öfter vor. So sah er an jenem Tag schweigend seinem Appa beim Weinen zu, der sich zitternd an seinen Dad klammerte.

„Es ist alles meine Schuld...", wisperte der kleinere der Beiden und wurde noch sofort vom Älteren, der auch Tränen in den Augen hatte, unterbrochen. „Es ist nicht deine Schuld mein Liebling... Bitte mach dir keine Vorwürfe mehr..." Doch sein Appa schluchzte nur erneut auf.

„Er wird nie ein normales Leben führen können..."

Der Junge drehte um und schlich wieder in sein Zimmer. In seinem zarten Alter verstand er die Bedeutung der Worte noch nicht, doch das würde sich in Zukunft ändern. Nachdenklich legte er sich zurück ins Bett und starrte an seine Zimmerdecke, die mit leicht leuchtenden Sternen beklebt war.

In solchen Nächten sah er eine andere Art der Liebe. Indirekt die Selbe, die sonst zwischen seinen Eltern funkelte, aber anders. Trauer zu teilen. Miteinander zu weinen, seinen Schmerz zu teilen und füreinander da zu sein.

Doch es gab noch eine Art der Liebe. Die Art, wie ihn seine Familie warm anlächelte, wenn er mal wieder Blödsinn machte, wie sie mit ihm lachten und ihn kuschelten, wenn er es mal brauchte. Im Grunde genommen war diese Liebe fast noch tiefer verwurzelt, als es die Seelenverwandtschaft war. Natürlich stritt er sich auch manchmal mit seinen Eltern. Nannte sie doof, weil sie ihn nicht mit den anderen Kindern beim Gruppenturnen anmelden wollten und rannte auf sein Zimmer. Doch schon wenige Minuten später, wankte er die Treppen zum Flur auch schon wieder hektisch nach unten, um sich heulend bei ihnen zu entschuldigen.

Auch als er seinen besten Freund kennengelernt hatte, war das Liebe gewesen. Sie hatten eine tiefe Empathie füreinander und das schon im ersten Moment, wo man sie nebeneinander auf den Wickeltisch gelegt hatte. Diese wertvolle Freundschaft wollte er nie wieder verlieren. Als sie etwas Älter waren, machten sie sogar eine Blutsbrüderschaft. Jedoch lief das nicht ganz so wie im Film, den sie am Abend gesehen hatten, da sein bester Freund kein Blut sehen konnte und so während der höchst ehrenvollen Zeremonie zusammenklappte.

Bei der Erinnerung musste der Junge lachen. In den sechzehn Jahren, die er nun schon lebte, hatte sich an dem Allen absolut nichts geändert. Meistens jedenfalls. Nachdenklich sah der Junge auf sein Handy und ihm entwich ein trauriges Seufzen, als sein Hintergrundbild ihm entgegen blitzte. Sanft strich er mit seinem Finger über die Wange der Person, die ihm auf dem von ihm selbst gemachten Foto entgegenblitzte. 

Er konnte sich noch ganz genau an den Moment erinnern. Er hatte sein erstes Handy von seinen Eltern geschenkt bekommen und wollte es natürlich sofort ausprobieren. Damals vor mittlerweile sieben Jahren, hatte sein Patenonkel ihm angeboten, etwas mit ihm herumzufahren, damit er tolle Fotos machen konnte. Sofort hatte der Junge zugestimmt und an diesem wundervollen Tag, den sie bis spät abends zu zweit genossen, war dieses schöne Foto von ihm entstanden. Sein Onkel grinste ihm auf dem Bild ausgelassen entgegen und der Sechzehnjährige unterdrückte die Tränen, während er sein Handy wütend neben sich aufs Bett warf.

Sein Patenonkel hatte schon früher immer wenig Zeit und einen strikten Terminkalender gehabt. Gerade deshalb waren die Momente mit ihm so kostbar für den Jungen gewesen. Doch hätte er gewusst, dass jener Abend der letzte sein würde, an dem er ihn persönlich sehen könnte, hätte er ihn noch viel mehr genossen.

Der Bruch war schleichend gekommen. Aus einem fast regelmäßigen Treffen einmal im Monat, war ein Treffen im halben Jahr geworden. Irgendwann hatte sein Patenonkel gar keine Zeit mehr gehabt persönlich zu kommen. Aus den Treffen waren lange Telefonate geworden, dann kurze und irgendwann, waren sogar diese eingefroren. Oft hatte er deshalb Nächte lang geweint, entweder in den Armen seines besten Freundes, oder in denen seiner Eltern.

Während jedoch sein Dad, seine darauf folgende Wut auf seinen Patenonkel verstanden hatte, so war es bei seinem Appa ganz anders gewesen. Da dieser früher zusammen mit seinem Patenonkel und fünf weiteren Männern in einer weltweit berühmten Kpop Gruppe gewesen war, wusste er wie anstrengend das Idol Leben war, für welches sich sein Patenonkel anstelle einer Familie entschieden hatte. Noch immer war er weltweit berühmt. Dass er nun als Solo-Künstler weitermachte, hatte seinem Ruhm und seiner Beliebtheit in keiner Weise geschadet.

Immer wenn er im Fernsehen auftrat, sei es für Interviews oder Talkshows. Der Junge sah sich noch heute jeden einzelnen Auftritt an, hörte seine Musik und versuchte sich auf diese Weise an die schöne Stimme des mittlerweile Dreiundvierzigjährigen zu erinnern.

Traurig lächelte er und schob die Kopfhörer tiefer in seine Ohren, um seinen Patenonkel besser hören zu können. Auch für ihn empfand er eine Art der Liebe. Er war so glücklich als Kind gewesen, wenn er in der Gegenwart des Älteren gewesen war. Hatte ihn so unfassbar geliebt. Doch mit den Jahren änderte sich alles. Zu der tiefen Verbitterung, die er empfand, zu der unfassbaren Wut, hatte sich etwas anderes gemischt. Er hatte begonnen ihn durch andere Augen zu sehen.

Es begann langsam, damit, dass er sich seine Gesichtsdetails genau einzuprägen begann. Dass er Gänsehaut bekam, wenn seine Stimme in Radios oder im Fernsehen erklang. Irgendwann hatte er damit begonnen, sich seinen kompletten Körper vorzustellen, sich gewünscht, ihn berühren zu können und je mehr er versucht hatte, seine Gedanken und Gefühle zu verdrängen, desto penetranter wurden sie.

Dann irgendwann mit vierzehn war es passiert. Als er eines Nachts seinen ersten feuchten Traum gehabt hatte. Nicht etwa von jemandem aus seiner Klasse. Vielleicht dem hübschen Mädchen, das im Unterricht in Mathe vor ihm saß. Er hatte von seinem Patenonkel geträumt, wie der ihn berührte und wie es ihm unfassbar gefiel.

Im laufe der nächsten Jahre hatte er es dann irgendwann akzeptiert. Es hatte zwar eine Weile gebraucht, doch als er abends einmal in seinem Bett gelegen hatte, schwer atmend von seinem, durch seine Hand, eben erlebten Höhepunkt, an dem er auch an den Älteren gedacht hatte, war es ihm klar. Liebe konnte sich im Laufe der Jahre auch ändern. Er selbst hatte jeden Schritt davon indirekt wahrgenommen und eines war sicher.

Er wollte ihn wiedersehen. Versuchen was er konnte, um seinen Patenonkel das Selbe fühlen zu lassen, was er für ihn fühlte und er wusste auch schon genau wie er das machen würde. Ein breites Grinsen bildete sich auf seinen vollen Lippen und gut gelaunt sah er auf seinen gepackten Koffer. Morgen starteten die Sommerferien und er würde seine Großeltern in Busan besuchen fahren. Was für ein großes Glück, dass auch sein Patenonkel in Südkorea lebte.

Against TimeWhere stories live. Discover now