- Kapitel 17 -

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Ich helfe ihm beim Einsammeln der Skizzen. Die Staffeleien tragen wir zur Seite, damit morgen früh die Putzfrau leichter den Boden wischen kann. Jedes Mal, wenn ich eine Staffelei nur anhebe, nimmt er sie mir direkt aus der Hand und trägt sie weg. „Du bist ja nicht zum Schleppen hier", sagt er andauernd, so dass ich es nach der 3. Staffelei aufgebe. Woraufhin ich dann anfange, die Stühle wegzuschieben. Zu meiner Erleichterung hat er nichts dagegen. Ich hasse es, wenn Leute sich nicht helfen lassen und man einfach nur rumsteht. Man fühlt sich wie fehl am Platz.

„Hast du heute noch was vor?", kommt es plötzlich aus seiner Richtung. Ich schaue auf die Uhr, es war schon nach 20 Uhr, also schüttele ich den Kopf. „Wieso, was hast du denn noch so vor?", frage ich interessiert. „Wir haben das Atelier umgestellt und die Bilder erneuert. Ich möchte dir das zeigen, wenn du Lust hast." Logan mustert mich, sein Blick wandert leicht auf mein Dekolleté, was mir natürlich nicht entgeht. Ich lächele ihn an und antworte: „Gerne, ich würde mich darüber sehr freuen."

Er begleitet mich aus dem Raum und schaltet die Lichter aus. Der Flur zu den anderen Räumlichkeiten ist nur noch an wenigen Stellen beleuchtet und unten angekommen, sitzt lediglich noch der Sicherheitsmann da. „Hi Mike, machst du mir bitte die Tür zum Atelier auf?", fragt Logan ihn freundlich. Er drückt ihm einfach den Schlüssel in die Hand und wünscht uns einen schönen Abend. Das Atelier und die Academy sind durch eine Tür verbunden, womit man sich den langen Weg von außen spart.

Logan lässt die Hauptlichter aus und macht nur die Highlights über den Bildern an. Das heißt im Raum ist es dunkel, dennoch werden die Werke an der Wand beleuchtet. Es gibt den Kunstwerken eine ganz neue Perspektive, da man von nichts Anderes abgelenkt wird. Man sieht dennoch genug, um sich zurechtzufinden. Er geht vor und nimmt mir meine Sachen ab. Ich schlendere durch den Raum und werfe einen Blick auf die neuen Bilder. Währenddessen verschwindet Logan kurz in die Küche. Ich hole mein Handy aus der Jackentasche und rufe kurz Aiden an. „Hey, ich wollte mich nur kurz melden und fragen was du so machst?", erkundige ich mich. Er ist mit Michigan in einem Pub, weshalb er mich nicht richtig hört. Also machen wir aus, dass wir uns einfach später sprechen. Soll mir recht sein.

Nach einer Weile kommt Logan mit einem Wäschekorb zurück. Was hat er denn alles besorgt? Er stellt den Korb ab und verschwindet wieder nach hinten. Meine Neugierde führt mich dazu zum Korb zu laufen und rein zu schauen. Als ich Schritte höre, mache ich einen großen Schritt nach hinten und tue so als würde ich immer noch die Bilder betrachten. Er kommt mit einer riesigen Decke zurück und platziert sie in der Mitte des Raumes. Daraufhin macht er ein paar Teelichter an und verteilt sie um die Decke herum. „Verrate es aber Emma nicht, Kerzen sind hier nämlich strengstens verboten", teilt er mir grinsend mit. Ich lächele, so einer ist er also. Er kommt einem immer so konsequent vor. Ich laufe zu ihm und geselle mich ebenfalls auf die Decke. Aus dem Korb holt er Sekt und Gläser raus. „Du weißt, dass ich erst 18 bin und willst mir dennoch Sekt anbieten?", sage ich lachend. Er zwinkert mir zu: „Ich sag's auch keinem." Anschließend holt er eine Box aus dem Korb, diese ist mit Trauben, Crackern und Käse gefüllt. Gott sei Dank! Ich war schon am Verhungern. „Hier bedien' dich", und hält mir die Box unter die Nase. Ich greife zu und schließe beim Kauen die Augen. Das tut gut. „Ich glaub, da ist jemand hungrig", neckt mich Logan. Ich antworte mit vollem Mund: „Und wie!" Er lacht und weist mich auf die Musikbox hin und bittet mich meine Musik abzuspielen, weil er neugierig ist, welche Musikrichtung ich höre. Ich verbinde mein Spotify und spiele eine Playlist ab.

Sofort erklingt ein Song von One Republic – Stop and stare.

„Ich liebe diesen Song!", teilt er mir mit und ich stimme ihm zu, weil ich den Song auch sehr gerne höre

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„Ich liebe diesen Song!", teilt er mir mit und ich stimme ihm zu, weil ich den Song auch sehr gerne höre. Wenig später erzählt er mir von dem Künstler der jetzigen Ausstellung und dass die Kunst ihn aus seiner Drogensucht geholfen hat. Ich höre Logan gerne zu, weil seine Stimme so angenehm ist. Ich hätte mir niemals gedacht, dass ich eines Tages mit ihm hier auf dem Boden sitzen und Bilder betrachten würde. Ich freue mich darüber, da ich Logan jetzt von einer anderen Seite kennenlerne, als wenn er im Hörsaal vor mir steht. So ernst und diszipliniert. Heute erlebe ich ihn lustig und offen. Ich mag diese Seite an ihm. Er beobachtet mich und ich ihn ebenfalls. Obwohl die Musik läuft, entsteht Stille zwischen uns. Wir reden nicht, wir mustern uns nur. Schließlich unterbricht er diese Stille: „In zwei Wochen kommt Mr. Porter wieder zurück und ich werde dich nicht mehr unterrichten", teilt er mir mit und studiert dabei immer noch mein Gesicht.

„Das ist aber Schade, ich finde den Unterricht, mit dir sehr angenehm und vielseitig. Hat sehr viel Spaß gemacht. Wir werden dich vermissen." Er erwidert: „Naja ich bleibe ja dennoch an der Uni, ich unterrichte euch einfach nur nicht mehr." Die Erleichterung sieht man mir an. Logan ist echt ein interessanter Professor und er versteht sein Metier. Ich seufze: „Also kommt der alte Porter wieder? Und ich habe mich schon gefreut, dass ich ihn nie kennengelernt habe und dieses Jahr auf ihn verzichten durfte." Er grinst und gibt mir einen leichten Stoß. „Wir sehen uns dann bestimmt auf dem Campus mal oder auch hier, wenn du dann dein Praktikum beginnst." Stimmt, da war ja was. Wir reden über das Studium und darüber weshalb ich mich für dieses Studium entschieden habe, statt des Psychologiestudiums. Er ist ein guter Zuhörer und obwohl ich ein eher zurückhaltender Mensch bin, habe ich kein Problem mit ihm über alles zu reden.

Nach einer Stunde fällt mir auf, dass ich die komplette Box mit den Snacks verschlungen habe. Logan fragt mich, ob ich noch etwas möchte oder brauche. „Nein Danke, ich bin versorgt", erwidere ich. Er erzählt mir von seiner Kindheit und wie er aufgewachsen ist. Dass er schon immer in Portland gewohnt hat und eigentlich nie hierbleiben wollte. Sein größter Traum ist es, die Welt zu bereisen und die verschiedenen Kunstarten und –Stile zu entdecken. „Ich möchte mal nach Afrika, es hat so viel zu bieten. Mein erstes Reiseziel wird auf jeden Fall Äthiopien sein, da mich die Malerei und die Holzschnitzereien dort so faszinieren." Alles was aus Logans Mund kommt, klingt interessant. Er könnte über das langweiligste Hobby sprechen und man würde es am nächsten Tag ausüben.

Daraufhin fragt er mich über meine Kindheit aus und wie das Verhältnis zu meinen Eltern ist. Ich erzähle davon, dass es mal bessere Tage gab. Die Bindung war bis zu einem gewissen Zeitraum gut und wir waren eine glückliche Familie. Nach dem Tod von Adam, haben alle eine Mauer um sich errichtet, was dazu führte, dass man diese Kälte und Leere im Haus bis heute noch spürt. Meine Eltern vergessen oft, dass nicht nur sie ein Kind verloren haben, sondern wir auch einen Bruder.

Mir fällt beim Erzählen nicht auf, dass ich weine. Aus diesem Grund streicht mir Logan eine Träne aus dem Gesicht. „Es tut mir leid, dass deine Eltern deinen Schmerz nicht sehen", äußert er sich leise. „Oh Gott, mir tut es leid, dass ich vor dir weine. Du hast dir hier so viel Mühe gegeben und ich heule hier rum." Er schüttelt den Kopf und versichert mir, dass alles in Ordnung sei. Ich schaue auf die Uhr und es ist schon nach 22 Uhr. Ich habe die Zeit komplett aus den Augen verloren und total vergessen Trish anzurufen! „Du musst los oder? Lass mich dir hochhelfen." Rasch stehe ich auf, sodass sich mein Kreislauf kurz bei mir verabschiedet, weshalb ich beginne zu schwanken. Logan hält mich lachend fest. „Alles gut?" Ich nicke. Wir machen die Kerzen aus und ich helfe ihm beim Zusammenpacken. Als Alles geordnet im Korb liegt, bringt Logan die Gläser in die Küche, woraufhin ich die Decke zusammenfalte. Im Anschluss kommt er wieder zurück und wir laufen aus dem Atelier raus, Richtung Verbindungstür. Er schaltet die Lichter aus und schließt ab. Während er Mike, dem Sicherheitsmann, die Schlüssel wiederbringt, warte ich am Ausgang. Draußen ist es sehr frisch, weshalb ich sofort meine Jacke zu mache.

Logan ist mittlerweile auch draußen angekommen und begleitet mich, samt Korb, zu meinem Auto. „Es war echt ein schöner Abend, ich hatte sehr viel Spaß", bedanke ich mich. Er lächelt: „Ich auch, vielen Dank, dass du da warst." Ich öffne die Autofahrertür und Logan verabschiedet sich bei mir: „Fahr vorsichtig Rachel." Ich antworte direkt: „Du auch, bis morgen Logan."

Schon sitze ich im Auto auf dem Weg nach Hause. Es war schön heute. Ich habe schon lange nicht so einen Deeptalk gehabt und konnte mir echt alles von der Seele reden, obwohl Logan mein Professor ist. Was ziemlich komisch ist, ob sowas normal ist? Dennoch haben wir echt viele Gemeinsamkeiten und obwohl ich traurig bin, dass er mich bald nicht mehr unterrichten wird – freue mich umso mehr, dass ich ihn trotzdem weiterhin im Atelier sehen werde.

Picasso am MorgenWhere stories live. Discover now