Kapitel 6

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Er guckt mich einen Moment an, als würde er überlegen, dann antwortet er: „Nein." Fast verzweifelt frage ich ihn: „Was? Wieso nicht?" „Ich schließe keine Bündnisse ab. Sie werden sowieso irgendwann aufgelöst werden und dann wahrscheinlich blutig.", erklärt er mir. Ich gebe auf, er wird sich nicht umstimmen lassen. „Verdammt Willow.", flüstere ich. „Sie konnte ja nicht wissen, dass wir uns bald bekämpfen würden.", verteidigt Caleb sie. „Also.", beginne ich. „Was ist deine Stärke? Was hast du ihnen in deiner Einzelstunde gezeigt?" Er lacht und guckt kurz auf den Boden, dann wieder zu mir. „Wie dämlich wäre ich, wenn ich dir das sagen würde?", sagt er, was mich in eine kalte Starre verfallen lässt. Er ist nun also wirklich mein Feind. Ich antworte ihm nicht, gucke nur starr gerade aus. Dann geht er wieder zur Tür, dreht sich vorher jedoch nochmal zu mir um. „Schlaf gut.", sagt er. „Und, keine Sorge, dein kleines Geheimnis ist bei mir sicher." Er schließt die Tür hinter sich und ich bleibe allein zurück. Immerhin wird er es niemandem erzählen, denke ich um mich aufzumuntern, doch es klappt nicht sonderlich gut. Ich lege mich in mein Bett, schließe die Augen und nach ein paar weiteren Stunden schaffe ich es doch noch einzuschlafen.

Am nächsten Morgen, werde ich von Cinna geweckt. Schon im Morgengrauen kommt er zu mir. Zum Anziehen gibt er mir ein einfaches Hemd, das richtige Ankleiden wird erst in den Katakomben unter der Arena stattfinden. Ein Hovercraft kommt, um mich abzuholen. Eine lange Leiter wird ausgefahren, als ich sie berühre hält sie mich fest und ich kann mich nicht bewegen. Sie wird eingefahren und ich werde somit nach oben befördert. Als ich im Hovercraft angekommen bin, möchte ich die Leiter loslassen, doch sie hält mich immer noch fest. Eine Frau mit weißem Kittel kommt auf mich zu. In ihrer Arm hält sie eine große Spritze. „Was ist das?", frage ich verängstigt. „Dein Aufspürer.", antwortet sie kühl. Sie setzt ihn an der Unterseite meines rechten Arms ein, und ich spüre einen stechenden Schmerz. Sobald der Aufspürer unter meiner Haut ist, lässt die Leiter mich wieder los. Ich werde in einen Raum mit einem prachtvollen Frühstück gebracht, Cinna ist schon da. Ich versuche so viel zu essen wie ich kann, kriege jedoch nicht mehr als ein Brötchen herunter. Nervös knete ich meine Hände und gucke aus dem Fenster des Hovercrafts. Man sieht die Wolken von Nahem und unter uns liegt das Kapitol, so sieht es viel kleiner aus. Wir fliegen ungefähr eine halbe Stunde, dann verdunkeln sich die Fenster, was wohl heißt, dass wir uns der Arena nähern. Als das Hovercraft landet gehen Cinna und ich wieder zur Leiter, die uns in eine Röhe im Untergrund bringt. Durch diese gehen wir in den Startraum. Mein Herz klopft immer stärker und ich werde immer nervöser. Der Startraum ist sehr neu, er wurde nur für diese Spiele erbaut. Cinna gibt mir meine Anziehsachen für die Arena und hilft mir mich umzuziehen. Ich bekomme ein dunkelgrünes T-Shirt, eine braune Hose, eine schwarze, wasserfeste Jacke und braune Schuhe mit einer festen Sohle. Cinna flicht meine Haare zu einem einfachen Zopf nach hinten und reicht mir ein Glas Wasser. Ich leere es bis auf den letzten Tropfen, da ich nicht weiß wie lange ich in der Arena ohne Wasser auskommen müssen werde, doch trotzdem habe ich das Gefühl, dass es mir gleich wieder hoch kommt, so starke Angst habe ich. Jetzt müssen wir nur noch darauf warten, dass ich in die Arena gebracht werde. Dann werde ich mich den kleinen, runden, durchsichtigen Aufzug stellen müssen, der mich auf direktem Wege in die Arena befördern wird. Ich laufe nervös umher und obwohl Cinna mir gut zuspricht, höre ich nur ein Rauschen. Dann ist es soweit, eine Frauenstimme ertönt um uns mitzuteilen, dass es Zeit ist in die Arena zu gehen. Ich umarme Cinna und danke ihm für Alles. Er wünscht mir alles Gute, dann gehe ich in den Aufzug, der sich in dem Moment in dem ich ihn betrete schließt und nach oben schießt. Einen Moment bin ich von Dunkelheit umhüllt, dann strömt mir Licht entgegen. Ich bin in der Arena.
