Eine Aufschlussreiche Begegnung

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Ich raste auf meinem Motorrad durch das abendliche London, immernoch mit den Gedanken bei meiner besten Freundin, bei der ich eben noch war. Wir hatten mal wieder viel Spaß zusammen und konnten kaum aufhören mit reden, aber ich entschied mich dann doch loszugehen, da ich morgen wieder Arbeiten gehen musste. Da es noch nicht allzu spät war, entschied ich mich doch noch dazu ein wenig in den Hyde Park zu gehen um etwas zu zeichnen. Meinen Skizzenblock hatte ich natürlich immer dabei, er war das heiligste Ding in meinem Leben.
Also parkte ich schnell meine Harley am Rand des Parks und... Nein Spaß, ich hab doch niemals genug Geld für eine Harley Davidson.
Auf jeden Fall machte ich mich dann auf die Suche nach einer leeren Bank und stürzte mich mit meinem Bleistift auf das Papier. Ich wusste vorher nie was ich zeichnen würde, es war immer eine Überraschung was raus kam - selbst für mich.
Nach etwa einer halben Stunde nahm die grobe Skizze so langsam Gestalt an. Ich stoppte meinen Stift und überlegte, nachdem ich mir sicher war in welche Richtung es gehen würde, wie genau ich nun weiter machen würde. Dann hatte ich eine Idee und fing wieder an.
Nach einer Weile war ich einigermaßen zufrieden mit meinem Werk, konnte es mir dennoch nicht verkneifen einige Stellen nochmals zu zeichnen.
«Keine Sorge, es sieht gut aus.»
Ich erschrak höllisch als aus dem Nichts eine tiefe Stimme, direkt neben mir, erklang. Jetzt erst bemerkte ich, dass ein Mann neben mir auf der Bank saß und meine Zeichnung anstarrte.
«Ähm, Danke.», sagte ich schnell. Wie lange saß er schon da? Ich musterte ihn und bemerkte, dass ich ihn irgendwoher kannte, aber mir wollte noch nicht einfallen woher.
«Verzeihen Sie die Frage, aber dürfte ich mir noch weitere ihrer Kunststücke ansehen?», fragte er. Ich brachte ein stotterndes «Klar.» und reichte ihm mein Skizzenbuch. Ich war überrascht, dass er sich so förmlich ausdrückte und offensichtlich ein Gentlemen war, noch überraschender war es allerdings, dass ich ihm (einem Fremden!) einfach so mein Buch gab. «Wie heißen Sie eigentlich?»
«Rencie... Naja, eigentlich Florence. Und Sie?», antwortete ich.
«Mein Name ist Joseph.»
«Ahh, dann sind Sie wahrscheinlich Joseph Morgan? Ich hab Sie irgendwie nicht erkannt. Sorry.» Ich fühl mich schrecklich dumm, dass ich ihn nicht schon früher erkannt habe.
«Haha, das ist schon okay. Es ist immer erfrischend einfach ein Gespräch anfangen zu können, ohne dass direkt die Leute nach einem Selfie fragen.» Er betrachtete Immernoch meine Zeichnungen. «Sind die alle von Ihnen?»
«Ja, also ich weiß manche sind nur grob und teilweise komisch, aber...»
- «Nein, nein, Ich finde sie sehr schön und auch sehr aussagekräftig und ästhetisch. Besonders diese hier.» Er deutete auf die Zeichnung, die ich gerade eben angefertigt habe.
Sie stellte ein junges Mädchen im close-up dar. Sie zog gerade ihre Maske aus die aussah wie ihr Gesicht, das konstant lächelte. Ihr echtes Gesicht, das grade zum Vorschein kam, allerdings hatte einige Risse und Makel usw.
«Vielen Dank.» antwortete ich. «Was haben Sie sich dabei gedacht?» fragte er mich.
«Nun, ehrlich gesagt denke ich nicht groß darüber nach, was ich zeichne. Es kommt einfach so aus mir heraus.»
«Wollen Sie wissen was ich denke?»
Ich war gespannt wie er mein Bild interpretieren wird, also nickte ich.
«Ich denke, Sie zeichnen immer genau das was Ihnen als erstes in den Sinn kommt und das machen Sie unterbewusst.»
Na, toll. Das war's? Das wusste ich schon.
Aber er war noch nicht fertig.
