23-/Mehr, als jeder andere

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Touya PoV.

Seit einer gefühlten Ewigkeit starre ich nun schon auf diese Briefe, meine Hände zittern, meine Lippen beben und meine Brust schmerzt ununterbrochen.

Ich will nicht nachzählen, aber das ist eine große Menge Umschläge, welche ich grade in den Händen halte...
Irgendwie will ich sie aufmachen, sie lesen und endlich erfahren, wie es ihm die letzten Jahre in dieser bescheuerten Stadt ergangen ist.

Ōsaka ist so ein verdammtes drecksloch...

Ich habe keine ahnung was in diesen Briefen steht, allein Tenkos Narben aber- sein Verhalten und dieses ungewohnte, blasse funkeln in seinen Augen, geben mir sehr gut zu verstehen, dass er dort sicher keinen Spaß hatte...

Aber warum denke ich aufeinmal so?

Vor wenigen Stunden- ja die ganzen letzten Jahre war ich so enttäuscht von ihm, da ich dachte, er hätte mich im Stich gelassen... Ich war manchmal so sauer auf ihn, dass ich mir gewünschte hatte, ich müsse ihn nie wieder sehen.

Nur... Hat er sein versprechen nicht gebrochen.

Ehe ich weiter über Tenko Nachdenken kann, fällt mir endlich auf, in wessen Karton diese Briefe lagen.
In dem meines Vaters.

Die letzten Jahre waren für mich und meinen ehemaligen, besten Freund die Hölle auf Erden, wir dachten wir hätten uns gegenseitig im Stich gelassen und wären es einfach nicht Wert gewesen... Dabei war es immer bloß mein Vater, der meine Briefe aus dem Briefkasten geholt und vor mir geheimgehalten hat?

Das schlimmste ist aber, dass er auch am Ende nicht den Mut hatte, es mir ins Gesicht zu sagen.
Hat er eigentlich eine ahnung, was er uns angetan hat?

Versteht er wie einsam ich die letzten Jahre war, da ich Angst hatte mich irgendjemandem zu öffnen?

Ich dachte vielleicht würde es genauso laufen wie mit Tenko- ich würde irgendwann wieder vergessen- und zurückgelassen werden...

Er hat ja keine ahnung.

...

Er hat wirklich keine ahnung.

Wahrscheinlich hat er es mir nicht gesagt, weil er es über den ganzen Alkohol einfach vergessen hat.

Aber was hat er sich dabei gedacht?

Garnichts, er hat nur gehandelt, nichts weiter.

Natürlich ändern diese sachen aber nichts- rein garnichts, sie machen es eher noch schlimmer, als es sowieso schon war.
Ob Tenko mir das wohl glauben wird?
Ich habe ihm bei unserem Gespräch diese schrecklichen dinge vorgeworfen, ich habe ihn dazu gebracht, laut zu werden und mich beinahe anzuschreien...
Er hat sich geschämt und musste sich von mir anhören, dass er mich im Stich gelassen hätte...

Ich fühle mich schrecklich.

Vor allem aber, kann ich nicht sagen, ob die ganze sache jetzt meine Schuld ist, oder nicht.

Habe ich es überhaupt verdient diese Briefe zu öffnen?

Habe ich das Recht dazu?

...

Auch das weis ich nicht mit Sicherheit, was ich dafür aber ganz genau weiss, ist, dass ich es Tenko schuldig bin.
Ebenso wie eine Entschuldigung, auch falls er diese garnicht will- wenn er nichts mehr mit mir zutun haben will, er verdient diese entschuldigung mehr als jeder andere.

Mit dieser Erkenntnis, Räume ich alles außer die Briefe in den Karton und mache mich auf den Weg nach oben.

Dort treffe ich zum Glück nicht auf meine Mutter- stelle die sachen also einfach im Flur ab, drücke mir mit aller Kraft den Stapel Briefe an die Brust und sprinte förmlich in mein Zimmer.

Ich kann bloß erahnen was für dinge Tenko mir geschrieben hat, schließe aber trotzdem meine Tür ab und steuere mein Bett an, auf welchem ich es mir gemütlich mache und die Umschläge vor mich fallen lassen.
Ich kann einfach nicht glauben, dass sie all die Jahre hier waren.

Ich öffne mit bebenden Lippen den Umschlag- der erste Brief der nicht mehr beantwortet wurde, ist vom 26.07.2016, also grade mal etwas über Ein Jahr, nachdem Tenko Umgezogen ist...

Die Briefe werden von Woche zu Woche bitterer und lesbar verzweifelter-
Von dem neue Schüler, der sofort angefangen hat, ihn zu Ärgern und zu beleidigen, bis hin zu der Frage, was er falsch gemacht hätte.

Es täte ihm leid, was auch immer er getan hätte.
denke ich überhaupt noch an ihn?

Erzähle er zu langweilige dinge?

Vermisse ich ihn überhaupt?

Manche Sätze oder Worte, sind sogar durchgestrichen, auch gelogen hat er nicht- in jedem Brief bittet er mich zu antworten, in jedem hofft er, dass es mir gut geht...
Außerdem schreibt er jedes verdammte mal, dass er mich vermissen würde...

In einem hätte er mir sogar fast gestanden, dass er sich selbst verletzt, oder wie er es formuliert hat- er etwas gefunden hätte, mit dem er sich besser fühle, da er die letzten Wochen so niedergeschlagen wäre...

Untertreibung.

Besser gepasst hätte Enttäuscht, verzweifelt, hoffnungslos und frustriert.

Ich habe während des Lesens dieser Briefe, irgendwann angefangen zu weinen- meine Lippen beben, während die Tränen mir schon vom Kinn auf den Schoß Tropfen.

Während ich den letzten, nun geöffneten Brief, auf die anderen fallen lasse und mir schluchzend die Haare raufe, weiss ich einfach nicht, was ich jetzt machen soll.

Mein Kopf ist vollgstopft mit allen möglichen Gedanken - an meinen Vater, also das, was er getan hat - und natürlich Tenko, alles von Tenko....

...

Es gibt da schon noch eine Sache, die uns beide Verbindet- diese liegt seit Jahren bei ihm im Garten vergraben...

Egal was ich nun vorhabe, es sollte ansatzweise schnell gehen-
Tenko geht es sicher garnicht gut.

Everything stays --Shigadabi ff--Onde histórias criam vida. Descubra agora