60 Sekunden Zeit haben wir um uns umzusehen. Ich sehe die anderen Tribute auf ihren Podesten stehen und den Countdown laufen. Wir befinden uns auf einer saftig grünen Wiese, in der Mitte thront das goldene Füllhorn. Die Wiese ist überseht mit bunten Blumen und es ist angenehm warm. Auf der einen Seite der Wiese ist ein großer Wald mit großen Weiden, auf der anderen ein dunkles Gebirge. Sofort steht für mich fest, dass ich in den Wald rennen werde. Noch 30 Sekunden. Ich sehe in der Nähe meines Podestes einen relativ großen Rucksack liegen und nehme mir vor ihn mir zu beschaffen. Dann gucke ich mich nach Messern um. Desto näher man dem Füllhorn kommt, desto besser werden die Gegenstände. Ich sehe ein kleines Messerset, es liegt nicht allzu nah am Füllhorn. Wenn ich es mir verschaffen kann, wäre es ideal, doch es wäre riskant. Kurz gucke ich zu Caleb, er sieht sich die Waffen am Füllhorn genau an. 5, ich mache mich bereit loszurennen. 4, ein letztes Mal betrachte ich den Weg den ich rennen werde, zum Rucksack, geradewegs aufs Füllhorn zu, in den Wald. 3, ich spüre wie Adrenalin meinen Körper durchflutet. 2, ein letzter, tiefer Atemzug. 1, ich bringe mich in Startposition. 0. Ich sprinte von meinem Startpodest und renne zu dem Rucksack. Schnell erreiche ich ihn und werfe ihn mir über die Schulter. Die Karrieros sind schon fast am Füllhorn angekommen, und ich überlege meinen nächsten Zug, ein Fehler und ich bin womöglich tot. Ich sehe wie einige Tribute auf einander einhacken, es ist ein blutiges Gemetzel. Wie in Trance betrachte ich das Geschehen und werde erst wieder zurück in die Realität geholt, als ein Junge mit zwei großen Messer auf mich zugeraunt kommt. Er wirft sie beide auf einmal, und sie verfehlen mich nur um ein Haar. In dem Moment fällt der Junge vor mir zu Boden, in seinem Rücken steckt ein Sperr. Der Junge aus Distrikt 1, der ihn geworfen hat, dreht sich in dem Moment um, um das Mädchen aus Distrikt 6 zu erstechen, mich beachtet er nicht großartig, mein Plan scheint zu funktionieren, jedenfalls bis jetzt. So schnell ich kann ziehe ich den Sperr heraus und renne davon. Während ich renne kann ich eins der Messer, mit denen ich gerade fast getötet worden wäre aufheben, und erreiche kurz darauf den Wald. Er ist wirklich schön. Das Gras ist ebenso saftig und hell wie auf der großen Wiese und die Weiden bieten Schutz, jedoch renne ich weiter so schnell ich kann. Mit meiner Ausbeute am Füllhorn bin ich mehr als zufrieden. Ein ziemlich großer Rucksack, von dem ich jedoch noch nicht weiß, was er enthält, ein Sperr, mit dem ich dank des Trainings sogar einiger Maßen gut umgehen kann und ein Messer, meine Waffe. Ich renne ungefähr eine Stunde lang talabwärts, dann komme ich an einem kleinen Bach an und entscheide mich dazu eine kleine Pause einzulegen. Ich lasse mich auf einem Felsbrocken nieder und öffne meinen Rucksack. Er enthält eine leere zwei Liter Flasche, einen großen Schlafsack, ein Seil, Handschuhe, eine kleine Packung Streichhölzer und einen Leib Brot. Ich knie mich neben den Bach, er ist sehr klar, und fülle meine Flasche auf. Zu erst tippe ich jedoch mit einem Finger ins Wasser, bei den Spielen kommt es schon mal vor, dass das Wasser verätzt ist, doch es scheint ungefährlich zu sein, also trinke ich meine Flasche zur Hälfte aus, mehr schaffe ich nicht. Ich fülle sie wieder bis zum Rand, dann mache ich mich auf und jogge weiter, ich möchte weit von den anderen Tributen entfernt sein. Während ich weiter durch den Wald jogge komme ich an märchenhaften Lichtungen mit bunten Blumen und kleinen Teichen vorbei. Dieser Teil der Arena erscheint mir wirklich traumhaft schön. Nach einer weiteren halben Stunde höre ich die Kanone, die verkündet wie viele Tribute bereits gestorben sind. Ein Kanonenschuss gleich ein toter Tribut. Eigentlich kommen sie sobald das Herz des Tributs aufgehört hat zu schlagen, aber da es am Füllhorn immer unübersichtlich wird, warten sie bei dem ersten Gemetzel immer bis es vorbei ist. Ich zähle die Kanonenschüsse mit. 11. 11 Tribute sind tot, dass ist fast die Hälfte. Ich frage mich ob Caleb noch lebt, aber bei seiner Punktzahl gehe ich davon aus. Da das Gemetzel am Füllhorn jetzt vorbei zu sein scheint werden die Karrieros nun auch Jagt auf uns andere machen, doch ich hoffe, dass sie mir nicht sonderlich viel Beachtung schenken werden. Wahrscheinlich gehen sie sowieso davon aus, dass die Natur mich ganz von alleine erledigen wird. Trotzdem beschleunige ich mein Tempo etwas. Die Dämmerung ist schon nah, als ich die Büsche hinter mir rascheln höre, einen Schatten sehe und instinktiv mein Messer werfe. Im nächsten Moment merke ich, dass es nur ein Hase war, doch ich habe ihn getroffen. Leblos liegt er am Boden, fast tut er mir Leid, doch immerhin habe ich jetzt etwas zum Essen. Ich bin ungefähr 5 Stunden gelaufen und sollte einige Kilometer zwischen mich und das Füllhorn gebracht haben. Die Karrieros durchkämmen gerade wahrscheinlich das nähere Umfeld des Füllhorns, und da es noch eine gute halbe Stunde bis zur Dämmerung dauern wird genehmige ich mir ein kleines Feuer anzuzünden. So schnell ich kann nehme ich den Hasen aus und brate ihn. Dann erlösche ich das Feuer wieder und gehe weiter, während ich an einem Hasenschenkel knabbere. Als die Dämmerung einbricht sehe ich mich nach einem Versteck für die Nacht um. Ich frage mich, ob ich auf einem Baum schlafen sollte, so wie Katniss Everdeen es damals in ihren ersten Spielen getan hat. Ich kann auf Bäume klettern, im Wald habe ich oft auf ihnen gewartet, bis ein Tier vorbeikam, aber ob ich auf ihnen schlafen kann? Da ich nicht riskieren will nachts von einem Baum zu fallen, suche ich mir ein anderes Versteck. Ich entdecke einen großen Busch, der innen etwas wie eine kleine Höhle bildet. Hier passe ich locker rein, und bin von allen Seiten geschützt. Der Boden ist weich, auch hier wächst saftiges Gras, doch ich merke, dass die Temperaturen fallen, die Nacht bricht herein. Ich krame meinen großen Schlafsack hervor und schlüpfe hinein. Sofort merke ich wie mir wärmer wird, er speichert die ganze Wärme. Bevor ich schlafe, esse ich ein Stück Brot und einen weiteren Hasenschenkel. Ich ziehe mir gerade meine Handschuhe an, es sind jetzt nur noch höchstens fünf Grad, da höre ich die Hymne, jetzt zeigen sie die toten Tribute. Ich schiebe ein paar Äste und Zweige zur Seite, damit ich sie sehen kann. Als erstes erscheint das Mädchen aus Distrikt 3, dann der Junge aus 5, beide Tribute aus Distrikt 6, der Junge aus 7, der mich versucht hat zu töten, beide Tribute aus 8 und 9, das Mädchen aus 10 und das Mädchen aus 11. Dann verdunkelt sich der Himmel wieder, und die Hymne verstummt. Caleb lebt noch, ob ich mich darüber freuen sollte weiß ich nicht. Wenn ich nach Hause kommen möchte, dann muss er irgendwann sterben. Besser ein Karriero erledigt das für mich, damit ich es nicht selbst versuchen muss. Alle Karrieros leben noch, sie sind also zu sechst auf der Suche nach sieben anderen Tributen, die sie ermorden können, ich darunter. Ich merke wie ich zittere und krieche bis zur Nase in meinen Schlafsack. Dann ziehe ich meine Kapuze und die Handschuhe aus meinem Rucksack an. So liege ich da, in der Dunkelheit, habe Angst davor, dass die Karrieros mich finden. Schon gegen einen anzukommen, wäre beinahe unmöglich, sechs Karrieros, da könnte ich genauso gut von einer Klippe springen, die Überlebenschancen wären die selben. Ich denke an die gefallenden Tribute und mir fällt auf, dass das nervöse Mädchen aus 5 und das junge Mädchen aus 7 beide über den ersten Tag gekommen sind. Ob das Mädchen aus 7 sich wohl eine Axt beschaffen konnte? Wenn ja, dann wäre sie eine echte Bedrohung, eine wirkliche Gefahr. Bei dem Gedanken, dass ein Tribut mich hier finden könnte, während ich schlafe, läuft mir ein kalter Schauder über den Rücken. Selbst unbewaffnet könnte man mich gerade töten, mir einen Stein ins Gesicht schlagen, oder mich ersticken. Doch sie finden mich nicht, und ich schaffe es irgendwann doch einzuschlafen.

Die Tribute von Panem - Die 76. HungerspieleWhere stories live. Discover now