Er starrte meine Zeichnung weiterhin nachdenklich an und redete weiter.
«Das bedeutet es fließen immer ihre gegenwärtigen Gedanken, Wünsche, Gefühle in die Zeichnung mit rein. In dieser Zeichnung hier erkenne ich den Gedanken, dass Sie glauben Sie müssten Ihr wahres Ich verstecken, weil Sie es vielleicht als nicht schön oder so empfinden. Ich erkenne das Gefühl von Einsamkeit, weil Sie niemanden zu sich durchdringen lassen und deswegen auch Trauer, aber vor allem erkenne ich Angst und Wut. Die Angst davor wie Ihre Mitmenschen reagieren würden wenn sie Sie sehen würden. Angst davor der Welt zu offenbaren wer Sie sind. Sie selbst wissen nicht woher diese Angst rührt, aber sie ist da, immer. In jedem Augenblick, jeden Tag, bei jeder Begegnung. Das ist auch der Grund warum Sie wütend auf sich selbst sind. Sie wissen nicht warum Sie nicht den Mut haben sich zu zeigen und das frustriert Sie. Wegen all dieser Gefühle entsteht auch der Schmerz, der ihr wahres Ich von innen heraus quasi zerfrisst, und die Verzweiflung, weil Sie nicht wissen wie Sie den Schmerz stoppen können.
Sie wünschen sich, dass der Schmerz endlich aufhört und dass Sie den Mut finden sich zu offenbaren. Dieser Wunsch ist immernoch da, und daher gibt es Hoffnung, die sich vielleicht auch in Form von einer Person äußert und diese hält Sie davon ab sich selbst ganz zu verlieren und die Maske nie wieder abzusetzen.»
Ich war sprachlos. Anders konnte man es nicht sagen.
Alles was er gesagt hat, ist wahr.
Nur war mir das nicht wirklich bewusst. Er zeigte mir das alles auf, ohne dass er mich kannte. Joseph hat das alles nur aus meiner Skizze herausgelesen.
Ich brachte kein Wort heraus. Saß nur da, während die Tränen lautlos über meine Wangen rollten und ich meine Zeichnung betrachtete.
«Entschuldigen Sie bitte, ich...» - «Bitte nennen Sie mich Florence.» fiel ich ihm ins Wort. Ich fand es nur passend ihm, nachdem er mir meine Seele offenbart hat, auch das Du anzubieten.
«Okay, Florence. Ich wollte dich nicht zum weinen bringen, wirklich nicht. Kann ich irgendwie helfen?»
Ich schüttelte den Kopf.
Dann spürte ich, wie er seine Hand auf meine Schulter legte und er sagte: «Es tut mir leid.»
Wir schwiegen eine Weile, während er immer noch versuchte mich irgendwie lautlos zu trösten indem er weiterhin meine Schulter streichelte.
Wenn ich ehrlich bin gefiel es mir sogar ein wenig, aber dieses Gefühl war sehr unterschwellig im Gegensatz zu dem Tornado an allen möglichen Gefühlen, den Joseph ausgelöst hatte. Von Schmerz über Wut und Trauer war auch Hoffnung dabei... Wie er gesagt hat.
«Woher wusstest du das alles?» fragte ich ihn.
«Ich war selbst so, als ich jung war. Aber ich fürchte man muss durch diese dunkle Phase des Lebens allein durchkommen.»
Er stand auf und lief den Kiesweg entlang zum Ausgang des Parks. Und ließ mich damit allein mit meinen Gefühlen auf der Bank sitzen, immer noch komplett sprachlos nach dieser Begegnung.

Nach einiger Zeit und einigen Tränen, sah ich auf und nahm mein Helm von der Bank. Ich hatte meine Gedanken für den Moment einigermaßen sortiert und nun war es Zeit nach Hause zu gehen.
Da bemerkte ich einen kleinen weißen Zettel, der auf der Bank lag.

«Man muss zwar schlussendlich diese Phase allein meistern, das heißt aber
nicht, dass man sich keine Hilfe holen darf. ;)»

... stand drauf. Darunter war eine Telefonnummer notiert.
Warme, hoffnungsvolle Dankbarkeit durchfuhr mich und wuchs immer mehr, zusammen mit einem Gefühl der Zweisamkeit in mir.
Ich lächelte und wischte meine Tränen weg.
«Danke.»

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