Kapitel 9

133 11 7
                                    

Meine Kehle fühlt sich an wie als hätte man sie mit Sand eingerieben und kaum schaffe ich es zu schlucken. Langsam öffne ich meine Augen und mir entfährt ein heiseres Husten. Falsy ist schon wach, sie starrt mich nur an, ohne etwas zu sagen. Ich merke, dass es heute noch heißer wird als gestern , denn jetzt sind es bereits mindestens 45 Grad, so war es gestern gegen Mittag. Falsys Augen sind starr auf meine Beine gerichtet, sie bewegt sich nicht. Wäre da nicht ihr Oberkörper, der sich langsam hebt und senkt, könnte man denken sie wäre tot, doch das selbe kann man wohl auch über mich sagen. Mein Kopf dröhnt und schmerzt und ich habe keinen Hunger. Falsy scheint es ähnlich zu gehen. Irgendwann fragt sie mich, was wir tun sollen und ich antworte ihr, dass ich es nicht wüsste. Ab einem gewissen Zeitpunkt gehen wir beide, ohne es auszusprechen, davon aus, dass es vorbei sei. Während ich an einem Kräcker nage, allein das hat mich viel Überwindung gekostet, schaue ich in den Himmel und forme kaum erkennbar die Worte: „Katniss, bitte.", doch sie hört mich nicht, denn nur ich höre meine Stimme, in meinem Kopf, und wahrscheinlich versteht sie mich auch nicht. „Denkst du sie werden ins Wasser schicken?", frage ich Falsy nach einer Weile. Als Antwort schüttelt sie nur den Kopf, doch schließlich weiß sie nicht, wie gut meine Sponsoren sind und wie viele ich habe oder zu mindest haben muss. Den gesamten Vormittag verbringen wir auf dem Baum, doch dann merke ich, wie ich verdurste. Bis jetzt war es mehr, wie ein Gefühl der Schwäche und wie hohes Fieber und natürlich starker Durst, doch nun wird das unangenehme Gefühl zu einer Qual. „Ich brauche Wasser.", sage ich heiser. Meine Stimme klingt anders als sonst, ganz anders. „Es ist Mittag Wisdom.", antwortet Falsy nur, das ist Erklärung genug, doch ich gebe nicht nach. „Wir verdursten.", krächze ich. „Ich werde gehen." Falsy sieht nicht so aus, als würde es sie sonderlich kümmern, denn sie zuckt nur mit den Achseln. „Dann tu das Wisdom. Aber wenn du da draußen liegst und stirbst werde ich kein zweites Mal da sein, um dir das Leben zu retten." Kurz überlege ich, dann antworte ich: „Das wars dann also." Sie nickt kurz und sagt als Abschied: „Trotzdem danke, für das Essen.", dann nehme ich meinen Rucksack, sage ziemlich stumpf: „Danke für das Wasser.", und klettere von dem hohen Baum, schaffe es jedoch nur gerade so nicht hinunter zufallen. Verabschiedungen mochte ich noch nie, weshalb ich versucht haben sie komplett zu vermeiden. Ich tue so, als würde ich nicht für immer gehen, so, als würden wir uns nicht wahrscheinlich nie wieder sehen.
Als ich den Boden erreiche, fällt es mir schwer stehen zu bleiben, doch ich spreche mir selbst Mut zu, denke an Faith und versuche so auszusehen, als ginge es mir gut, auch wenn das wahrscheinlich sinnlos ist. Während ich durch den Wald taumele und vergeblich nach Wasser suche, steigt die Temperatur weiter, doch anscheinend reichen meine Sponsoren aus um mir zwei Liter Wasser zu schicken, denn plötzlich höre ich hinter mir ein Piepen und sehe einen Fallschirm auf mich zu kommen. An ihm hängt eine silberne Flasche. Gierig drehe ich sie auf und trinke sie zur Hälfte aus. „Danke.", flüstere ich in der Hoffnung, dass Katniss es hören wird.  Das erste mal seid langen kann ich wieder normal schlucken und mir ist kaum noch schwindelig. Da denke ich an Falsy. Sie braucht auch dringend Wasser und, obwohl unser Bündnis aufgelöst ist, bin ich es ihr schuldig und würde ich es nicht tun, wäre ich egoistisch. Deshalb mache ich mich auf den Weg zurück zu dem Baum auf dem wir zusammen übernachtet haben. Ich bin schon fast an ihm angekommen, da bemerke ich etwas. Der Himmel, der eigentlich wolkenlos war, verdunkelt sich und dicke Wolken ziehen auf. Regen. Es wird regnen. Doch irgendetwas kommt mir komisch vor. Wieso sollten sie uns schon jetzt Regen genehmigen. Nur ein Tribut ist an der Hitze gestorben. Doch vielleicht war ihnen die Hitzewelle zu langweilig. Zu langweilig. Und da wird es mir mit einem Mal bewusst. Sie werden uns keinen normalen Regen schicken. Irgendetwas muss anders sein. Leider bemerke ich das erst zu spät, denn da prasselt er auch schon auf mich herab.
