Kapitel 1

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Als ich aufwache dämmert es. Sofort kommt mir nur eins in den Sinn. Heute ist der Tag der Ernte. Sie werden schon in wenigen Stunden eine junge Frau und einen jungen Mann im Alter von 12 bis 18 Jahren auswählen, um an den diesjährigen Hungerspielen teilzunehmen. Ich habe nicht lange geschlafen, aber bin zu aufgeregt um wieder einzuschlafen. Ich stehe auf und gucke aus meinem Fenster. Der Anblick der sich mir bietet ist nicht sonderlich schön. Es sind die schmutzigen Straßen von Distrikt 12. Hier lebe ich. Es gibt noch 11 andere Distrikte, 12 ist der Ärmste. Wieder denke ich an die Ernte. Insgesamt 24 Tribute werden an den Hungerspielen teilnehmen müssen, nur einer kann zurückkehren, zurück nach Hause.
Langsam gehe ich die knarzende Treppe hinunter, ich möchte meine kleine Schwester Faith nicht wecken. Sie ist erst 10 und somit zu jung um Tribut zu werden, was mich sehr erleichtert. Ich bin 15 und alt genug. Vorletztes Jahr haben es zwei Tribute nach Hause geschafft. Katniss Everdeen und Peeta Mellark. Beide kamen aus Distrikt 12. Sie haben die Spielemacher im Kapitol ausgetrickst, aber haben es dann auf eine kitschige Liebesgeschichte geschoben . Irgendwie haben sie es geschafft nicht hingerichtet zu werden. Dann gab es die 75. Hungerspiele. Ein Jubeljubiläum. Alle 25 Jahre überlegt sich das Kapitol etwas neues um die Hungerspiele noch schrecklicher zu machen. Bei dem ersten Jubeljubiläum mussten die Tribute von den Bewohnern der Distrikte gewählt werden. Bei dem zweiten wurden doppelt so viele Tribute in die Arena geschickt und bei dem letzten wurden die Tribute aus dem Kreis der Sieger gewählt. Da Katniss Everdeen der einzige lebende, weibliche Sieger von Distrikt 12 war, musste sie erneut in die Arena und mit ihr Peeta Mellark, welcher freiwillig den Platz von Haymitch Abernathy einnahm. Doch dann kam alles anders, denn es kam heraus, dass Katniss Everdeen schwanger war. Da haben sie ihr Liebesdrama natürlich weiter aufgezogen. Die Bewohner des Kapitols waren so verärgert, dass Katniss Everdeen dazu gezwungen wurde trotz des Babys bei den Spielen mitzumachen, dass Proteste entstanden und sie frühzeitig aus der Arena geholt wurde. Die Tage die sie schwanger in der Arena verbracht hatte, haben dazu geführt, dass sie ihr Baby kurze Zeit später verloren hat. So sagen sie es jedenfalls. Aber ich bezweifle, dass je eins existiert hat. Peeta Mellark hat die Spiele am Ende gewonnen, indem er nachdem seine Verbündeten gestorben waren, den letzten verbliebenen Tribut in eine Falle lockte, denn nur er hatte die Arena verstanden.
Ich verlasse das Haus und laufe zum Zaun am Rand von Distrikt 12. Offiziell steht er immer unter Strom, aber das sagen sie bloß um uns abzuschrecken. Ich weiß, dass Katniss Everdeen in den Wald geht um zu jagen und anschließend zu handeln, denn sie verkauft Wild auf dem Hob. Vor vier Jahren habe ich mich das erste mal in den Wald getraut. Mein Vater war, wie bei so vielen Familien in Distrikt 12, bei einer Bergexplosion ums Leben gekommen, meine Mutter war arbeitslos und ich wusste nicht wie wir überleben sollten. Da kam mir die Idee. Ich hatte keine guten Waffen, nur ein Messer, aber ich habe gelernt es zu werfen. Ich handele nicht wie Katniss auf dem Hob, sondern ernähre nur meine Mutter, Faith und mich damit. Ich werfe mein Messer ein paar mal, beim dritten Mal erlege ich einen mittelgroßen Hasen, dann mache ich mich wieder auf den Weg nach Hause. Ich bleibe nie lange im Wald, denn ich habe immer noch ein wenig Angst vor den Gefahren die hier lauern. Meine Mutter ist bereits wach, als ich ankomme. Ich reiche ihr den Hasen damit sie ihn zu einem Eintopf verarbeiten kann, dann gehe ich wieder nach oben um mich umzuziehen. Mein Erntedress liegt bereit auf meinem Bett. Es ist weiß mit kleinen, hellblauen Blumen. Meine Mutter hat es selbst genäht. Ich wasche mich und ziehe mich an. Das Kleid passt wie angegossen. Meine hellbraunen Haare flechte ich mir zu einem Zopf, der mir über die Schulter fällt. Dann ziehe ich zwei vordere Strähnen heraus. Während ich mich im Spiegel betrachte wird mir mulmig. Was wenn sie mich ziehen werden? Wegen der Tesserasteine ist mein Name 23 Mal da drin. Doch schnell verwerfe ich den Gedanken. Sie werden mich nicht ziehen.
„Wisdom?", höre ich Faith meinen Namen rufen. Ich gehe in ihr kleines Zimmer und sehe, dass sie auch schon angezogen ist. Sie steckt in einem hellgelben Rock und einer weißen Bluse. „Du siehst wunderhübsch aus.", sage ich lächelnd. „Nicht so hübsch wie du.", erwidert sie. Ich schüttele leicht den Kopf und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn. „Alles wird gut.", flüstere ich und streiche ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Sie hat den selben hellbraunen Farbton wie meine Haare.

Als es halb zwei schlägt machen wir uns auf den Weg zum großen Platz vor dem Justizgebäude. Wir laufen an den Häusern der anderen Bewohner von Distrikt 12 vorbei, sehen ihre besorgten, abgemagerten Gesichter. Ich versuche nicht darauf zu achten, es macht mich bloß noch nervöser. Als wir am Justizgebäude ankommen sehe ich Willow, meine einzige richtige Freundin. Ich hebe meine Hand auf Schulterhöhe um ihr leicht zu winken. Sie winkt mir ebenfalls. „Ich gehe mich jetzt registrieren.", sage ich und umarme Faith und meine Mutter ein letztes Mal. „Viel Glück.", wünscht mir Faith und eine Träne kullert über ihre Wange. „Wir sehen uns nach der Ernte.", sage ich so zuversichtlich wie ich kann, dann zwinge ich mich zu einem gequälten Lächeln und reihe mich in die Schlange ein. Als ich dran bin stechen sie mir in den Finger, denn sie benötigen einen Tropfen meines Blutes. Ich spüre den Schmerz garnicht, habe zu viel Angst um mich auf das Stechen in meinem Zeigefinger zu konzentrieren. „Der Nächste.", sagt die Frau die uns registriert und ich gehe weiter. Ich Reihe mich bei den anderen 15 Jährigen ein. Ich sehe wie Willow auf mich zukommt. Ich umarme sie. Sie merkt wie besorgt ich bin. Willows Name ist sogar 31 Mal dort drin. Sie hat zwei kleine Brüder, eine kleine Schwester und einen großen Bruder. Alle, bis auf ihren großen Bruder, sind noch zu jung um an der Ernte teilzunehmen. Trotzdem ist Willow weniger nervös als ich. „Sie werden dich nicht ziehen.", beginnt sie. „Keinen von uns." Gequält lächle ich sie an. „Das sagen doch alle.", entgegne ich. „Aber zwei von uns trifft es dennoch." Ich komme nicht weiter, denn in dem Moment betritt der Bürgermeister die Bühne. Er ließt wie jedes Jahr, die Geschichte von Panem. Anschließend verliest er alle Gewinner die Distrikt 12. je gehabt hat. Lucy Gray Baird, Haymitch Abernathy, Katniss Everdeen und Peeta Mellark. Lucy Gray Baird ist tot, aber die anderen drei betreten nun ebenfalls die Bühne. Katniss Everdeen und Peeta Mellark erscheinen Hand in Hand, Haymitch Abernathy taumelt hinter ihnen her. Er ist fast immer sturzbetrunken und ich verstehe nicht, wie Katniss und Peeta es geschafft haben, mit ihm als Mentor aus den Spielen zurückkehren. Die Menge applaudiert freundlich. Dann betritt Effie Trinket das Podest auf der Bühne.Sie ist unsere Betreuerin. Ihre Perücke ist dieses Jahr veilchenblau. „Willkommen.", beginnt sie mit ihrem gekünstelten Kapitolakzent, wie wir es gerne nennen. „Willkommen, willkommen, zu den diesjährigen Hungerspielen! Nun ist es an der Zeit einen mutigen, jungen Mann und eine mutige, junge Frau auszuwählen, um Distrikt 12 bei den diesjährigen Hungerspielen zu vertreten." Nun schreitet sie geradewegs auf die zwei Glaskugeln zu. Die eine enthält die Namen der Mädchen, die anderen die der Jungen. „Wie üblich.", sagt sie kurz bevor sie an den Glaskugeln angelangt. „Ladys first!" Ich spüre, wie mein Herz anfängt schneller zu pochen. Ihre Hand gleitet in die Glaskugel, lässt sich in die Zettel fallen und zieht einen unten liegenden Zettel heraus. Jetzt steht es fest, niemand kann mehr etwas daran ändern. Sie nimmt den Zettel mit zwei Fingern und faltet ihn quälend langsam auf.
Mit trötender Stimme liest sie: „Wisdom Leavertrouth."
Während die Welt um mich unscharf wird denke ich nur an eins. Das ist mein Name.

Die Tribute von Panem - Die 76. HungerspieleWhere stories live. Discover now