Die Bürde Der Schwingen

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Der Wind bließ mir toßend ins Gesicht als ich in den tiefen Abgrund, bestehend aus maßivem Fels, schaute.

Das erste Mal ist immer das schwierigste, aber auch das befreiendste.

In meinem Kopf hörte ich meinen Trainer Ric, der mir das immer wieder gesagt hatte. Er ist der Beste bei uns im Stamm und von ihm hatte ich alles gelernt. Es war mir eine Ehre von ihm unterrichtet und auf diesen Moment vorbereitet zu werden.
Allerdings hatte ich trotzdem etwas Angst, denn bei der Zeremonie gab es immer eine Verlustrate von ca 35% die es nicht schafften.
Ich schloß die Augen, spürte die Wärme Sonne auf meinem Gesicht und sammelte all meine Energie.
Sobald ich mich bereit dazu fühlte stieß ich mich mit aller Kraft vom Boden hoch in die Luft ab.

Nun kam der schwierigste Teil.
Ich musste mich in kürzester Zeit darauf konzentrieren meine Flügel aus meinem Rücken zu strecken.
Der Boden kam immer schneller auf mich zu und Immernoch hatten sich meine Flügel nicht gestreckt.
Ich musste all meine Konzentration aufwenden um den lauten Wind in meinen Ohren und den Gedanken auf dem Boden aufzuschlagen, ausblenden zu können.
Es waren nur noch 80 Meter.
60...
40...
Eine Träne Stahl sich in meinen Augenwinkel und ich ließ einen markerschütternden Schrei los.
Mit einem letzten verzweifelten Gedanken an meine Schwingen, versuchte ich sie aus meinem Rücken zu strecken...
Kurz bevor ich auf dem Boden aufschlug bemerkte ich einen Windzug, der mich nach oben trug.
Ich öffnete meine Augen und konnte es kaum glauben.
Ich schwebte nun fast lautlos knapp über dem Meerwasser.
«Oh mein Gott» konnte ich nur hauchen.
«Ich wusste, dass du es schaffst.»
Selbstgefällig tauchte Ric neben mir in der Luft auf.
«I-ich... Weiß gar nicht was ich sagen soll... Du hattest Recht. Es ist ein unglaublich befreiendes Gefühl.»
Er lachte nur.
Glücklich gleitete ich weiter mit ihm übers Meer.
«Na los. Lass uns nach Hause fliegen. Du musst dich ausruhen für morgen, denn dann fängt das Training erst richtig an.»
Doch ich dachte nicht daran.
Ich stieß mich mit meinen Schwingen nach oben in den Himmel.
Ich wollte immer höher, immer schneller fliegen. Die gewaltigen Schwingen waren zwar eine echte Belastung für meinen untrainierten Rücken, der sowas noch gar nicht gewohnt war. Aber Adrenalin pumpte durch meine Adern und so flog ich so hoch, dass ich dachte ich könnte nach den einzelnen Sternen greifen, die sich schon während dem Sonnenuntergang zeigen.
Ab da ließ ich mich fallen.
Ich drehte mich und genoß den freien Fall. Ich verließ mich voll auf meine Flügel, die sich bereits instinktiv an meinen Körper schmiegen für den Sturzflug.
Ein glückliches Lachen entschlüpfte meiner Kehle.
Das Wasser war bereits wieder in beinahe greifbarer Nähe und ich öffnete meine Schwingen.
Ufassbarer Schmerz schoss meinen Rücken entlang den ich bis in die Fingerspitzen spüren konnte. Ich schrie auf.
Der Druck war viel zu hoch für meinen Rücken.
Mit größter Mühe glitt ich noch den Rest bis zur Insel übers Wasser und ließ mich dann völlig erschöpft in den Sand fallen.
«Aria!» Mein Vater, der Stammesführer rief nach mir und auch andere taten es.
Ich war allerdings viel zu erschöpft um die Stimmen unterscheiden zu können. Viele riefen von der Klippe aus, da sie nicht fliegen konnten. Das Gen vererbt sich nicht in jeder Generation.
Ich rollte mich im Sand herum und sah sie.
Mir entfuhr ein Schluchzen.
«Shit.»
Angst erfüllt krabbelte ich auf wackeligen Beinen zu ihr.
Ihr Körper war völlig zerschlagen auf dem Boden. Arme und Beine waren in unnatürlichen Winkeln komplett verdreht und unter ihrem Körper bildete sich bereits eine riesige Blutlache. Ihre Schwingen, die sich offensichtlich einen Moment zu spät gestreckt haben, sind von Blut überzogen und teilweise sogar abgetrennt vom Körper.
Die Leiche war etwa 2 Meter von mir entfernt.
Ich kannte sie nicht sehr gut, aber ich war am Boden zerstört sie so zu sehen. Ihr Name war Zara.
Jetzt verstand ich auch die ganze Aufregung und die Rufe die von der Klippe aus kamen.
Mein Vater landete neben mir.
«Dad, ich... ich hab sie nicht gesehen.», weinte ich in seine Schulter.
Er hielt mich einfach nur.
«Ich weiß... Solche Dinge passieren nun mal... Manche sind nicht bereit für die Bürde der Schwingen.»
«Wo sind ihre Eltern?» fragte ich ihn.
«Sie stehen oben. Sie können nicht hier runter.»
Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und holte einmal tief Luft.
Wir durften sie nicht nach oben bringen zu ihren Eltern, damit sie sich verabschieden können. Das ist Tradition. Ihr Körper bleibt hier zum Verwesen, genau wie die zahllosen anderen vor ihr.
Ich rappelte mich wieder auf, um so schnell wie möglich diesen Ort verlassen zu können. Gerade als ich meine Schwingen ausbreitete, durchfuhr mich ein unfassbare Stechen ausgehend von meinem Rücken bis hin zu meinen Flügelspitzen. Ich stöhnte auf.
«Aria... Du kannst nicht fliegen.» meinte mein Vater. Ich weiß er will mich damit nicht demotivieren, sondern sprach einfach nur das Offensichtliche aus. Ich wollte aber unbedingt von diesem Ort weg. Nicht zurück ins Dorf und auch nicht zu Zara's Eltern, die immer noch an der Klippe standen.
Nein ich wollte erstmal für mich sein.
Also brachte ich so viel Kraft auf wie nötig, bis ich schaffte wieder über das Wasser zu gleiten.
Meine Schmerzen schrie ich in dem Wind hinaus.
«Aria!» hörte ich meinen Vater rufen. Er wäre mir mit Sicherheit gefolgt, aber wie es schien hat ihn Ric aufgehalten. Dafür war ich ihm sehr dankbar.

Nach einiger Zeit erreichte ich einen kleinen Felsen von dem aus ich die Insel ganz entfernt am Horizont zwar noch ausmachen konnte, das störte mich aber nicht.
Ich ließ mich völlig erschöpft auf dem von der restlichen Sonne des Tages gewärmten Stein fallen und versuchte meine Gedanken frei von Tod, Leichen usw. zu halten.
Der warme Wind strich lau über mein Gesicht, meinen Körper, ich spürte ihn sogar an meinen Flügelspitzen.
Ich ließ meine Gedanken schweifen... Der Tag heute war zugleich mein schönster und schlimmster Tag in meinen ganzen Leben. Es war ein unfassbare Gefühl mit dem zusätzlichem Gewicht auf meinem Rücken. Meine Flügel waren größer als ich erwartet hätte, aber bei weitem nicht so groß wie die von meinem Vater. Trotz dem Training, welches alle von uns absolviert hatten, ist mein Rücken von diesem Tag sehr lädiert. Bevor ich wieder zurückfliegen konnte, musste ich eine Weile Pause machen. Also legte ich mich auf den warmen Stein und schlief innerhalb von Minuten ein.

One Shots / Imagines Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon