Kapitel 4

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Das Trainingcenter in dem wir wohnen kommt mir riesig vor. Als Effie, Caleb und ich am nächsten morgen zu unserem ersten Trainingstag aufbrechen, klopft mein Herz mindestens so stark wie gestern. Nun werden wir das erste Mal auf die anderen Tribute treffen, wenn man die Eröffnungsfeier weglässt. Starr starre ich gegen die Tür des Aufzugs mit dem wir zum Training fahren, mache mich darauf gefasst von allen fertig gemacht zu werden. „Denkt immer dran.", erinnert uns Effie. „Fangt keinen Streit mit anderen Tributen an. Vor allem nicht mit den Karrieretributen aus Distrikt 1,2 und 4, verstanden?" Wir nicken. „Und denkt an Petaas Worte, zeigt ihnen nicht euer besonderes Talent." „Ich hab kein besonderes Talent.", sagen Caleb und ich gleichzeitig. Kurz müssen wir beide lachen, aber dann werden wir wieder ernst. Wir sind angekommen. Die Aufzugtür öffnet sich und vor uns liegt ein großer, sehr moderner Trainingsraum. Die meisten anderen Tribute sind schon da. Ich sehe die Tribute aus Distrikt 1, 2 und 4 zusammen stehen. Sie mustern mich abwertend. Als das Mädchen aus Distrikt 1 bemerkt, dass ich zu ihnen sehe, tut sie so, als würde sie stolpern und die anderen fangen an zu lachen. „Ignorier sie einfach.", sagt Caleb und ich versuche mich an seinen Rat zu halten, was jedoch nicht gerade einfach ist. Von einer dunkelhaarigen Frau werden alle Tribute begrüßt. Sie erklärt uns, dass Überlebenstechniken genauso wichtig sind wie Kampftechniken. Als sie fertig ist dürfen wir frei herum laufen und verschiedene Stationen ausprobieren. Ich merke, dass wir von den Spielemachern beobachtet werden, sie sitzen auf einer Art Balkon. Dann gehe ich zu einer Station bei der man Sperrwerfen lernt. Ich habe noch nie einen Sperr geworfen, aber in der Arena gibt es meistens viele von ihnen und deshalb wäre es praktisch einigermaßen mit ihm umgehen zu können. Der Leiter dieser Station erklärt mir wie ich ihn halten muss und wie man ihn am besten wirft. Bei meinem ersten Versuch bin ich viel zu zurückhaltend so, dass mein Sperr nur wenige Meter weit fliegt aber nach ungefähr einer Stunde habe ich den Dreh raus und treffe hin und wieder sogar eine der sich langsam bewegenden Hologramme. Dann gehe ich zu einer Station bei der wir lernen Feuer zu machen. Schnell schaffe ich es ein kleines Feuer zu entzünden und der Stationsleiter lobt mich sogar. Ich sehe das junge Mädchen aus Distrikt 7 wie sie eine Stofffigur mit einer Axt enthauptet. Ich bin schockiert wie gut sie das kann, obwohl sie doch erst 13 ist und sogar die Karrieros würdigen sie mit anerkennenden Blicken. Distrikt 7 ist für Holz und Holzverarbeitung zuständig, wahrscheinlich hat sie schon früh gelernt mit einer Axt umzugehen. Distrikt 12 hat den Nachteil, dass wir erst wenn wir erwachsen sind arbeiten dürfen. In vielen anderen Distrikten dürfen sie das schon viel früher und wissen daher wie man mit bestimmten Werkzeugen oder Waffen umgeht. Ich gehe weiter zu einer Station bei der man Messer werfen kann. Ich überlege ob ich es machen sollte. Ich bin mir sicher, dass ich von allen Waffen am besten mit einem Messer umgehen kann, aber ob es deshalb mein ,besonderes Talent' ist weiß ich nicht. Dennoch lasse ich es sein. Es ist mir nur recht, wenn die Karrieros davon ausgehen ich würde mit keiner Waffe gut umgehen können. Ich sehe wie der Junge aus Distrikt 1 Messer wirft, er ist wirklich gut darin, aber wenn ich will kann ich vielleicht besser sein. Nur zu gern würde ich ihnen jetzt beweisen, dass ich kein nichtsnutziger Trottel bin, aber ich halte mich zurück.
Drei Tage lang haben wir jeden Tag Training. Ich lerne zu klettern, mich von Pflanzen zu ernähren und einen Sperr zu werfen. Caleb tut das selbe wie ich. Wenn er ein geheimes Talent hat, dann verrät er es scheinbar niemandem.
Am Abend des zweiten Tages, der Abend vor unserer Einzelstunde sitze ich mit Caleb, Effie, Peeta, Katniss und Haymitch an einer voll gedeckten Tafel und kaue nervös auf einem Stück Steak herum. „Wisst ihr, was ihr ihnen morgen bei eurer Einzelstunde zeigen wollt?", fragt Peeta uns, als der Nachtisch serviert wird. Ich nicke. „Ich werde Messer werfen. Vielleicht haben sie ja doch eine sentimentale Seite und geben mir eine 6 oder 7.", sage ich sarkastisch. Caleb zuckt nur mit den Schultern. „Wie gesagt, ich habe kein Talent. Wahrscheinlich zeige ich ihnen einfach, was ich in den letzten Tagen dazugelernt habe und hoffe auf eine 5." Die anderen sehen nicht gerade begeistert aus, sagen aber nichts dazu. „Distrikt 12 kommt immer als letztes dran.", erklärt Katniss uns. „Seid nicht überrascht, wenn die Spielemacher euch nicht beachten, aber wenn ihr euch laut vorstellt, dann sollten sie euch wenigsten einen kurzen Moment ihrer Aufmerksamkeit widmen." Effie und Haymitch mustern Katniss mit einem vielsagenden Blick den ich jedoch nicht deuten kann. Alles was ich weiß ist, dass sie bei ihren ersten Spielen mit einer Punktzahl von 11 von 12 Punkten bewertet wurde, womit sie besser war als alle Karrieros.
Als ich Abends im Bett liege kann ich nicht einschlafen. Stattdessen liege ich hellwach auf meiner Matratze und starre die Decke an. Morgen muss ich alles geben, denke ich. Ich werde Sponsoren brauchen, und wenn ich meinen Auftritt bei der Eröffnungsfeier wieder in Ordnung bringen will, dann mit einer guten Punktzahl.
Irgendwann schlafe ich doch ein, denn als ich wieder aufwache ist es bereits hell draußen. Schnell stehe ich auf und ziehe mich an, dann laufe ich zum Frühstück. Ich bediene mich an dem großen Frühstücksbuffet, doch vor Aufregung bekomme ich, obwohl Effie mich nahezu dazu drängt etwas zu essen, keinen Bissen runter.
Wir brechen zu unserem letzten Trainingstag auf und ich versuche meine Nervosität so gut es geht zu unterdrücken. Kurz vergesse ich unsere sich nähernde Einzelstunde während ich ein Schwert mit voller Wucht in eine Trainingspuppe ramme, doch spätestens als sie uns zum Mittagessen schicken und die ersten Tribute zu ihren Einzelstunden aufgerufen werden, kehrt meine Nervosität zurück und trifft mich mit voller Wucht. Die Tribute die aufgerufen werden kommen nicht mehr zurück. Als nur noch Caleb und ich in dem Raum sind frage ich ihn: „Was wirst du ihnen zeigen? Ich bin mir sicher du hast etwas vorbereitet. Oder?" „Nein.", antwortet er knapp. „Ich bin mehr so der spontane Typ." Ich runzle die Stirn. Irgendwie kaufe ich ihm das nicht ab. Dann wird Caleb aufgerufen. „Viel Glück.", wünsche ich ihm kurz bevor er den Raum verlässt. Er dreht sich noch einmal um und sagt dann: „Danke." Dann geht er. Ich kaue immer nervöser auf meiner Unterlippe herum, bis sie blutet. Ich denke nur daran, was ist wenn ich versage. Mein Name wird aufgerufen und langsam stehe ich auf und gehe zur Tür. Durch einen Flur werde ich zu meiner Einzelstunde gebracht. Die Tür wird hinter mir geschlossen und ich gehe in die Mitte des Raumes. Die Spielemacher die auf einem großen Balkon sitzen schenken mir, wie Katniss gesagt hat keinerlei Beachtung. Sie sind nur mit sich selbst beschäftigt. Ich nehme meinen gesamten Mut zusammen und sage laut aber mit zitternder Stimme: „Wisdom Leavertrouth. Distrikt 12." Nun drehen sie sich zu mir um und die meisten hören sogar auf zu reden. Ich gucke mich um und erblicke eine Reihe verschiedener Messer. Schnell gehe ich auf sie zu und wähle das erst Beste, um länger über meine Messerwahl nachzudenken fehlt mir die Zeit und ich bin sowieso viel zu aufgeregt. Ich stelle mich etwa zwanzig Meter von einem Hologramm entfernt hin, atme tief durch und versuche mich zu konzentrieren, doch plötzlich spüre ich wie mir wieder schwindelig wird. Ich versuche mein Messer dennoch zu werfen, ziele auf das Herz des Hologramms, doch als ich es werfen möchte, rutscht es mir zu früh aus meiner vor Nervosität verschwitzten Hand und fällt circa zehn Meter vor der Figur zu Boden. Die Spielemacher lachen nur und drehen sich wieder etwas von mir weg. Verzweifelt hebe ich es wieder auf und versuche zu werfen, als mir etwas in den Sinn kommt. Hier werde ich nie die guten Leistungen erbringen werden können, die ich eigentlich im Wald erbringe. Also warum nicht? Es ist zwar riskant, aber ich habe scheinbar keine andere Wahl. Ich werde extra schlecht sein. So werde ich anfangs vielleicht keine Sponsoren bekommen, kann aber die Karrieros und die anderen Tribute vielleicht überlisten. Vor neun Jahren hat Joanna Mason, ein gefallener Tribut des letzten Jubeljubiläums, so getan als seie sie nur ein kleines Mädchen, was nichts konnte und in der Arena erwies sie sich anschließend als kaltblütige Killerin. Das werde ich zwar ohnehin nicht werden, aber ich könnte die selbe Strategie verwenden. Auch wenn es riskant ist, könnte ich es durchziehen und jetzt wo ich den Entschluss getroffen habe, bin ich kein bisschen nervös mehr. Ich merke, dass noch ein paar Spielemacher mir zusehen, also nutze ich die Gelegenheit um ihnen weiß zumachen, wie schlecht ich bin. Ich hebe das Messer auf und werfe es so, dass ich mich beinahe selbst ersteche. Ich springe wieder auf, hebe es auf und werfe es so, dass es mindestens zwei Meter an dem Hologramm vorbeifliegt. Ich tue so als wüsste ich nicht weiter, als wäre ich verzweifelt, doch eigentlich verfolge ich bloß meinen Plan. Die Spielemacher sagen mir, dass ich jetzt gehen kann und schnell verlasse ich den Saal. Kurz bereue ich, was ich getan habe, aber dann denke ich daran, dass ich praktisch keine andere Wahl hatte und daran, wie ich die anderen Tribute hinters Licht führen werde und muss grinsen, doch jetzt muss ich so tun, als würde ich am Boden zerstört sein, denn Caleb darf nichts davon erfahren, schließlich ist er auch mein Gegner. Als Effie, Katniss, Peeta, Haymitch und er mich also gespannt erwarten vergrabe ich nur das Gesicht in den Händen und sage ihnen sie sollen mich in Ruhe lassen. Dann verkrieche ich mich in meinem Zimmer in unserem großen Apartment hier im Trainingscenter. Doch als die Tür hinter mir zufällt, muss ich das erste Mal seid langem lachen. Ich habe einen Plan. Jetzt muss er nur noch gelingen.

Die Tribute von Panem - Die 76. HungerspieleWhere stories live. Discover now