Qualen. Das ist das einzige was ich verspüre, als der Regen sich wie Säure in meine Haut brennt und sie verätzt. Glücklicherweise habe ich meine Arme über den Kopf gestreckt, so dass nur sie den Regen abbekommen. Mir entfährt ein gequälter Schrei und ich schaffe es noch gerade so mich unter einen Baum zu drängen, da höre ich sie. Falsy. Sie schreit, sie schreit schrecklich.  „Wisdom!", schreit sie, doch ich kann ihr nicht helfen. „Falsy.", flüstere ich. Meine Stimme zittert und ich kneife meine Augen zusammen, denn ich will die schrecklichen Wunden an meinen Armen nicht sehen. Große Stücke meiner Haut sind weggeätzt und ich kann bis auf meinen Knochen sehen. Der Schmerz den ich verspüre ist noch schlimmer als es aussieht. Es fühlt sich an als würde man meine Haut mit einem brennenden Messer aufschlitzen und dann Säure und Salz in sie streuen. Ich höre Falsy immer noch schreien und doch ertönt kein Kanonenschuss. „Tötet sie doch endlich.", denke ich während mir dicke Tränen die Wange hinunter laufen. Ich sacke an dem Baum, gegen den ich mich lehne, zusammen und sinke auf den Boden. Dort kauere ich mich zusammen und halte mir die Ohren zu, ich möchte ihre Schreie nicht hören, wissend, dass ich ihr nicht helfen kann. Irgendwann hört es auf zu regnen und ich renne los, in die Richtung aus der Falsys Schreie kamen. Auf meine eigenen Wunden achte ich nicht, auch wenn ich vor Schmerz hin und wieder aufstöhne. Schließlich finde ich sie auf einer Waldlichtung.
Falsys Anblick lässt mich erschaudern. Ihre Haut ist rot und an den meisten Stellen weggeätzt wie große Verbrennungen, die dazu noch bluten. Nur an ihren Haaren und ihren Augen erkenne ich, dass sie es ist. Am liebsten würde ich wegrennen, ganz weit weg, weg von diesem Anblick, denn er verstört mich zutiefst. Doch, als ich fast gestorben bin hat sie mich gerettet und nun muss ich mindestens bei ihr sein, wenn sie stirbt. Ich atme tief durch und renne zu ihr. „Töte mich!", schreit sie, als ich sie erreiche. „Töte mich, du bist es mir schuldig!" Tränen steigen mir in die Augen, ich denke nicht, dass ich sie töten kann, nachdem sie mich vor dem Tod bewahrt hat. „Töte mich!", schreit sie erneut. „Bitte!" Ich verstehe, dass sie das will, ich würde sie von den schrecklichen Qualen erlösen. „In Ordnung.", antworte ich also und wische die Tränen weg, die mir über die Wange laufen. „Alles wird gut.", versuche ich sie, und mich ebenfalls, zu beruhigen. „Es tut so weh Wisdom.", flüstert Falsy und ich sehe wie ihr eine Träne über die verätzte Wange läuft. Mit aller Kraft unterdrücke ich einen Schluchzer. „Es lässt gleich nach.", flüstere ich und streichle ihr über die rot blonden Haare. Dann zücke ich mein Messer und halte es über ihre Brust, über ihr Herz. „Alles wird gut.", sage ich als Abschluss, kneife die Augen zusammen und ramme es ihr ins Herz. Sie stöhnt einmal kurz auf, dann ist sie still und ich höre den dumpfen Schlag der Kanone.

Während ich von ihr wegrenne so schnell ich kann, schreie ich, weine ich und leide ich. Ich konnte es nicht ertragen ihre Leiche zu betrachten. Die Wunden schmerzen höllisch, doch die größten Schmerzen verursacht mein Verstand. Sie ist tot. Für immer weg. Ich konnte ihr nicht helfen, musste dabei zusehen, wie sie starb. Die Kanone ertönt zwei weitere Male während ich durch den Wald renne. Immer noch tropft ihr Blut von meinem Messer und ich weiß nicht wo ich es abtrocknen soll, da ich viel zu aufgewühlt bin, um klar denken zu können. Eine Stimme in meinem Kopf sagt immerzu: „Wieso bist du nicht bei ihr geblieben? Ihr hättet euch das Wasser geteilt und Falsy wäre nicht in den Regen gegangen." Die Stimme in meinem Kopf ist wie eine ruhige Folter. Eine Folter, für niemanden sichtbar, außer für mich.
Als ich wieder zu mir komme, finde ich mich zusammengekauert unter einem Baum. Meine verätzten Wunden an den Armen sehen schrecklich aus und ich weiß nicht, wie man sie richtig behandelt. Alles was ich in dem Moment tun kann, ist mein Gesicht in meinen Händen zu vergraben und zu weinen. Ich habe Falsy nicht gut gekannt, habe sie nicht lange gekannt. Aber doch habe ich sie gekannt und doch habe ich sie getötet, wie den Jungen aus 4, dessen Name ich nicht einmal kenne. „Ich bin ein Monster.", denke ich. Doch dann fällt mir wieder ein wer das wahre Monster ist. Nicht ich, auch nicht die Karrieros, nur unser Präsident Coriolanus Snow. Kurz spiele ich mit dem Gedanken einfach aufzuhören zu kämpfen. Ein stiller Protest, nur für mich. Doch auch das erscheint mir falsch.
Wenn mich jetzt ein Tribut finden würde, wäre ich wahrscheinlich trotzdem tot. Ich bin zwar nicht mehr dehydriert, doch allein der fehlende Willen wäre womöglich mein Tod. Davon abgesehen habe ich das Gefühl meine Arme nicht heben zu können, der Schmerz ist zu stark.
Wie am Anfang der Spiele ziehe ich mich in einen Busch zurück in dem ich meine Gedanken ordnen kann. Falsy ist tot, ich kann nichts mehr daran ändern. „Du musst damit abschließen.", befehle ich mir selbst, doch das ist einfacher gesagt als getan. Immer wieder sehe ich ihr verätztes Gesicht, verzerrt von Schmerz und Angst. Ich sehe ihre großen, braunen Augen, wie sie mich bedauernd ansieht.
Um mich abzulenken widme ich mich schließlich doch meinen Wunden. Meine beiden Arme sind verletzt, doch den rechten hat es diesmal deutlich schlimmer erwischt. Der Rest meines Körpers ist größtenteils verschont geblieben. Ich tropfe etwas Wasser auf die Wunden, es kühlt sie, doch der Schmerz bleibt. Dann verbinde ich die Wunden mit dem Verband den ich habe und krame meinen Schlafsack hervor. Um mich in ihn zu legen ist es viel zu warm, deshalb lege ich mich auf ihn. Hunger habe ich keinen, oder zumindest keinen Appetit. Lieber liege ich nur da und starre die Blätter des Buschs an. Sie sind verwelkt, doch der Säureregen hat ihnen scheinbar nichts angetan. Zu meiner Erleichterung merke ich, dass die Temperatur langsam fällt. Irgendwann geht die Sonne unter, jetzt sind es nur noch um die 30 Grad. Als die Hymne ertönt, schiebe ich ein paar Zweige zur Seite und sehe das Mädchen aus Distrikt 1 am Himmel, dann den Jungen aus 3 und dann, ich möchte es nicht wahr haben, dann sehe ich Falsy. Die Hymne verstummt wieder und der Himmel verdunkelt sich. Ich zähle die verbleibenden Tribute an meinen Fingern ab. Der Junge aus 1, beide Tribute aus 2, der Junge aus 11, Caleb und ich. Doch da ist noch jemand, jemanden den ich vergessen habe. Kurz überlege ich, dann fällt es mir wieder ein, es ist das junge Mädchen aus Distrikt 7, das, dass so gut mit der Axt umgehen kann. Sie hat sich bis jetzt durchgeschlagen, ungewöhnlich für eine 13-jährige. Wenn weder Caleb noch ich es schaffen zurückzukehren, wünsche ich mir, dass sie es schafft und als jüngste Siegerin in die Geschichte eingeht. Ich denke noch lange über die anderen Tribute nach, über Falsy und ihren Tod, dann falle ich in einen Schlaf voller Albträume

Die Tribute von Panem - Die 76. HungerspieleOnde as histórias ganham vida. Descobre agora