Rika

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Rika machte sich auf dem Stuhl ein wenig kleiner, als Ben sie so erschrocken anstarrte.
,,Entschuldige bitte. Ich wollte dich nicht erschrecken", murmelte Rika sofort.
Ben brauchte einige Sekunden um sich zu sammeln, ehe er antwortete.
,,Warst du das eben?", fragte Ben schroffer als geplant.
,,Das Klopfen? Natürlich... Du hast mich wieder übersehen, nicht wahr?", schmunzelte Rika und wackelte ein wenig mit den Beinen, nun da sie sich wieder wohler fühlte.
,,Du hättest etwas sagen können"
,,Das habe ich"
,,Aber ich habe nichts gehört", beschwerte sich Ben, scheuchte Rika von seinem Stuhl und setzte sich hin.
,,Was machst du eigentlich noch hier? Solltest du nicht schon längst im Bett liegen?"
,,Ich bin kein Baby mehr", murrte sie und nahm Bens Roman zur Hand.
,,Bist du nicht zu alt für solche Schnulzen?", lachte Rika.
,,Bist du nicht zu jung um allein um die Uhrzeit draußen zu sein?"
Rika blickte sofort zu Ben auf.
,,Wie meinst du das?", fragte sie mit einem ängstlichen Zittern in der Stimme nach.
,,So wie ich es gesagt habe. Dein Vater ist vor ein paar Minuten gefahren. Solltest du nicht bei ihm sein?"
,,Er... hat mich vergessen", murmelte sie und sprang augenblicklich auf.
Das Buch schmiss sie auf Bens Schreibtisch und schnappte sich noch ihren Rucksack, ehe sie aus der Tür eilen wollte.
,,Nicht so schnell!", rief Ben und hielt Rika an ihrem Rucksack fest.
,,Du kannst doch jetzt nicht allein nach hause gehen. Es ist mitten in der Nacht"
,,Wie soll ich sonst nach hause kommen? Außerdem bin ich 12. Ich schaffe das schon", wand sie, mit Tränen in den Augen, ein.
Sie fühlte sich hundeelend. Ihr Vater, Shanks, hatte sie zwar bisher ein paar mal vergessen, doch hatte er sie noch nie so offensichtlich zurückgelassen. Sie sagte ihm noch vor gar nicht all zu langer Zeit, dass sie nur kurz zu Ben wollte. Shanks wollte noch ein Telefonat führen und sie dort dann abholen. Das er ohne sie gefahren ist, verletzt sie zu tiefst.
,,Hey mach doch nicht so ein Gesicht. Wir rufen deinen Vater an. Sicher war es nur ein Versehen", versuchte Ben sie zu beruhigen, doch erste Tränen rannen Rika bereits übers Gesicht.
Die Verzweiflung schnürte ihr die Kehle zu und machte sie ganz schwindlig.
Sonst fühlte sie sich auf dem Firmengelände wohl. Sie mochte fast alle Mitarbeiter und unterhielt sich mit allen immer gut. Jetzt wirkte der sonst so vertraute Ort jedoch grauenvoll auf sie. Viel größer und bedrohlicher als noch vor ein paar Minuten, jetzt da sie weiß, dass sie hier allein ist.
,,Rika...", sprach Ben sie noch einmal an und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
Rika fuhr heftig zusammen, schlug seine Hand weg und blickte erschrocken zu Ben auf.
Die beiden waren fast schon befreundet. Rika kam oft zu ihm, wenn ihr Vater wieder lang arbeitete und sie nach der Schule mit zu ihm ins Büro musste. Sie spielten Karten miteinander, redeten und hatten einfach eine gute Zeit. Jetzt aber, machte ihr nicht nur Ben sondern die ganze Situation eine extreme Angst.
,,Hey beruhige dich doch", gab Ben perplex von sich, der ganz offensichtlich nicht mit sowas gerechnet hatte.
,,Ich kann dich auch nach hause fahren"
,,Nein kannst du nicht!", schrie Rika Ben an, der so verdutzt dreinblickte, als wäre gerade ein Schwein an ihm vorbei geflogen.
,,Was ist den nur in dich gefahren?", wollte er wissen.
Vor Rikas innerem Auge spielten sich jedoch die schlimmsten Horrorszenen ab. Anstatt Bens nette Geste richtig zu deuten als das was sie eben war, malte sich Rika aus, was Ben mit ihr vorhaben könnte, wenn sie allein waren. Sie wollte lieber nicht wissen, wohin er sie schaffen könnte.
Natürlich war Rika schon oft bei Ben, natürlich waren sie in ihren Augen befreundet, doch konnte sie einfach nicht verdrängen, dass Ben ein Straftäter war. Das er bereits eine ganze Familie ermordet hatte. Alle bis auf einen Jungen, dem er schlimmeres antat als ihn nur zu töten.
Shanks hatte Rika schon oft vor Ben gewarnt. Generell vor all den Männern dort draußen. In den Augen ihres Vaters waren alle Menschen Raubtiere und Rika ein Schäfchen, das nur darauf wartete gerissen zu werden.
,,Fass mich nicht an! Ich geh nach hause und wage es dich ja nicht mir zu folgen, sonst rufe ich die Polizei!", schrie sie Ben an, drehte sich um und rannte aus dem Wachhaus raus.
Obwohl sie befreundet waren, waren sie bisher nie wirklich allein gewesen. Shanks war noch immer da. Immer nur einen Anruf entfernt. Doch in Rikas Augen hatte dieser sie verlassen, sie mit einer Bestie zurückgelassen.
Rika rannte los, achtete nicht darauf, ob Ben tatsächlich dort blieb oder ob er ihr bereits auf den Fersen war. Sie war kopflos, die Angst und all die Dinge, die man ihr eingebläut hatte, verschleierten ihre Gedanken, nährten ihre kopflose Panik.
Ihr Flucht war jedoch nicht von Dauer. Sie konnte nur wenige Meter vom Gebäude entfernt sein, als sie in jemanden hineinrannte, der sich ihr plötzlich in den Weg gestellt hatte und sie, trotz heftigem Wehren von der Straße rein in die Dunkelheit zog, die die beiden Gestallten in dieser Nacht spurlos verschluckte.

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