Kapitel 1

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Lebensweisheit: Höre auf deine Familie und deren absurde Zukunftsfantasien dich und deinen Beruf betreffend, denn wenn du versuchst, so zu tun, als hättest du eine Vorstellung deiner eigenen Wünsche und Ziele und unterzeichnest einzig und allein a...

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Lebensweisheit: Höre auf deine Familie und deren absurde Zukunftsfantasien dich und deinen Beruf betreffend, denn wenn du versuchst, so zu tun, als hättest du eine Vorstellung deiner eigenen Wünsche und Ziele und unterzeichnest einzig und allein aus einem Akt der Rebellion heraus den falschen Vertrag, landest du als Schweinestalleinrichter in Mexiko.

Oder noch schlimmer: Als Zuckerbäcker im ersten Lehrjahr in einer kleinen Konditorei am Stadtrand, mit einem übergewichtigen Chef und einer etwas zu extrovertierten blauhaarigen Leidensgenossin, die sich ungefähr fünfzehn Jahre zu früh in den Wechseljahren befindet. Ich weiß nicht, was mich geritten hat, als ich mich für eine Stelle als Lehrling in einer Konditorei mit dem bezaubernden Namen Die Naschbude beworben habe. Wahrscheinlich waren Valerie und Britta daran schuld. (Valerie, weil ich bereits zum dritten Mal eine Drohung von meinem Vermieter bekommen habe und beinahe so weit war, meinen endogen depressiven Goldfisch Gustav zu verkaufen, damit ich genug zu essen habe, und Britta, weil ich mich zu diesem Zeitpunkt gerade am Anfang einer Diät befunden habe und mein animalisches Hirn schon nach dem dritten Tag ohne Zucker einen Kurzschluss erlitten hat.)

Damit wir das gleich am Anfang klären: Ja, irgendwann in meinem Leben habe ich damit begonnen, meine Emotionen zu personalisieren und ihnen Namen zu geben. Da wären zum Beispiel Ella, die Empathie, Sascha, der Stolz, Torben, die Trauer, Valerie, die Verzweiflung und Britta, die Bosheit. Ich weiß nicht mehr, an welchem Tag ich aufgewacht bin und dachte Hey, tu doch einfach so, als existierten Leute, denen du die Schuld für deine überstürzten Handlungen geben kannst, das wäre doch lustig! aber irgendwann muss es ja passiert sein. Es ist so wie mit den Schokokeksen, die immer urplötzlich bei mir in der Wohnung auftauchen: Niemand weiß, woher sie kommen, sie sind ganz einfach da.

Auch alle Lebewesen in meiner Wohnung(genau zwei, wenn man die mir unbekannten Ameisennester nicht mitzählt) haben Namen. Wie Gustav und mein Kaktus Martin, der im Gegensatz zu diversen anderen pflegeleichten Pflanzen bei mir überlebt hat. Haben Pflanzen nicht eigentlich das Recht, als Individuen angesehen zu werden? Okay, vielleicht bin ich auch einfach einsam, weil ich alleine lebe. Bis auf Gustav und Martin natürlich.

Dieser Umstand wird mir immer wieder vorgehalten, vor allem an unseren schönen Familienessen.

Sie finden alle zwei Wochen an immer verschiedenen Orten statt.  Heute habe leider ich die Ehre, meine engsten Verwandten in meine Wohnung zu quetschen und zu bewirten. Der Rest der Sippe ist glücklicherweise an Grippe erkrankt, was allerdings zu dem unglücklichen Umstand führt, dass alle gerade noch in mein bescheidenes Heim passen. Weil ich mich trotz meiner Stelle als Zuckerbäckerlehrling in Sache Kochen etwa auf dem selben Level befinde wie meine senile Urgroßmutter im Rollstuhl, habe ich im Supermarkt rasch ein paar Dinge besorgt und dann beim Chinesen bestellt. Das gute Essen habe ich dann mithilfe von Ketchup, Mayo und einigen Gewürzen zu etwas gemacht, was meine Verwandten mir noch zutrauen würden, und habe die Spuren wie ein erfahrener Krimineller verwischt. (Heißt, ich habe das Verpackungsmaterial im Abfallcontainer hinter dem Haus entsorgt. Allerdings leider im falschen, was ich aber erst zu spät bemerkt habe. Und genug Zeit, das Zeug wieder hinauszufischen, ist auch nicht gewesen.)

KirschkuchenkatastropheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt